Eine Verwaltungsgerichtsbarkeit wie in Deutschland gibt es in Kasachstan bisher nicht. Zu ihrer Entwicklung wollen das Regionalprogramm „Förderung der Rechtsstaatlichkeit in Zentralasien“ der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und das Projekt „Rechtsstaatsplattform“ der Europäischen Union beitragen. Strategien wurden auf einer Konferenz in Astana diskutiert.

Können die Gesetze Deutschlands und anderer europäischer Länder als Muster für die Schaffung des kasachischen Verwaltungsprozesskodex dienen? Auf der Dritten Internationalen Konferenz zur Verwaltungsjustiz wurden diese und andere Rechtsfragen von Experten aus Europa und Zentralasien Anfang November in Astana lebhaft diskutiert. Die gegenwärtige kasachische Gesetzgebung enthält 62.000 Rechtsakte. Angesichts dieser Vielzahl sei es schwierig, von Rechtssicherheit zu sprechen, meint der Zivilrechtsprofessor Assylbek Zhussupow von der Kasachischen Staatlichen Juristischen Universität: „Es ist kompliziert nicht nur für normale Bürger, sondern auch für Juristen, sich in solch einer riesigen Anzahl von Gesetzen zu orientieren“.

Eine Verwaltungsgerichtsbarkeit als besonderes Institut zur Beilegung verwaltungsrechtlicher Streitigkeiten zwischen Bürgern oder Investoren einerseits und der Staatsverwaltung andererseits existiert in Kasachstan sowie den anderen zentralasiatischen Ländern und Russland noch nicht. Dies kann einen Nachteil für den Rechtsschutz der Bürger und damit auch für ausländische Investoren darstellen. GIZ-Programmleiter Jörg Pudelka zufolge gibt es in Kasachstan zwar Verwaltungsgerichte. Diese würden sich jedoch derzeit nur mit Ordnungswidrigkeiten befassen, also Bürger für administrative Rechtsverletzungen bestrafen. Echte verwaltungsrechtliche Streitigkeiten wie zum Beispiel die Erteilung von Genehmigungen, Lizenzen usw. würden jedoch nach wie vor nach sowjetischem Vorbild von ordentlichen Gerichten nach der Zivilprozessordnung behandelt. Dies gelte es zu ändern, damit solche Streitigkeiten nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gelöst werden, der Gerichte und Behörden in die Pflicht nimmt, Sachverhalte selbst objektiv zu erforschen.

Perspektiven für eine Verwaltungsjustiz

Seit mehr als 15 Jahren unterstützt die GIZ die Förderung des Rechtsstaates in Kasachstan. Dabei wurde eine Reihe von Maßnahmen ergriffen. Deutsche Experten beraten bei einer marktwirtschaftlich orientierten Gesetzgebung und beteiligen sich an der Fortbildung von Juristen und Richtern. Im Laufe von Fortbildungsseminaren wie dem in Astana lösen in- und ausländische Experten Probleme, die sich in der aktuellen Rechtsprechung ergeben. Danach werden konkrete Ideen besprochen, wie diese Probleme beseitigt werden könnten, um hiermit die Effektivität der Rechtsanwendung zu steigern. Jüngst hat die GIZ einen Modellvorschlag für ein Verwaltungsprozessgesetz erarbeitet.

Die Veranstaltung schloss mit der Präsentation eines Sammelbandes von Verwaltungsprozessgesetzen, in dem die Gesetze der postsowjetischen Länder, die bereits eine Verwaltungsjustiz eingeführt haben, sowie Deutschlands als Muster für die Erarbeitung analoger Gesetze in Kasachstan vorgestellt werden. Die Konferenz wurde von der GIZ gemeinsam mit der Vertretung der Europäischen Union, dem Justizministerium und dem Institut für Gesetzgebung der Republik Kasachstan veranstaltet. Unter den Teilnehmern befanden sich auch Vertreter der deutschen und der französischen Botschaft, der Europäischen Union, des Justizministeriums Kasachstans sowie Experten aus Europa und den GUS-Ländern.

Expertenmeinungen: Warum braucht die Republik Kasachstan eine Verwaltungsgerichtsbarkeit?

Dr. Matthias Hartwig, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts| Die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit würde den Bürgern die Möglichkeit geben, ihre Rechte über das Gericht gegenüber der Verwaltung durchzusetzen. Die Verwaltung ihrerseits wird nur im Rahmen des Gesetzes handeln und auch dem Bürger seine Rechte geben müssen. Und das wird eben durchgesetzt durch unabhängige Gerichte, die die Verwaltung auch im Interesse der Bürger kontrollieren.

Dr. Otto Mallmann, ehemaliger Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht| In den meisten europäischen Staaten gibt es eine Verwaltungsgerichtsbarkeit. Sie orientiert sich zunächst am Rechtsschutz der Bürger, aber das kann sicher auch eine Vereinigung oder ein Wirtschaftsunternehmen sein. Und das Verfahrensrecht ist auch anders als in privaten wirtschaftsrechtlichen Verfahren. Was sollte der Ausgangspunkt sein? Wenn man alles so sieht, dann braucht man ein Gesetz, das das Prozessrecht regelt. Das ist mit dem Verwaltungsjustizkodex gemeint.

Prof. Dr. Otto Luchterhandt, Vorsitzender des Vorstandes des Nordost-Instituts an der Universität Hamburg| Die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist ein wichtiges Instrument zur Sicherung der Freiheit der Bürger, aber auch zur Stärkung der Staatsgewalt insgesamt durch die Kontrolle der verschiedenen Gewalten. Sie kontrolliert die Verwaltung und unterstützt die Gesetzgebung. Die Bürger sind dann mit dem Staat eher zufrieden, weil sie nicht mit dem Präsidenten zu tun haben, sondern sie haben mit dem Staat im Alltag in Gestalt seiner Behörden zu tun. Wenn sie dann zufriedener sind, dann identifizieren sie sich auch leichter mit dem Staat und sind bereit, den Gesetzen zu folgen.

Von Xenia Sutula

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