Der iranische Journalist Farhad Payar ist 1980 nach Berlin emigriert – ein Gespräch über seinen damaligen Neustart und die Unterschiede zu heutigen Flüchtlingen.

Farhad Payar, was war der Grund für Sie, nach Deutschland zu kommen?

Das war ein Jahr nach der islamischen Revolution im Iran. Die Islamisten hatten begonnen, die Opposition zu unterdrücken. Alles, was nicht in ihrem Sinne war, haben sie abgeschafft. Sie haben versucht, den Menschen ihre persönlichen Freiheiten zu nehmen. Damals habe ich verstanden, dass ich nicht in einem solchen Land leben will. Ich bin 1980 direkt nach Deutschland gekommen. Ich legte immer mehr Wert auf ein freies Leben und dachte an mein Weiterkommen. Da mein Visum irgendwann abgelaufen war und ich nicht ausreisen wollte, bin ich illegal in Deutschland geblieben. Nach einem Jahr wurde ich von der Polizei verhaftet. Um nicht zurückgehen zu müssen, haben meine Freundin und ich uns entschieden zu heiraten.

Wie war es damals, ein neues Leben in Deutschland anzufangen?

Natürlich war es schwierig am Anfang. Es war ein ganz neues Leben in einem total anderen Land mit einer anderen Mentalität – und ich musste Geld verdienen. Ich habe zuerst illegal als Fahrradmechaniker und als Raumpfleger in einer Küche gearbeitet. Später begann ich, Politologie an der Freien Universität Berlin zu studieren. Aber aus finanziellen Gründen war ich dann noch als Taxifahrer, Teppichverkäufer, Jugend– und Flüchtlingsbetreuer tätig.

Wie war Deutschland 1980?

Es war sehr interessant. Ich war in Westberlin, und Berlin war geteilt. Manchmal sah man die Mauer, und man fühlte regelrecht die Teilung. 1980 war Deutschland sehr konservativ, viel kälter als jetzt. Alles war versteckt, jedes Fenster hatte eine Jalousie und zwei Vorhänge. Es war anders als heute. Mittlerweile hat sich Deutschland geöffnet.

Wie schätzen Sie aus Ihrer Erfahrung die heutige Flüchtlingssituation ein – wie kann Integration gelingen?

Flüchtlinge sind auf der Suche nach einem Ort. Da ihre Heimat bombardiert wird, fliehen sie einfach. Sie müssen irgendwohin gehen. Es ist auch eine natürliche Entwicklung der Menschheit. Und im Vergleich zu der Zeit, in der ich als Flüchtling kam, ist Deutschland heute offener und freundlicher.

Und was ist Integration? Es ist Blödsinn. Bin ich in diese Gesellschaft integriert? Ich weiß es nicht. Es ist ein blödes Wort. Ich bin in die europäische Kultur integriert, aber das heißt nicht, dass ich ein Teil davon bin. Integration ist ein Wort, das die Menschen eingrenzt. Du gehörst zu mir, wir gehören zusammen, die anderen gehören nicht zu uns. Alles, was abgrenzt, mag ich nicht.

Wann und wie haben Sie angefangen, sich mit Journalismus zu beschäftigen?

Ich habe zunächst Journalismus selbstständig erlernt und 1994 dann professionell angefangen. Ich habe damals begonnen für Radio „Multikulti“ in der persischen Redaktion zu arbeiten und dann ging es weiter. Journalismus ist für mich eine Berufung, aus der ich einen Beruf gemacht habe. Ich will etwas für die Demokratisierung im Iran tun. Wenn ich Politiker hier über das Geschehen im Iran informiere, fokussiere ich sie auf das Land, und wenn sie sich mit dem Iran beschäftigen, beschäftigen sie sich mit dem Islam. Und wenn sie sich mit dem Islam beschäftigen, beschäftigen sie sich mit der ganzen Region. Auch lenke ich große Aufmerksamkeit auf die Freiheiten und Gleichberechtigung der Frauen. Ich messe den Fortschritt eines Landes an der Situation der Frauen. Ich gebe auch das Iran Journal mit heraus. Es ist wichtig, weil das gemacht werden muss, über die Geschehnisse im Iran auf Deutsch zu berichten.

Auf welche Schwierigkeiten treffen Sie als Journalist?

Das Schwierigste für mich ist, die deutschen bzw. iranischen Medien zu überzeugen, ein vorgeschlagenes Thema auch zu beleuchten.

Was würden Sie heute über die iranisch-deutschen Beziehungen sagen?

Deutschland hat einen guten Ruf im Iran, weil es keine koloniale Vergangenheit in unserer Region hat. Deutschland hat Iran oft unterstützt – selbst als Hitler an der Macht war oder auch schon während der Weimarer Republik. Der Iran und Deutschland waren immer gute Freunde. Das Interessante dabei ist, dass die Opposition in Deutschland immer die Opposition im Iran unterstützt, und dasselbe gilt auch auf der Regierungsebene.

Was bedeutet der Iran für Sie persönlich?

Der Iran ist für mich das Land, wo ich die ersten Gerüche wahrgenommen und die ersten Schritte gemacht habe, die sich in meinem Gehirn so eingeprägt haben, dass es für mich viel mehr als eine Nation oder Heimat bedeutet. Der Iran ändert sich. Ich beobachte, was dort jetzt passiert und die Folgen dessen. Das ist eine sehr spannende Zeit. Zum ersten Mal denken die Iraner an ihre persönliche Freiheit. Es gibt überall in der Welt solche Entwicklungen, und es ist unmöglich, sie aufzuhalten.

Das Interview führte Schachnos Bachtijorowa.

Farhad Payar ist Chefredakteur des Online-Magazins „Iran Journal“. Er ist im Iran geboren und aufgewachsen. Mit 23 Jahren emigrierte er im Jahre 1980 in die Bundesrepublik Deutschland. Nach Abschluss des Politikstudiums an der Freien Universität Berlin begann Payar im Journalismus zu arbeiten. Neben verschiedenen deutschen Medien, wie zum Beispiel die Hörfunksender Radio Multikulti, den RBB, den WDR, den BR, die Deutsche Welle, ARTE und andere, arbeitete er auch für etliche persische Medien. Darüber hinaus schreibt er Drehbücher, ist als Schauspieler und Regisseur tätig. Farhad Payar berichtet im Interview frei und offen über seinen Lebensweg.

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