Die Berliner Foto-Künstlerin Loredana Nemes bringt eine Reihe von „Porträts“ nach Almaty. Arbeiten in Schwarz-Weiß, darunter die Serie „Under Ground“ mit Aufnahmen aus New York, Moskau, Paris, Berlin.
/’Erschöpftes Versinken statt Schlaf. Paar in der Metro, fotografiert von Loredana Nemes.’/
„In einer Station der Metro“ heißt ein Gedicht von Ezra Pound aus dem Jahr 1913. Es ist sein bekanntestes. Soll man es einen der wichtigsten Texte des 20.Jahrhunderts nennen? Der Text ist kurz, er geht so: „Das Erscheinen der Gesichter in der Menge / Blüten auf einem nassen, schwarzen Ast.“
Jemand steht in einem Metrowaggon, der langsam in die Station einfährt. Von dort sieht er, wie sich aus der einförmigen, noch anonymen Menge der Wartenden langsam die individuellen Züge der einzelnen Gesichter schälen. Aus der Masse werden Einzelne, Lebende in einer dunklen widerspenstigen Welt unter Grund.
Damit ist eine Grunderfahrung der Moderne beschrieben: Die Entdeckung der Individualität. Auf dem knappen Raum von zwei Versen hat Pound sie in ein eindrucksvolles Bild gebracht. Und der sorgfältige Autor hat im englischen Original des Textes bei „Erscheinen“ nicht „appearance“ getextet, sondern „apparition“ – das langsame Hervortreten der Gesichter, das sich erst nach und nach Zeigende. Dafür gibt es im Deutschen gar kein Wort.
Pounds Gedicht ist ein wenig wie eine Fotografie. Ein Moment, dessen Abbildung nur einen Wimpernschlag lang gedauert hat, schält sich heraus. So kann Fotografie funktionieren, und ein gutes Beispiel dafür sind die Bilder von Loredana Nemes. In den U-Bahn-Zügen verschiedener Metropolen – Berlin, New York, Paris, Bukarest – hat sie, die Rolleiflex in der Hand, Passagiere fotografiert.
Wie bei allen guten Bildern ist auch bei diesen Aufnahmen (s. Abbildung) das Nicht-Sichtbare gleichsam hineinfotografiert. Im unpersönlichen Licht dieses Metrowaggons wird schon der Abend angebrochen sein, die Frau und der Mann sind müde. Wie viele Metro-Menschen schlafen sie, aber der Schlaf ist kein Schlaf, sondern ein erschöpftes Versinken nach einem Tag, der alles abverlangt hat. Hitze, Lärm, Staub, Dauer-Kommunikation. Im Zustand zwischen Nacht und Tag sind beide ganz bei sich, mehr als sonst, in einer Welt innerhalb der Welt.
Das scheinbar „leichte“ Medium der Fotografie hat es heute nicht leicht. Allgegenwärtig ist die Bilderflut. Aber Kunst fordert Betrachtung heraus. Der Brite John Berger – einer der radikalsten Kunstkritiker der Gegenwart – hat dazu einmal klare Worte gefunden: „Was es für die Leute schwierig macht, Kunst zu entdecken, ist die Furcht, nicht sehen zu können. Weil Kunst als Expertensache gilt. ‚Sch…!´, muss man ihnen sagen. ‚Du musst gar nichts wissen!´“, schreibt Berger.
Die Ausstellung „Loredana Nemes – Porträts“, die verschiedene Serien umfasst, ist vom 18. bis zum 30. April in der Galerie Tengri Umai (Panfilow-Str. 103) zu sehen. Zur Eröffnung am 17. April, 19 bis 21 Uhr, ist die Künstlerin anwesend.
————————————————————————————————————–
Loredana Nemes wurde 1972 in Sibiu (Rumänien) geboren und lebt seit ihrem 14. Lebensjahr in Deutschland. Neben ihrer eigenen künstlerischen Arbeit hat sie verschiedene Lehraufträge für Fotografie wahrgenommen. In Almaty findet in Zusammenarbeit mit der Akademie der Künste und der Galerie Tengri Umai ein zweitägiger Workshop zur Porträtfotografie statt.
10/04/09