Es gibt Themen, über die ich hier an dieser Stelle gerne schreibe, und es gibt weniger angenehme Fragen. Dennoch muss man sich mit letzteren beschäftigen. Das leidige Thema Inflation gehört in diesen Themenkreis. Ich habe an dieser Stelle dazu bereits mehrfach Ausführungen gemacht, die eigentlich nicht zu wiederholen sind.

Doch in einigen wenigen der letzten Wochen, in einem für Inflationsprozesse ungewöhnlich kurzen Zeitraum hat sich die Situation in Kasachstan radikal gewandelt – klar und schnell zum Schlechteren. Die Inflation ist eindeutig außer Kontrolle geraten, da helfen auch die beschwichtigenden Aussagen von Regierungs- und Nationalbankenchefs und der regierungsnahen Presse nicht. Die Fakten sprechen ganz einfach eine andere Sprache und geben großen Anlass zur Beunruhigung.

Zu den Fakten: in den mittelfristigen Plänen von Nationalbank und Regierung im Bereich der Geldpolitik wird ein Inflationskorridor von 5 bis 7 Prozent angestrebt. Hierauf basieren viele Planungen, vor allem im Bereich der öffentlichen, also staatlichen Finanzen. Dazu gehören zum Beispiel die Planung der Staatsausgaben, in die natürlich die erwartete Inflation eingerechnet werden muss, sowie die Renten, soweit sie aus staatlichen Quellen kommen. Die genannte Zielmarke von maximal 7 Prozent Jahresinflation wurde bereits in den letzten zwei Jahren stabil überschritten und lag bei etwa 8,4 Prozent. Zu diesem bereits wenig erfreulichen Fakt gab es seitens der Verantwortlichen regelmäßig eine große Zahl beruhigender Kommentare im Sinne: Wir kämpfen und werden schon bald unter die Zielmarke kommen. Manchmal wurde gar laut von international einigermaßen vertretbaren Inflationsgrenzen von um die fünf Prozent geträumt. Doch im Oktober ist eine Preissteigerungslawine über das Land hereingebrochen, die durchaus ihresgleichen sucht. Innerhalb nur eines Monats sind viele Preise im zweistelligen Bereich gestiegen, so dass sich die Jahresinflation auf 15 Prozent hochgeschaukelt hat. Ob das das Ende der Fahnenstange ist, ist eher fraglich. Besonders stark sind dabei die Lebensmittelpreise mit über 20 Prozent gestiegen. Das trifft natürlich alle, insbesondere aber die Bezieher niedrigerer Einkommen, vor allem Rentner. Diese geben schließlich fast alles ihrer geringen Einkommen für Nahrungsmittel aus.

Nun kann beruhigend eingewendet werden, dass das Inflationsgespenst in den letzten Monaten eigentlich überall in der Welt wiederauferstanden ist. Ja, dem ist so. Nach der im Weltmaßstab letzten großen Inflationszeit in den 1970er Jahren, als Spitzenwerte von 10 bis 12 Prozent erreicht wurden, waren die Jahre danach und bis heute von einer weitgehenden Beruhigung der Lage an der Inflationsfront gekennzeichnet. Diese lag mit 2 bis 3 Prozent im Bereich der natürlichen und in diesen Größenordnungen sogar eher erwünschten Größe. Aktuell wird in der Eurozone ein Ansteigen der Preissteigerungsrate in 2007 auf bis zu 3 Prozent befürchtet, in den USA auf 4 Prozent. Solche Niveaus sind für die Industriestaaten schon unerwünschte Höhen, 8 oder gar 15 Prozent wären mindestens eine Katastrophe und würden unter anderem Regierungsrücktritte, Ablösung von Verantwortlichen im Geldbereich, steigendes Mißtrauen der Bevölkrung in die eigene Währung und Umschichtung in andere sowie eine intensive öffentliche Diskussion über Ursachen und Folgen auslösen. Hierzulande bleibt es dagegen sehr ruhig, was durchaus einen bestimmten Charme haben kann, jedoch meiner Meinung nach eher gefährlich ist, weil so die Gefahr besteht, dass nicht ernsthaft und konsequent „von oben“ die Inflationsbekämpfung vorangetrieben wird.

Eine zentrale realwirtschaftliche Ursache für die weltweil erwachte Inflation sind die hohen Energie- und Rohstoffpreise, für die es ihrerseits eine Reihe spezifischer Gründe gibt. Geldpolitisch ist die Hauptursache das niedrige Zinsniveau in den Jahren 2001 bis etwa 2005, wodurch die Geldmenge in Relation zur Warenmenge überproportional schnell angestiegen ist. Mit anderen Worten, es ist in den meisten Staaten ganz einfach zuviel nicht durch Waren gedecktes Geld im Umlauf, und das treibt natürlicherweise die Preise.

In Kasachstan wirken diese Gründe prinzipiell ebenfalls. Das Geldmengenwachstum ist dabei vor allem der Intervention der Nationalbank in die Wechselkurse (US-Dollar zum Tenge) zu verdanken.Um den Dollar auf dem heimischen Devisenmarkt nicht weiter abstürzen zu lassen, hat die Nationalbank regelmäßig große Mengen an nicht nachgefragten Dollar aufgekauft und mit Tenge bezahlt. Das waren in jedem Jahr doch einige hundert Milliarden Tenge, die zusätzlich zu den normalen geldpolitischen Instrumenten in den Wirtschaftskreislauf gelangt sind. Nur so ist ja unter anderem auch das enorme Bauvolumen finanzierbar (also über Immobilienkredite), das man jetzt in allen großen Städten Kasachstans beobachten kann.

Will man hierzulande nun die Inflationsgefahr wirksam und energisch bekämpfen – das hätte aber schon vor mindestens zwei Jahren beginnen müssen – ist es unvermeidbar, die Leitzinsen anzuheben und so die Kredite zu verteuern. Zusätzlich muß die Ausweitung der Liquidität der Geschäftsbanken deutlich verlangsamt werden. Solche energischen Schritte können natürlich nicht ohne Folgen für die Realwirtschaft bleiben, die ja objektiv auf regelmäßige Kreditfinanzierung angewiesen ist. Das Wirtschaftswachstum Kasachstans würde nach solchen Maßnahmen mit Sicherheit auf „nur“ 5 oder 6 Prozent fallen (zum Vergleich: aktuell etwa 10 Prozent, in Deutschland etwa 2 Prozent).

Die in mancher Hinsicht eher überehrgeizigen quantitativen Entwicklungspläne würden einen spürbaren Dämpfer bekommen. Dafür bestünde jedoch die Chance der Verbesserung einer Reihe qualitativer Aspekte des aktuellen Wirtschaftens. Ich bin gespannt, welche Strategie die Staatsführung wählt. Objektiv notwendig wäre eher die qualitative Variante.

Bodo Lochmann

23/11/07

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