Der einzige Reiseführer für Kasachstan in deutscher Sprache spricht Bände. Die 6. Auflage erscheint pünktlich im Jahr der EXPO. Eine Rezension aus kulturwissenschaftlicher Perspektive.

Es hat schon Touristen in Zentralasien gegeben, die in einem Restaurant in Kasachstan saßen und überrascht ausriefen: Oh, im Lonely Planet steht, man solle nicht des Essens wegen nach Zentralasien fahren, aber das hier schmeckt wirklich ausgezeichnet!

Reiseführer dienen also nicht nur der Orientierung vor Ort, sondern geben auch im Vorherein bereits einen ersten Einblick in den vielleicht noch nie besuchten Ort. Was ein Reiseführer ist und soll, ist nicht unbedingt festgelegt. Definitiv kann er eine wichtige Hilfe zur Vermeidung kultureller Crashs sein oder dabei unterstützen, wertvolle Zeit zu sparen. Er kann seine LeserInnen auf die Reise in ein bestimmtes Land vorbereiten oder ein Land erst für einen Besuch dort empfehlen. Der Reiseführer muss den Lesenden keine Anleitung sein, die befolgt werden muss. Vielmehr kann er Angebote machen, einen Ort auf eine bestimmte Weise zu erleben.

J. W. Goethe hat das Phänomen beschrieben, man könne nur sehen, was man bereits weiß. Natürlich: Wissen öffnet die Augen. Andererseits kann Wissen den Blick aber auch formen, lenken. Für den Reiseführer bedeutet dies, dass er zwar beim Entdecken eines neuen Ortes behilflich sein kann, dass der Preis der Vereinfachung aber immer auch Einschränkung bedeutet: Wie bei den oben beschriebenen Touristen in Kasachstan, welche sich zum Glück noch ein eigenes Bild gemacht haben.

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Der einzige Reiseführer für Kasachstan aus dem Trescher Verlag

©Trescher Verlag

Für Kasachstan existiert in deutscher Sprache nur ein einziger Reiseführer. Dementsprechend bewirbt dieser das zentralasiatische Land damit, dass es ein „bisher weitgehend unbekanntes Reiseziel“ sei.

Zur EXPO 2017, die dem Land voraussichtlich einen Aufschwung des Tourismus bescheren wird, ist im Februar dieses Jahres die 6. Auflage des Reiseführers im Berliner Trescher Verlag erschienen, der erstmals 2003 publiziert wurde.

Die Autorin des Reiseführers, Dagmar Schreiber, hat Jahre in Kasachstan gelebt und ist in der Tourismusbranche Kasachstans tätig. Sie ist selbst viel durch dieses Land gereist und hat dabei zahlreiche Kontakte geknüpft, bevor sie den Reiseführer verfasst hat.

Abenteuerreisen durch die Natur

Dass Kasachstan für westliche Länder großteils noch einen blinden Fleck darzustellen scheint, ist verwunderlich: Es ist immerhin das neuntgrößte Land der Erde und reich an Naturlandschaften, deren Weite europäische Länder in den Schatten stellt. Daher will der Ratgeber Reisenden vermitteln, dass sich hier insbesondere „Abenteuerreisen durch die Natur“ eigneten. Dennoch widmet der Band ebenso den großen Städten Almaty und Astana umfangreiche Kapitel, welche Interesse auch am städtischen Leben Kasachstans wecken. Gerade in großen Städten kann die Aktualität aller Tipps für Restaurants oder Nachtclubs, wie in jedem Reiseführer, nicht gegeben sein, da sie der Schnelllebigkeit des städtischen Lebens ausgesetzt sind. Dies ist jedoch nicht zu vermeiden, und in jeder Rubrik werden genügend Vorschläge gegeben, um niemanden leer ausgehen zu lassen.

Ein Reiseführer für alle

Der vorliegende Band erfüllt die Erwartung an einen herkömmlichen Reiseführer und hält dementsprechend Informationen, Tipps und Vorschläge für Reiserouten parat. Dabei wird dem Konzept des grünen Tourismus eine wichtige Rolle zugemessen. Der Reiseführer ist für ein breites Publikum gedacht, für Gruppen- sowie Individualreisende.

Ansprechende Gestaltung

Grundsätzlich besticht der vorliegende Reiseführer mit einer durchweg farbigen Gestaltung; zahlreiche Fotos und Karten sowie die übersichtliche Einteilung in Rubriken und Kapitel machen das Buch zu einem überschaubaren Ratgeber, der auch spontan als Nachschlagewerk dienen kann. Insgesamt sind die Texte in ansprechender Sprache geschrieben, die betont humorvollen Pointen können Lesende mögen oder auch nicht. Auch die rund 350 Farbfotos tragen dazu bei: Es darf geschmökert werden, und die Kapitel haben Wiedererkennungswert.

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Fotoauswahl

©Trescher Verlag

In Reiseführern sollen Fotos die textlichen Beiträge ergänzen und geben nicht selten einen romantischen Blick ins Landesinnere. Die so dargestellte Schönheit der Landschaften und Sympathie der Bevölkerung formen das Bild der Lesenden. Auch im vorliegenden Band über Kasachstan präsentieren Postkartenmotive kultureller und natürlicher Sehenswürdigkeiten sowie Fotos von Menschen das Beste des Landes: Lächelnde Kinder, traditionelle Trachten und einfache Leute vom Land. Die Auswahl der Fotos steht aber der sonst so häufig betonten Vielseitigkeit des Landes entgegen; recht einseitig und vor allem romantisch wirkt das hier abgebildete Kasachstan, das doch in den Texten des Reiseführers so facettenreich gezeichnet wird.

Gut recherchiertes Gesamtbild

Der 500-seitige Reiseführer gibt ein gut recherchiertes Gesamtbild des großen und vielseitigen Landes. Mit zahlreichen nützlichen Informationen, lesenswerten, kurzen Abschnitten über eine Vielzahl verschiedener Themen sowie teils kritischer Stellungnahme dient das Buch neben seiner Rolle als Reisebegleiter sowohl der Vor- und Nachbereitung einer Reise nach Kasachstan als auch der bloßen Recherche zu diesem Land. Dem Werbespruch des Trescher Verlags: „Mehr wissen. Besser reisen.“ macht damit auch der Kasachstan-Reiseführer alle Ehre.

Ein guter Einstieg

Insbesondere das Kapitel „Land und Leute“ bietet einen umfassenden Einstieg in viele für Kasachstan aktuell relevante Themen: Geografie, Geschichte, Politik und Wirtschaft, Bevölkerung, Kultur und Kunst. Hier tauchen die Lesenden in ein vielseitiges Bild Kasachstans ein und erfahren von seinen Bodenschätzen, der seltenen Saiga-Antilope und Naturschutzreservaten. Von Dzhinghis Khan und der Perestroika. Von den Unterschieden zwischen Kasachen und Kasachstanern und Stadt- und Landbewohnern. Von Kleidung über zeitgenössische Literatur bis hin zu kalten Vorspeisen der kasachischen Küche.

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Dieses Kapitel kann zwar für keines der Themen der Vertiefung dienen, dafür macht es neugierig auf mehr. Sechs folgende Kapitel teilen Kasachstan in sechs Regionen ein und lassen damit ein riesiges Gebiet annähernd übersichtlich erscheinen.

Abgerundet wird der Band durch umfangreiches zusätzliches Material im Anhang. Darunter fallen wichtige, übersichtlich aufbereitete Informationen über ärztliche Versorgung, Impfungen und wichtige Adressen, aber ebenso über Bestechungsgelder und für allein reisende Frauen. Des Weiteren werden Rezepte typischer kasachischer Gerichte, eine Literaturliste mit Tipps zur weiteren Vertiefung sowie ein relativ umfangreicher Sprachführer geboten, der russische und kasachische Wörter und Sätze sowie Hilfe zur Aussprache für den Laien bereithält. Dieses Material bietet auch nach einer erfolgreichen Reise die Möglichkeit, nostalgisch kasachische Literatur zu lesen oder kasachisch zu kochen.

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Extras geben subjektiven Eindruck

Zudem werden in zahlreichen „Extras“ von der Autorin aktuelle Themen in klarer Stellungnahme abgehandelt. So wird auf den weltberühmten Film „Borat“ eingegangen, das Verschwinden des Apfels aus Almaty betrauert, die Bauweise einer traditionellen Jurte beschrieben oder der Frage nachgegangen, ob es überhaupt noch Nomaden gäbe. Diese Erfahrungsberichte oder subjektiven Eindrücke sind lesenswert, da aus ihnen Sorge um und Liebe zu einem Land spricht, das sich seit Jahren im Umbruch befindet. Auch ist daraus eine lange und gründliche Auseinandersetzung mit der jungen Republik zu schließen, die auch jeden Kurzbesucher liebevoll in den Diskurs über Kasachstan einführt.

Pauschalisierte Aussagen

In diesem Sinne wird das Handbuch durch die Subjektivität der Autorin bereichert. An einigen Stellen jedoch enttäuscht der Reiseführer mit pauschalen Aussagen, die im Kontrast zur sonst gelungen differenzierten Vorstellung des hier präsentierten Landes stehen. So wird zum Beispiel eine treffende, aus mehreren Perspektiven gespeiste Beschreibung der Rolle der Frau in Kasachstan mit der wiederum verallgemeinernden Aussage abgeschlossen: „Reisenden wird vor allem eines auffallen: Frauen in Kasachstan sind schön, selbstbewusst und ausgesprochen weiblich.“

An anderer Stelle wird mit der Gastfreundschaft der Kasachen geworben. Aussagen wie: „Zu Gast bei Menschen, die sich trotz – oder wegen? – einfacher Lebensumstände eine natürliche Herzlichkeit bewahrt haben“ bedienen sich alter Klischees und können, bewusst oder unbewusst, Erwartungen und Selbstverständlichkeiten bei den Reisenden schaffen.

Bilanz

Vielleicht hat schon längst die Stunde geschlagen, dem herkömmlichen Reiseführer eine neue Form zu geben. Dann wären einzelne Aussagen und Fotos des beliebten Handbuchs, welche sich etablierter Klischeebilder bedienen, nicht mehr notwendig, um Interesse für ein Land zu wecken. Weder Vorurteile noch Romantisierung würden bedient werden und damit der Reise – als Austausch auf Augenhöhe – eine andere Basis geben.

Zusammenfassend ist aber zu betonen, dass für Interessierte der Kasachstan-Reiseführer aus dem Trescher Verlag eine solide Grundlage für eine Reise in das neuntgrößte Land der Erde bietet. Kaum Fragen bleiben offen und gegebene Anregungen sind gut recherchiert. Der Reiseführer zeichnet sich dadurch aus, umfassende Informationen zu dem in Deutschland noch unbekannten Land Kasachstan aufbereitet zu haben. Der liebevolle Blick der Autorin gibt einen tiefen Einblick in relevante Themen, und zudem zeichnen die Texte großteils ein differenziertes Bild des vielseitigen Landes.Und eindeutig möchte der Reiseführer die Aussage vermitteln: Ein Besuch in Kasachstan lohnt sich! Und darin werden wohl alle übereinstimmen.

Trescher Reiseführer Kasachstan – mit Almaty, Astana, Tienschan und Kaspischem Meer, 6. Auflage 2017, 504 Seiten, 24,95 Euro.

Inés Noé

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