Die russische Invasion in der Ukraine und die Reaktion des Westens darauf halten auch die kasachische Wirtschaft in Atem. Michael Quiring von Rödl & Partner verrät im Gespräch mit der DAZ, was die aktuelle Situation für deutsche Unternehmen bedeutet, die in Kasachstan aktiv sind.
Herr Quiring, 2014/15 fiel der Tenge mit dem fallenden Ölpreis, heute steigen die Ölpreise dagegen. Experten machen für den Absturz diesmal den hohen Anteil Russlands an den Importen Kasachstans verantwortlich. Können Sie diesen Zusammenhang erklären?
Die Wirtschaft Kasachstans ist eng mit der russischen Wirtschaft verbunden. Die Mitgliedschaft beider Staaten in der Eurasischen Wirtschaftsunion bietet in diesem Zusammenhang günstige Voraussetzungen mit der Folge, dass der Anteil Russlands an den kasachischen Importen vergleichsweise groß ist. Dies kann als Ursache für die Abwertung der kasachischen Währung gesehen werden. Auf der anderen Seite ist aber zu bedenken, dass die Abwertung des kasachischen Tenge im Vergleich zu 2015 mit nur 15 Prozent in 2022 geringer ausgefallen ist, als von einigen Experten prognostiziert. Insofern ist die Situation mit 2014/2015 nur teilweise vergleichbar.
Die in 2015 stattgefundene starke Abwertung der kasachischen Währung war damals damit zu erklären, dass die kasachische Regierung ihre Währungspolitik geändert hat. Statt den Wechselkurs der kasachischen Währung wie in 2015 dauerhaft zu stützen, hat die kasachische Nationalbank davon nunmehr weitestgehend abgesehen. Auch wenn derzeit die kasachische Nationalbank den Kurs des Tenge durch Käufe stützt, ist abzusehen, dass eine weitere Abwertung der kasachischen Währung im Vergleich überschaubar bleibt. Der Anstieg der Ölpreise führt andererseits dazu, dass der kasachische Tenge weiter an Stärke gewinnen wird. Der Umstand, dass dies noch nicht erfolgt ist, liegt daran, dass die Märkte in erster Linie emotional reagiert haben. Was zu einer vergleichsweise starken, aber meiner Ansicht nach lediglich kurzfristigen Abwertung geführt hat.
Was bedeutet die Tenge-Schwäche für deutsche Unternehmen auf dem kasachischen Markt?
Eine wichtige Frage. Es muss unterschieden werden, in welcher Art und Weise deutsche Tochterunternehmen, die bereits in Kasachstan anwesend sind, von der Veränderung des Wechselkurses der kasachischen Währung betroffen sein könnten. Auf der anderen Seite müsste geschaut werden, inwieweit sich das auch auf deutsche Unternehmen auswirkt, die ihre Waren nach Kasachstan liefern. Für den Fall von Exporten nach Kasachstan ist zunächst festzustellen, dass sich die Importe für kasachische Unternehmen in Folge der Abwertung der kasachischen Währung verteuern werden. Dies kann wiederum dazu führen, dass kasachische Unternehmen weniger Waren aus Deutschland importieren werden. Auf der anderen Seite müsste natürlich beachtet werden, dass ein großer Teil von Aufträgen von staatlichen bzw. quasi staatlichen Unternehmen vergeben werden. Infolge der steigenden Ölpreise stehen bzw. werden in absehbarer Zeit größere staatliche Mittel zur Verfügung stehen, was sich jedenfalls auch positiv auf die Importe auswirken kann.
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Hinsichtlich deutscher Unternehmen, die in Kasachstan bereits ansässig sind, ist festzustellen, dass die derzeitigen Schwächen der kasachischen Währung zu durchaus positiven Effekten führen. Sinkende Personalkosten, jedenfalls bei einer Betrachtung in Euro und Kostenvorteile bei Mietpreisen dürften zu nicht unerheblichen Einsparungen führen. Auf der anderen Seite müssen natürlich die in der Bilanz auszuweisenden Verluste bzw. Gewinne aus Wechselkursdifferenzen beachtet werden. Mit Blick auf die innere wirtschaftliche Lage des Unternehmens kann die Schwäche der kasachischen Währung zu zusätzlichen Aufwendungen bzw. zusätzlichen Gewinnen aus Wechselkursdifferenzen führen, die ihrerseits in Kasachstan versteuert werden müssen. Weitere Effekte sind unternehmensbezogen in jedem Einzelfall zu betrachten.
In welchen weiteren Bereichen haben die Sanktionen Auswirkungen auf die kasachische Wirtschaft und hier tätige deutsche Unternehmen?
Zunächst ist klar zu sagen, dass sich westliche Sanktionen überhaupt nicht gegen kasachische Unternehmen oder kasachische Staatsbürger richten. Es gibt keine Sanktionen gegen Kasachstan. Eine andere Frage ist, ob die gegen russische Unternehmen und russische Staatsbürger verhängten Sanktionen sowie Ausfuhrverbote bei einzelnen Waren und Technologien sich auf die kasachische Wirtschaft auswirken. Auf der einen Seite steigt der administrative Aufwand bei der Bearbeitung von Warenlieferungen von Kasachstan nach Russland. Im Rahmen einer Compliance-Überprüfung („know your customer“) müssen auch kasachische Unternehmen und damit auch deutsche Tochterunternehmen in Kasachstan stets prüfen, ob durch die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit russischen Unternehmen möglicherweise sanktionsrechtliche Folgen ausgelöst werden könnten. Der entsprechende Aufwand kann einstweilen noch nicht genau beziffert werden, da nach und nach Sanktionen der westlichen Staaten erweitert werden.
Auf der anderen Seite bieten Sanktionen gegen Russland Chancen sowohl für Mitgliedstaaten der Eurasischen Wirtschaftsunion als auch für weitere Staaten in Zentralasien. Wir haben eine Vielzahl von Anfragen von deutschen Unternehmen, die bislang in Russland engagiert waren und es sich nunmehr überlegen, ihre Aktivitäten nach Kasachstan zu verlagern. Insoweit haben die Sanktionen gegen Russland durchaus positive Auswirkungen auf die kasachische Wirtschaft.
Wäre eine solche Verlagerung der Aktivitäten von Russland nach Kasachstan überhaupt so ohne weiteres möglich? Was ist dabei zu beachten?
Die Eurasische Wirtschaftsunion ist nicht nur von Russland, sondern auch von Kasachstan, Armenien, Kirgistan und Belarus gegründet worden. Der wirtschaftliche Verbund entwickelte sich aus einer Zollunion und hatte bereits das Ziel, den Austausch von Waren, Kapital und Dienstleistungen zu erleichtern. Der Grundsatz der Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der Mitgliedstaaten der EAWU dürfte es auch deutschen Unternehmen leichter machen, das gut ausgebildete russische Personal nach Kasachstan zu versetzen. Hier ist es jedenfalls zum Vorteil, dass in Kasachstan eben Russisch gesprochen wird. Sicherlich wäre es utopisch zu behaupten, dass die in Russland langjährig aufgestellten Produktionsanlagen von heute auf morgen nach Kasachstan verlagert würden.
Ungesehen der Frage, ob, und wenn ja, zu welchem Zeitpunkt sich Kasachstan als Produktionsstandort anbietet, muss die Lage meiner Auffassung nach pragmatisch betrachtet werden. Wie schnell kann ein deutscher Automobilhersteller sein Werk in Russland abbauen und es in Kasachstan wieder aufbauen?! Allerdings bieten sich für Kasachstan durchaus Chancen, ein Hub zwischen dem Westen und Russland zu bilden. Dies betrifft nicht nur die Frage der Warenlieferung über Kasachstan nach Russland (natürlich nur solcher, die nicht unter die Sanktionen fallen), sondern auch die Frage, dass von Kasachstan aus Vertriebsaktivitäten in anderen zentralasiatischen Staaten wie in Usbekistan organisiert werden können. Unserer Kenntnis nach haben einige deutsche Unternehmen ihre Vertriebsaktivitäten in Zentralasien früher von Moskau aus gesteuert. Nunmehr bietet sich für Kasachstan eine Chance, dass Unternehmen – darunter auch deutsche – ihre Vertriebsaktivitäten nach Kasachstan verlagern, um nicht nur den kasachischen Markt, sondern auch den benachbarten Markt in Usbekistan zu erkunden.
Was würde ein Öl- und Gasembargo gegen Russland für Kasachstans Energielieferungen bedeuten?
Vergangene Woche kursierten verschiedenste Meldungen, dass das kasachische Erdöl und kasachische Gaslieferungen, die durch entsprechende Pipelines über Russland nach Europa transportiert werden, möglicherweise von einem Öl- und Gasembargo betroffen sein könnten. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass US-amerikanische Unternehmen eine höhere Beteiligung an erdölfördernden kasachischen Unternehmen haben. Tengizchevroil ist hier ein gutes Beispiel. Es ist demnach nicht zu erwarten, dass kasachische Energielieferungen unter die Geltung der Sanktionen gestellt werden, da sich die Sanktionen an sich nur ausschließlich gegen Russland richten sollen. Eine entsprechende Klarstellung hat es bereits seitens der US-amerikanischen Behörden gegeben. Dies bedeutet, dass ein potenzielles Öl- und Gasembargo, das bereits seitens der USA gegen Russland in Kraft getreten ist, zunächst keine Auswirkungen auf die kasachische Energielieferungen haben wird.
Wie stellen sich deutsche Firmen hier auf die neuen Unsicherheiten ein?
Auf die Frage lässt sich keine einheitliche Antwort geben. Meiner Ansicht nach sind deutsche Unternehmen, die bereits seit 2009 mehr als eine Abwertung der Lokalwährung miterlebt haben, hier bestens aufgestellt. Der deutsche Mittelstand hat in Kasachstan bislang sehr schnell und sehr flexibel auf jede Veränderung reagiert.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Christoph Strauch.