„Die Welt ist so klein“ lautet eine Redewendung. Das sagt man immer dann, wenn man jemanden völlig unerwartet sonst wo, aber weit entfernt vom Heimatort trifft; wenn man mit fremden Menschen, die man gerade erst kennenlernt, feststellt, dass man in einem anderen Winkel der Erde gemeinsame Bekannte hat.
Die Redewendung ist alt und stimmte schon damals, als noch nicht von Globalisierung die Rede war. Heute stimmt sie noch mal mehr und bestätigt sich mehrmals täglich. Zum Beispiel, wenn ich per SMS Geburtstagsgrüße aus Shanghai und Hongkong bekomme. Wenn mir Freunde, die ich in Wladiwostok kennen gelernt habe, aus Deutschland oder den USA mailen. Wenn ich über Rostock, wo ich ein Geschäftstreffen mit Leuten aus Vietnam, Belarus und der Türkei habe, über Tschechien, wo ich ein Seminar gebe, an dem junge Menschen teilnehmen, die in Mittel- und Osteuropa arbeiten, nach Wien fahre, wo ich eine Freundin treffe, mit der ich in Russland gearbeitet habe; wenn ich ihr Grüße von dem deutschen Seminarleiter in Tschechien ausrichte, mit dem sie im Balkan gearbeitet hat und den ich in Köln kennen gelernt habe. Wenn wir überlegen, einen Freund, mit dem wir durch den Ural gereist sind, in der Slowakei zu besuchen, wo er jetzt mit Frau und Hund lebt. Und wenn in ihrer Wohnung noch ihr Schwager, der aus den USA stammt, wohnt, während ihre Schwester, also seine Frau, in Australien weilt. Wenn ich einen Anruf von einem Freund aus Washington per Handy erhalte und ich ihn völlig gut und klar verstehe und das Telefonat gar nicht so teuer ist und er mir die Möglichkeit eröffnet, einmal für ein paar Wochen auf ein bezahltes Praktikum vorbeizuschauen. Und wenn ich dann meine Freundin zum Bus bringe, mit dem sie mit einer gewissen Selbstverständlichkeit nach Sarajevo fährt, wo sie nun für eine geraume Zeit lebt und arbeitet. Und wenn ich von Wien aus mit meiner Redakteurin der DAZ in Kasachstan verhandle, ob noch ein Kommentar aussteht oder nicht und bis wann ich ihn schicken müsste. Und wenn ich in Frankfurt eine Bekannte treffe, die dort mit ihrem Ehemann lebt, den sie sich von ihrem mehrjährigen Aufenthalt in Afrika mitgebracht hat. Und wenn ich bei meinem neuen Auftraggeber im Büro vorbeischaue und dort ein Afrikaner ist, der lange Zeit in London gelebt hat und ein Iraker und sonst noch Mitarbeiter aus anderen Erdteilen. Wenn mir der Projektleiter von einem internationalen Jugend-Camp berichtet, an dem Jugendliche aus Portugal, Estland, Irland und der Türkei teilgenommen haben. Wenn ich mir eine ayuvedische Massage von einem Ehepaar verpassen lasse, das immer die Hälfe des Jahres in Indien lebt. Wenn mein indischer Arbeitskollege aus dem Pflegeheim und ich zufällig einen gemeinsamen indischen Bekannten haben, der nun wieder dort lebt und eine deutsche Freundin ausgerechnet in diese Region reist und ihn dort womöglich trifft und persönlich Grüße von mir übermittelt. Wenn ich mich mit einer Freundin, die ich in Fernost kennen gelernt habe, in St. Petersburg treffen werde usw. Und wenn wir auf diese Weise ständig mühelos Tausende Kilometer und viele Stunden Zeitunterschied überwinden und sich unsere Wege immer wieder überkreuzen, dann kann einem die Welt schon ziemlich klein vorkommen. Geradezu winzig!
Julia Siebert
31/08/07