Die Hochschulen werden hierzulande regelmäßig per Fax aus dem zuständigen Ministerium – genauso oft aber auch aus dem Akimat – aufgefordert, diesen oder jenen Auftritt des Präsidenten mit den Mitarbeitern und Studenten auszuwerten.

Langgediente Ortskollegen meinen, dass die Anzahl von Anweisungen solcher Art im Vergleich zur Sowjetzeit nicht unbedingt zurückgegangen sei. Man kann dazu geteilter Meinung sein, ich jedenfalls bin erst durch ein solches Fax vor ein paar Tagen auf eine Rede des Präsidenten und Vorsitzenden der Partei „Nur Otan“ aufmerksam geworden.

Gewöhnlich werden strategische Aussagen derartigen Kalibers gesammelt und mit der „Botschaft des Präsidenten an das Volk“ im Februar oder März verkündet. Wahrscheinlich hat aber auch die Krise ihre Rolle gespielt, also die Notwendigkeit, einerseits beruhigend zu wirken, andererseits der Gedanke, „die Krise als Chance“ auch wirklich zu nutzen.

Wichtig scheinen mir zunächst die vielleicht banal klingenden Aussagen, dass „keine Krise ewig dauert“, dass „zuerst die Wirtschaft kommt und dann die Politik“ und dass „die Grundprinzipien der Marktwirtschaft nicht angetastet“ werden. Letzteres ist bemerkenswert, schließlich besetzt der Staat im Moment mit mächtigen Schritten eine ganze Reihe von Positionen in der Wirtschaft, was langfristig eher nicht gut sein dürfte.

Die Hauptaussage der Präsidentenrede aber war, dass ab 2010 nun das Jahrfünft einer „forcierten industriell-innovativen Entwicklung“ beginnt. Nun aber wirklich und unwiderruflich. Zur Erinnerung sei gesagt, dass bereits 2003 ein Strategiepapier zur industriell-innovativen Entwicklung mit dem Ziel der Diversifizierung der Wirtschaft Kasachstans bis 2015 verabschiedet wurde, jedoch bis jetzt noch keine greifbaren Endergebnisse gebracht hat. Allerdings wurde durchaus eine gewisse Infrastruktur für Innovationsaktivitäten (Technoparks, spezielle Fonds und anderes) geschaffen, so dass eine gezieltere Strukturpolitik mit Hilfe von Innovationen realistisch erscheint.

Der als eine Art „moderne Industrialisierung“ bezeichnete Innovationsstoß soll Kasachstan bei der Diversifizierung der Wirtschaft prinzipiell und auf breiter Front voranbringen. Dafür sind nicht weniger als sieben sehr komplexe Stoßrichtungen geplant. Das sind:

1. Die Landwirtschaft. Ihr Anteil am Export soll auf 8 Prozent, der am Nationaleinkommen auf 16 Prozent steigen. 10.000 neue Arbeitsplätze sollen hier entstehen.

2. Die Bau- und die Baumaterialienindustrie. Bis 2015 sollen 80 Prozent aller benötigten Baustoffe aus heimischer Produktion stammen (zur Zeit wird etwa die Hälfte importiert).

3. Die Ölindustrie. Der Bedarf an Benzin und Flugkerosin soll komplett aus Eigenaufkommen gedeckt werden. Ein spezielles Programm soll die Aus- und Umrüstung der Streitkräfte auf eine moderne technologische Basis sichern.

4. Die Metallurgie soll Produktion und das Exportvolumen verdoppeln, bei gleichzeitiger Erhöhung des Veredlungsgrades der Ausgangsstoffe.

5. Die chemische Industrie, die Pharmaerzeugung und die Herstellung militärischer Güter. Hier soll zum Beispiel die Erzeugung von Medikamenten im Lande auf 50 Prozent des Bedarfs angehoben werden.

6. Der Transport- und Logistikbereich. Kasachstan soll sich zu einem qualitativ konkurrenzfähigen Transitland entwickeln.

7. Die Energieintensität der gesellschaftlichen Produktion soll bis 2015 um 10 Prozent sinken.

Mit diesem Fünfjahrplan werden fast alle Produktionszweige angesprochen. Man kann sich schon aus diesem Grunde über die Realisierbarkeit eines solchen Programmes streiten.

Schließlich gelingt es eigentlich keiner Volkswirtschaft, in allen Bereichen des Wirtschaftens gleichmäßig leistungsfähig zu sein. Deutschland, das immerhin Weltmeister im absoluten Exportvolumen ist, erzielt diese Umsätze letztlich mit einer Handvoll von Wirtschaftzweigen, während mindestens die gleiche Anzahl von Branchen auf den Weltmärkten nichts zu melden hat. Kritischer sehe ich jedoch, dass die Unternehmen, die hinter den kurz aufgelisteten Entwicklungsrichtungen stehen, kaum in die Erarbeitung der strategischen Ziele einbezogen wurden. Einmal mehr hat der Präsident die Verantwortung voll auf die Regierung gelegt und die Unternehmer nicht angesprochen. Allein mit administrativen Maßnahmen aber wird sich auch der ehrgeizigste Entwicklungsplan nur schwer umsetzen lassen.

Bodo Lochmann

12/06/09

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