An einem gewöhnlichen Mittwochabend in Berlin entschied ich mich spontan, zu einer Lesung zu gehen. Die Journalistin Ira Peter stellte ihr Buch „Deutsch genug? Warum wir endlich über Russlanddeutsche sprechen müssen“ vor – und ich wusste: Da muss ich hin.

Schon beim Ankommen war klar, dass dieser Abend ein besonderer sein wird. Der Saal im Maschinenhaus der Kulturbrauerei war bis auf den letzten Platz gefüllt. Es herrschte gespannte Aufmerksamkeit, alle warteten gespannt auf den Vortrag, viele mussten dabei sogar stehen. Und die Bücher? Nach der Lesung restlos ausverkauft.

Stimme einer Generation

Ira Peter las ruhig, konzentriert und sehr bewusst ausgewählte Passagen. Ihre Ausschnitte waren nach meinem Geschmack genau richtig gewählt – nicht zu lang, nicht zu kurz, emotional ohne Pathos. Man spürte, wie sehr das Thema sie betrifft. Und man merkte an den Reaktionen im Raum: Sie sprach für viele. Es wurde viel genickt, geschwiegen, nachgedacht.

Ira Peter ist Journalistin und kam als Kind aus Kasachstan nach Deutschland. Ihre Lebensgeschichte ähnelt der von vielen Russlanddeutschen, die zwischen zwei Kulturen aufwuchsen – und oft das Gefühl hatten, nirgendwo ganz dazuzugehören. In ihrem Buch erzählt sie von Scham und Schweigen und von der langen Suche nach Zugehörigkeit. Sie benennt, was andere nur andeuten, und gibt damit einer Gemeinschaft eine Stimme, die in der deutschen Öffentlichkeit bislang kaum gehört wurde.

Besonders eindrücklich war ein Moment, als der Moderator fragte: „An wen würden Sie dieses Buch verschenken?“ Aus dem Publikum kamen Antworten wie: „An meine Mutter, meine Tante, meine Großeltern.“ Und Ira selbst? Sie sagte, sie wünsche sich, dass es ihre Schwester liest. Denn dieses Buch richtet sich nicht nur an die Vergangenheit – sondern an jene, die heute und hier leben. An die jüngere Generation.

Persönlich, politisch, notwendig

Die Lesung war mehr als eine Buchvorstellung – sie war ein politisches Statement. Unter den Gästen befanden sich nicht nur viele einfache Russlanddeutsche, sondern auch Persönlichkeiten wie Natalie Pawlik, die seit Oktober 2021 Bundestagsabgeordnete ist und seit 14.04.2022 auch die Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten. Das zeigt: Das Thema ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Der Titel des Buches ist eine Frage – und sie war den ganzen Abend spürbar im Raum. Deutsch genug? Was heißt das eigentlich – und für wen? Wer darf sich zugehörig fühlen, wer wird ausgeschlossen, wer bleibt dazwischen? Ira Peter geht diesen Fragen auf den Grund – mit der Perspektive einer Frau, die in Kasachstan geboren wurde und seit ihrer Kindheit in Deutschland lebt.

Sie erzählt von familiären Wunden, von alten Erwartungen, von Integrationsdebatten, die viel zu oft an der Lebensrealität vorbeigehen. Und davon, wie stark das Bedürfnis nach Anerkennung und Zugehörigkeit noch heute in der russlanddeutschen Community lebt.

„Eine Geschichte von über zwei Millionen“

In der anschließenden Diskussion sprach Ira offen darüber, wie es überhaupt zu diesem Buch kam – und wie wenig sie selbst anfangs daran glaubte, dass sich ein Verlag für dieses Thema interessieren würde. Dass es heute Realität ist, ist auch ihrer Agentin und dem Verlag zu verdanken, die das Potenzial der Autorin und die Dringlichkeit des Themas früh erkannt haben.

Ein Satz von Ira bleibt mir besonders im Kopf: „Meine Geschichte ist nur eine von über zwei Millionen und jede einzelne davon ist erzählenswert.“ Das Buch von Ira Peter ist nicht nur für Russlanddeutsche relevant. Es spricht alle an, die sich mit Herkunft, Zugehörigkeit und Identität auseinandersetzen. In einer Zeit, in der Debatten um Migration, Integration und gesellschaftlichen Zusammenhalt oft von Klischees geprägt sind, bietet dieses Buch eine echte Perspektive.

Ich bin an diesem Abend mit einer Frage gekommen – und ging mit vielen neuen Gedanken. Die wichtigste Frage aber bleibt: „Deutsch genug?“ – Und? Haben Sie darauf eine Antwort? Danke, Ira Peter, für diesen Abend und für dieses Buch.

Tipp: Wer nicht dabei war, sollte sich das Buch unbedingt besorgen – es bietet viel Stoff zum Nachdenken und zum Gespräch.

Kristina Larina

Teilen mit:

Hinterlasse eine Antwort

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein