Als Julia Burkhart und ihre Freundin in Uralsk ankamen, hatten sie zwar schon vermutet, dass sie dort die einzigen Austauschstudentinnen aus Deutschland sein werden – doch dann waren sie die einzigen ausländischen Studenten überhaupt. Im August 2009 begann für die 23-jährige Publizistik-, Geographie- und Russistik-Studentin der Uni Mainz ein Abenteuer der besonderen Art: Sieben Monate zwischen verlotterten Studentenwohnheimen, neugierigen Blicken und Stöckelschuhen im Schnee. Ein wenig sarkastisch erzählt Julia von ihren Erlebnissen in der 250.000-seelengroßen Regionshauptstadt von Westkasachstan. Und trotzdem hat es ihr in Kasachstan gefallen: Im Sommer kommt sie zurück – für ein Praktikum bei der DAZ.
/Bild: Privat. ‚Dick eingepackt ins neue Jahr: Austausch-studentin Julia Burkhart (Mitte) in Uralsk.’/
Was hat dich in Uralsk am meisten überrascht?
Eigentlich war jeden Tag über irgendetwas verwundert. Darüber, dass das Fleisch, das später auf dem Markt verkauft wird, unverpackt im offenen Hinterlader transportiert wird. Darüber, dass die Eisfischer keine Handschuhe tragen, ohne dabei vor Kälte zu heulen. Darüber, dass die Studenten trotz Minus 25 Grad dazu gezwungen werden, ihre Jacken an der Uni-Garderobe abzugeben. Am Anfang habe ich darüber noch mit den Wächtern am Eingang gestritten. Aber irgendwann habe ich dann – wie so oft – einfach resigniert.
Wie würdest du die kasachstanische Realität beschreiben?
Ein gutes Beispiel: Die Frauentoiletten in der Uni haben keine Türen – aber andererseits drehen sie an der Uni-Außenfassade jedes Steinchen um. Das Gebäude sieht von außen tip-top aus, da kann selbst die Uni Mainz nicht mithalten. Dabei würde ich dem Uralsker Dekan eher vorschlagen, mal lieber in ein paar ordentliche Toilettentüren zu investieren. Aber so ist die Mentalität in Kasachstan oft: Hauptsache der schöne äußere Schein bleibt gewahrt. Wo der Deutsche erst mal eine grundlegende Reparatur macht, um das Problem bei der Wurzel zu packen, nimmt der Kasachstaner einfach einen Eimer Lackfarbe und gut ist’s.
Abgesehen von der Fassade – Was ist an deutschen Hochschulen noch anders als in Kasachstan?
Bei uns bedeutet Studieren Freiheit der Gedanken. Zumindest war das beim Magister-Studium noch so. Das Hochschulsystem in Kasachstan ist dagegen eher ein Schulsystem: Da sitzen die Schülerchen mit ihren Heftchen in der Bank und der Lehrer diktiert ihnen etwas. Ein Examen in Uralsk besteht darin, 300 Fragen auswendig zu lernen.
Die meisten jungen Leute studieren, um danach möglichst schnell einen guten Job zu kriegen und das große Geld zu verdienen, dann heiraten sie schnell und kriegen selbst wieder Kinder. Um einfach sich selbst etwas Neues zu erfahren, studieren die wenigsten – das Studium muss einen praktischen Nutzwert haben.
Wenn du noch einmal zwischen Uralsk und Almaty wählen könntest, wohin würdest du heute gehen?
Ich mag Almaty, hier sind die Leute in ihren Ansichten offener. Es ist eben eine Großstadt, die Leute sind schon an Ausländer schon gewöhnt.
Anders in Uralsk: Als Ausländer starren dich dort viele Leute auf Schritt und Tritt an. Das war zwar manchmal unangenehm. Aber andererseits waren auch fast alle interessiert daran, mit mir zu reden und haben sich dafür interessiert, was mich nach Kasachstan verschlagen hat. So war ich gezwungen, Russisch zu sprechen. Schon alleine deshalb würde ich wieder nach Uralsk gehen. Außerdem habe ich hier auch einige sehr gute Freunde gefunden.
Wirst du Uralsk vermissen?
Ich habe in Uralsk einige Male Deutschland ganz schön vermisst. Dann war ich kurz in Deutschland – aber nach zwei Tagen dachte ich: Mann, ist das langweilig hier. Und zum Schluss habe ich mich richtig gefreut, als ich wieder in mein kasachstanisches Nest zurückfliegen konnte.
Interview: Andrea Rüthel
16/04/10