Wir alle wünschen uns Frieden. Ein friedliches Miteinander auf allen Ebenen – in der Familie, im Arbeitsleben, in der Nachbarschaft, zwischen den Völkern und Kulturen, zwischen Zivilisation und Natur, Mensch und Tier. Aber wie geht das?

Im Miteinander mit irgendetwas oder irgendjemandem stellt sich immer wieder die Frage, wie viel Recht und Raum nehme ich mir, wie viel gestehe ich dem anderen zu, wo übe ich Verzicht, wie viel Egoismus ist gesund? Mit den Menschen kriege ich das nach einer harten Lebensschule immer besser hin. Mit der Natur fällt mir das immer noch schwer. Die Natur dringt immer mehr in meinen Lebensraum ein. Im Hof wuchert das Unkraut. Haus und Hof werden zunehmend von Spinnen umsponnen. In den Ecken und Ritzen krabbelt allerhand kleines Getier. Was soll ich davon halten?

Einerseits fühle ich mich nicht im Recht, getreu dem Motto: „Das ist mein Heim!“ alles auszumerzen, was mir in die Quere kommt. Denn die Natur war schließlich vor mir hier und kennt auch keine vertraglichen Regelungen, Mietverträge und so was alles. Alle Tierarten, auch die, die mir nicht so zusagen, haben klar ihre Daseinsberechtigung und fördern wahrscheinlich noch mein Wohlbefinden, indem sie für die Aufrechterhaltung irgendwelcher bekannten und ungeahnten Kreisläufe und Gleichgewichte sorgen, ohne die uns sonst was abhanden käme. So weit so gut.

Andererseits fühle ich mich bedrängt, wenn ich alle naselang, vorzugsweise mit dem Gesicht, durch Spinnennetze laufe oder durch sie hindurchgreife und etwas auf mir herumkrabbelt und mich kitzelt. Und wenn Pflanzen sich ins Gemäuer fressen und die Fugen angreifen, ist das auch übergriffig. Heute hat noch mal ein besonderer Härtefall meine Glaubensgrundsätze in Frage gestellt. Ich bin zum x-ten Mal mit dem Kopf durch ein Spinnennetz gelaufen – was nicht schön, aber auch nicht wirklich schlimm war. Später fischte ich mir einen kleinen Knubbel aus dem Haar, was sich als eine spinnennetzumwobene Biene entpuppte. Sie zappelte noch, so weit man eben noch zappeln kann, wenn man von einem klebrigen Netz eng umschnürt ist. Da lief ich also stundenlang mit einer sterbenden Biene im Haar herum. Nicht so dekorativ. Ich versuchte noch, das Bienlein zu befreien, ohne sie durch meinen Rettungsversuch zu zerdrücken oder ihr sämtliche Flügel und Knochen (oder was die Bienen so haben) zu brechen. Leider keine Chance. So ein Spinnennetz sitzt bombenfest. Also gab ich ihr den Todesstoß, um sie von ihren Qualen zu erlösen. Das hängt mir jetzt noch nach.

Wenn ich also den Spinnen ihren Lauf lasse, weil sie zwar nicht schön aber nützlich sind, fangen sie mir aber, weil ihre Nützlichkeit darin besteht, andere Tiere zu fressen, die Bienen weg, die ja ihrerseits sehr nützlich sind und die ich hübscher finde als Spinnen. Zwar geht es im Leben nicht ums Hübschsein und ich will mich ja nicht in die Naturkreisläufe einmischen, die gewiss ihren Sinn haben, aber schließlich vollziehen sich diese brutalen Taten doch auf meinem Territorium, und so möchte ich ein gewisses Mitspracherecht geltend machen. Erst recht, wenn ich mit sterbenden Bienen auf dem Kopf herumlaufen muss. Ich werde wieder die Regie übernehmen, beherzter durchgreifen und mir einige Wege freihalten. Und wenn dabei ein paar Spinnen weichen müssen, dafür aber mehr Bienen erhalten bleiben, kommt mir das wie ein gelungener Kompromiss in unserem heimischen Interessenkonflikt vor.

Julia Siebert

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