Marlen Ibrajew ging zum Studieren nach Deutschland. Doch dann entdeckte er seine Liebe zur Fotografie. Er habe in Leipzig und in Berlin einen anderen Blick auf die eigene Kultur erhalten, sagt er.
Marlen Ibrajew ging zum Studieren nach Deutschland. Doch dann entdeckte er seine Liebe zur Fotografie. Er habe in Leipzig und in Berlin einen anderen Blick auf die eigene Kultur erhalten, sagt er.
In Deutschland weiß man wenig über die Kasachen, weshalb sie dort meist für Japaner oder Koreaner gehalten werden. Dies musste auch Marlen Ibrajew während seiner fast dreijährigen Zeit in Deutschland feststellen. Der aus Roschdestwenka bei Astana stammende Sohn eines Lehrerpaares begann mit dem Deutschlernen in der Schule. Später, neben dem Studium, nahm er Privatunterricht. In dieser Zeit wuchs allmählich sein Interesse für Deutschland. Er lieh sich deutsche Zeitschriften und Videos aus und entdeckte dabei vor allem die Werbung für sich. Deutschland, das war für ihn das Symbol für Ausland und Westeuropa, und er war neugierig, wie es nun wirklich aussehen würde und ob seine Sprachkenntnisse einsatzbereit waren.
Es war nicht sein erster Aufenthalt im Lande Goethes und Schillers. Bereits 2000 war er im Rahmen eines zweiwöchigen Europa-Seminars für Studierende aus Zentralasien und Kaukasus in Bonn, 2001 verbrachte er vier Wochen für einen Hochschulsommerkurs in Bremen.
Eigentlich hatte er ja an einer Hochschule in Westdeutschland studieren wollen – aus Angst, in den neuen Bundesländern sähe es genauso aus wie in der ehemaligen Sowjetunion. Aus den drei potenziellen Studienorten Aachen, Dresden und Leipzig wählte der DAAD für ihn ausgerechnet aber Leipzig aus, eine Stadt, die als typisch ostdeutsch gilt.
Das Einleben klappte dann ziemlich schnell und problemlos. An die minutengenauen Bus- und Bahnfahrpläne gewöhnte er sich schnell, und im Studentenwohnheim lernte er kochen. Negative Erfahrungen mit der Ausländerfeindlichkeit blieben ihm erspart. Die deutsche Planungs- und Regulierungswut, die habe ihn dann und wann gestört, gleichzeitig aber auch imponiert, sagt er. „Ich habe gelernt, dass Planen wirklich nicht zu vermeiden ist.“ Besonders aufgefallen seien ihm die Bibliotheken und Buchläden. „Vor allem die Unibibliothek Albertina fand ich total schön, und unsere juristische Bibliothek war auch gut zum Arbeiten“, sagt der ehemalige Leipziger Student. Am meisten hätten ihn die Begegnungen mit Menschen aus ganz unterschiedlichen Ländern und Kulturen beeindruckt. Dadurch habe er Einblicke nicht nur in ihre Länder und Kulturen erhalten, sondern auch sein eigenes Land und seine Kultur neu kennen gelernt.
In Leipzig begann Marlen Ibrajev dann auch sein Interesse für Bilder praktisch umzusetzen. Er legte sich eine Spiegelreflexkamera zu. Seitdem nutzt er jede Gelegenheit, die Welt um ihn herum in Bildern einzufangen.
Der Umzug in die Bundeshauptstadt forderte dann eine erneute Umgewöhnung. Wer in Leipzig so ziemlich alles in zehn bis 20 Minuten mit dem Fahrrad erreichen kann, braucht für die Berliner Fortbewegung schon viel Humor: „Man muss 1000 Mal von der U- in die S-Bahn umsteigen, um die Straßenbahn nicht zu verpassen, die bis zur nötigen Bushaltestelle fährt.“ Die sprachliche Umstellung scheint ihm dagegen leichter gefallen zu sein, denn die beiden Dialekte beherrscht er – freilich neben der Standardsprache – gleich gut.
Inzwischen hat Marlen Ibrajew so viel deutsche Werbung gesehen, dass er sagen kann, dass Werbung in Kasachstan gar nicht so schlecht ist. Die durchschnittliche Würstchen- und Putzmittelreklame, die meist eher als nervig und wenig ästhetisch empfunden wird, schaffe es halt doch nicht über die eigenen Ländergrenzen hinaus. Während sich technisch die Werbung in beiden Ländern kaum wesentlich voneinander unterscheiden würden, sei ihm aber aufgefallen, dass in Deutschland gern für günstige Autos, Banken und Versicherungen geworben werde. „In Kasachstan wirbt man an jeder Ecke für Immobilien wie Wohnungen und Mietbüros“. Auch könne deutsche Werbung bereits ihre eigene Tradition nutzen und in der allgemeinen Nostalgie-Mode die Bilder und Werbesprüche aus den 20er und 30er Jahren wieder verwerten.
So hat sich seine fantastische Vorstellung von deutscher Werbung relativiert, und die Angst vor Ostdeutschland erwies sich als unbegründet. Die Straßen der Leipziger Altstadt, die kleinen, mehr oder weniger schäbigen Studentenkneipen und die Menschen, von denen jeder auf seine Weise dort lebt, hat er in sein Herz geschlossen. Man spürt das, wenn Ibrajew zu erzählen beginnt, und wie froh er ist, dort gewesen zu sein.
Was kann er nun, nachdem er seine Erwartungen und Vorstellungen über Land und Leute vor Ort überprüft hat, seinen Landsleuten raten, die zum ersten Mal nach Deutschland fahren? Sein Tipp: „Deutsch lernen und immer nachfragen, wenn man etwas nicht verstanden hat.“