Im Grenzgebiet zwischen Usbekistan und Afghanistan wirkten einst griechische, altpersische und buddhistische Einflüsse. Die Ruinen aus den verschiedenen Epochen ziehen sich wie eine Perlenkette am Flussufer des Amu Darya entlang.

Staubige Felder prägen das Landschaftsbild im äußersten Süden Usbekistans. Links und rechts erstreckt sich Ackerland, die Hitze unter der prallen Sonne und dem wolkenlos-blauen Himmel ist stechend. Unübersehbar ragt ein 14 Meter hoher Turm aus dem sonst vollkommen ebenen Gelände empor. Hier befinden sich die Überreste des Stupa von Surmala, eines buddhistischen Heiligtums aus dem dritten Jahrhundert nach Christus. Es ist das älteste erhaltene Bauwerk Usbekistans und Zeugnis der bewegten und vielfältigen Kulturgeschichte des Landes.

Der Stupa von Surmala

Viel wurde bereits über die Schönheit Usbekistans geschrieben, und das zu Recht. Die Weltgewandtheit der Millionenmetropole Taschkent und die Anmut der alten Seidenstraßenstädte Buchara und Samarkand ziehen nach wie vor Menschen aus aller Welt in ihren Bann. Zweigt man jedoch von den gängigen Tourismusrouten nach Süden ab und folgt weiter der Fernstraße M39, gelangt man auf weniger betretene Pfade, die durch das imposante Hissargebirge mit seinen sonnengebleichten Bergkämmen und einsamen Dörfern nach Surxondaryo führen, der südlichsten Provinz des Landes.

Deren Hauptstadt, Termez, dürfte einigen noch aus den Nachrichten bekannt sein. Schließlich befand sich hier bis 2015 ein Logistikstützpunkt der Bundeswehr, über den der Einsatz in Afghanistan abgewickelt wurde. Die Landebahn von Termez bot sichere Bedingungen für den Anflug mit großräumigen Transportflugzeugen, die letzte Etappe nach Afghanistan wurde dann im Helikopter absolviert. Ein langer Flug war es da nicht mehr, denn Termez liegt direkt am Ufer des Amu Darya, des Grenzflusses zur afghanischen Provinz Balch.

Schmelztiegel der Kulturen

Dabei diente der Strom schon vielen Reichen als Grenzfluss. Die Gegend wechselte über die Jahrtausende unzählige Male den Herrschaftsbereich. Immer wieder versuchte man, die strategische Position zu festigen. Die wechselnden Herren von Termez hinterließen so jeweils eigene Zeugnisse in der Gegend. So erkannte schon Alexander der Große die günstige Lage der Gegend und ließ hier mehrere Festungen errichten. Auch nach dem Zerfall seines Reiches bestand der griechische Einfluss auf die historische Region Baktrien, in welcher die Stadt sich befindet, fort.

Spätestens als das antike Termez im 1. Jahrhundert nach Christus schließlich an das Reich der Kuschana fiel, welche damals von Nordindien bis nach Usbekistan regierten, verschmolzen hier die kulturellen Praktiken von Ost und West zu etwas gänzlich Neuem. In dieser Zeit entsteht auch der Stupa von Surmala, welcher sich wenige Kilometer außerhalb der Stadt befindet und einst ein bedeutendes Heiligtum für die Bewohner von Termez im dritten Jahrhundert gewesen sein muss.

In jenen Tagen konnte man in der Stadt griechischer Schrift, altpersischen Sprachen und nordindischen Glaubensvorstellungen begegnen und dabei womöglich nicht einmal mehr feststellen, welches Element nun von wem übernommen worden war. Ab dem achten Jahrhundert wurde Termez im Zuge der arabisch-islamischen Expansion nach Zentralasien schließlich noch eine weitere kulturelle Schicht hinzugefügt. Die arabische Schrift und die islamische Religion, Kunst und Architektur prägten die Region jahrhundertelang.

Das Mausoleum des ersten Sufisten

So kommt es, dass man heute am Ufer des Amu Darya einige Kilometer außerhalb von Termez einen Streifzug durch die Jahrhunderte unternehmen kann, denn die Ruinen aus den verschiedenen Epochen ziehen sich wie eine Perlenkette am Flussufer entlang. Beginn meiner Wanderung ist das Mausoleum des muslimischen Gelehrten Al-Hakim at-Tirmidhi, eines der frühen Gelehrten des Islam und Gründervater der Glaubensrichtung des Sufismus. Das Grab ist eine wichtige Pilgerstätte, weshalb es einfach ist, mit einer Marschrutka hierher zu gelangen. Hinter hohen Mauern liegt ein weitläufiger Garten, der das Mausoleum umgibt.

Der Park mit seinen schattenspendenden Bäumen, einem kühlenden Wasserbecken und verborgen gelegenen Pavillons ist voll mit lebhaften Grundschulklassen, Pilgern und Tagesausflüglern aus Termez. Bei den Streifzügen durch die Grünanlagen muss man etwas auf Diskretion achten, denn für die Jugendlichen der Stadt ist der Park mit seinen vielen Verstecken ein beliebter Ort für ein Date ohne viele neugierige Blicke.

Der Park um das Mausoleum des Al-Hakim at-Tirmidhi (siehe Bild oben links)

Erst, als ich um eine weitere Ecke biege und plötzlich unmittelbar vor dem Stacheldrahtzaun stehe, der das Sperrgebiet vor dem unmittelbaren Grenzbereich markiert, wird mir in Erinnerung gerufen, wie nah Afghanistan hier schon ist.

Buddhismus in Zentralasien

Ich wandere einige Kilometer weiter durch das wüstenartige Ödland aus ausgedörrten Weiden und sandigen Ziehwegen bis zu einer kleinen, menschenleeren Anhöhe. Nördlich kann man die wie eh und je stark befahrene M39 erkennen, südlich hinter dem ruhig am Fuß des Hügels vorbeiziehendem Amu Darya erstreckt sich Afghanistan. Am Horizont zeichnen sich die entfernten Umrisse einer Bergkette ab.

Hier stehen im Abstand von einigen hundert Metern zueinander die antiken Stätten Kara-Tepe und Fayoz-Tepe, ursprünglich buddhistische Kultorte. Die gut erhaltenen Grundmauern geben Auskunft über die erstaunliche Größe des Kloster-Komplexes, wo vor 2.000 Jahren ab der Zeit der Kuschana Mönche lebten und die Lehren Buddhas in Zentralasien kultivierten. Ein chinesischer Reisender aus dem 7. Jahrhundert sprach in seinem Bericht von zehn Klöstern mit insgesamt tausend Mönchen um Termez, wobei sich diese Zahlenangaben bisher nicht archäologisch bestätigen lassen. Möglich ist, dass der Reisende Vermutungen über bereits vergangene Glanzzeiten anstellte, die sich zur Zeit seines Besuches noch erahnen ließen, aber bereits am Verblassen waren.

Kara-Tepe

Doch auch nach dem Niedergang des Klosters, welcher wohl bereits früher begann, bewahrte die Stätte noch eine spirituelle Funktion für die Menschen der Gegend. Archäologische Funde deuten darauf hin, dass einige der höhlenartigen Heiligtümer in Kara-Tepe auch noch in der Frühzeit des Islam von frommen Einsiedlern als Rückzugsort genutzt wurden. Möglicherweise waren auch Anhänger des islamischen Mystizismus darunter, wie ihn at-Tirmidhi hier gelehrt hatte.

Das Schicksal der Buddha-Statuen von Bamyian

Im benachbarten Fayoz-Tepe wurden die Bildnisse Buddhas jedoch in islamischer Zeit in ihren Nischen mit Lehm versiegelt, da sie als heidnische Götzenbilder galten. Dies war aus heutiger Sicht ein Glücksfall, da die Skulpturen so hervorragend erhalten geborgen werden konnten. Der fein ornamentierte Buddha von Termez ist heute im Museum des Volkes von Usbekistan in Taschkent zu bestaunen.

Auch der Stupa, das zentrale Heiligtum von Fayoz-Tepe, ist noch erhalten. Eine erst vor wenigen Jahren mit finanzieller Hilfe Japans errichtete Kuppel aus Ton schützt das Heiligtum vor Wind und Wetter. So kann dieser Ort auch heute noch von Gläubigen für traditionelle buddhistische Zeremonien genutzt werden. Ein Wachmann des Komplexes erzählt stolz, wie einmal im Jahr Mönche aus Japan kommen, um hier zu beten, religiöse Gesänge zu rezitieren und den Stupa siebenmal zu umrunden.

Fayoz-Tepe

Mit den Zeremonien in Fayoz-Tepe soll stellvertretend auch dem Schicksal eines weiteren zentralen Ortes des Buddhismus in der Region gedacht werden. Die steinernen Buddha von Bamiyan im heutigen Afghanistan, 2001 von den Taliban aufs Schwerste beschädigt, waren mit ihrer beeindruckenden Größe von 38 bzw. 55 Metern die wirkmächtigsten Zeugen des Buddhismus diesseits des Hindukusch gewesen.

Der Wachmann erzählt, wie die Mönche aus Japan nach Ende ihrer Zeremonien den Blick oft nach Süden über den Fluss wenden – in der Hoffnung, eines Tages auch dorthin zurückkehren zu können. Ob und wann es so weit sein wird, darüber lassen sich jedoch seit der erneuten Machtübernahme der Taliban 2021 nicht einmal mehr stichhaltige Vermutungen anstellen. Die Mönche in Fayoz-Tepe werden bis dahin wohl noch viele Male den Stupa umrunden müssen.

Daniel Adrian Styczynski

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