Tausende von Reitturnieren und -festen, eine Rekordzahl von Auszeichnungen in den letzten hundert Jahren, die besten Pferdezüchter und Ausbilder, und sogar die Reitsport-Medien: All diese Erfolgselemente haben Deutschland zu Recht zu einer Weltmacht im Pferdesport gemacht. Hier kümmert man sich um alles, was mit Pferden zu tun hat. Es ist ermutigend, dass auch unsere Landsleute zur Entwicklung der Pferdeindustrie beigetragen haben. Unser heutiger Gast ist Willi Gidt, ein hochqualifizierter Rennpferdetrainer und gebürtig aus der Region Aqtöbe.

Herr Gidt, erzählen Sie ein bisschen über sich. Wie war Ihr Weg nach Deutschland? Wie schwierig waren die Integrationsprozesse für Sie und Ihre Familie?

Ich wurde in Kasachstan geboren, in dem Dorf Nowomikhailowka, Region Martuk, Gebiet Aqtöbe. Nach meinem Schulabschluss in den frühen 80er Jahren zog ich mit meinen Eltern nach Kaliningrad. Hier gründete ich nach meinem Dienst in der Armee eine Familie und bekam Kinder. Anfang der 90er Jahre wurden wir, wie die meisten Sowjetdeutschen, von der Auswanderungswelle eingeholt, und wir beschlossen, nach Deutschland zu gehen. Bei der Ankunft war alles ungewohnt und manchmal bedrückend, aber der Wunsch, sich in diesem Land zu etablieren, half. Wir lebten in verschiedenen Integrationslagern, das Endziel war die Stadt Braunschweig, wo sich viele unserer Verwandten niedergelassen hatten.

Was die Integration anbelangt, so hatte ich bereits einige Erfahrung: Umzug nach Kaliningrad, Dienst in der Armee. Diese dramatischen Veränderungen in der Umgebung erlaubten es mir, bestimmte Schlüsse zu ziehen und mir nicht zu viele Illusionen zu machen. Als wir in Deutschland ankamen, versuchten wir daher sofort, uns den neuen Bedingungen und Anforderungen entsprechend zu integrieren – wir besuchten Sprachkurse, machten Bekanntschaften und schlossen Freundschaften; neue Interessen tauchten auf. Kurzum, wir begannen ein völlig neues Leben. Ich denke, unsere Integration war erfolgreich. Die Unterstützung seitens der Regierung war dabei sehr hilfreich. Das ganze System in Deutschland ist straff organisiert, so dass man sich nicht im Stich gelassen fühlt – wir erhielten finanzielle Hilfe, auch bei der Wohnungssuche. Es wäre eine Sünde, sich zu beschweren.

Vermissen Sie Kasachstan? Welche Erinnerungen haben Sie mitgenommen?

Kasachstan ist für unsere Familie zu einer echten Heimat geworden, an die ich die schönsten Erinnerungen habe. Ich besuche das Land oft, auch aus beruflichen Gründen. Viele Freunde und Klassenkameraden, mit denen ich in Kontakt stehe, sind dortgeblieben. Kasachstan ist und bleibt meine Heimat, in der ich meine Kindheit und Ausbildung verbracht habe. Ich habe diesem Land und den Menschen, die mich umgeben haben, viel zu verdanken.

Sind Sie mit der Geschichte Ihrer Familie vertraut? Wie sind Ihre Vorfahren in die Region der Steppe gekommen?

Leider kenne ich die Geschichte meiner Familie nur ab den 1930er Jahren. Es war keine so glückliche Zeit. Im Jahr 1936 wurden meine beiden Großväter, mein Onkel und andere Verwandte mit Repressionen überzogen. Mein Vater wurde im Gebiet Dnepropetrowsk, Kreis Kriwoj Rog, im Dorf Selenoje Pole (Grünfeld) geboren, und meine Mutter stammte aus dem Gebiet Kuibyschew, wohin mein Großvater nach dem Abschluss eines Buchhaltungskurses in Dresden zum Arbeiten geschickt wurde. Die Repressionen begannen bald und die Familie zog nach Saporischschja. Doch das bewahrte meinen Großvater nicht davor, ein trauriges Schicksal zu erleiden.

Im Jahr 1941 wurden meine Mutter und ihre Verwandten nach Kasachstan deportiert. Die Familie meines Vaters landete unter deutscher Besatzung in der Ukraine. Als die deutschen Truppen 1943 den Rückzug antraten, wurden sie nach Polen gebracht, wo sie bis zum Ende des Krieges blieben. Anschließend wurden sie in dasselbe Dorf in Kasachstan deportiert, in dem auch meine Mutter lebte. Dort lernten sich meine Eltern kennen. Meine Mutter arbeitete als Grundschullehrerin, mein Vater war in der Viehzucht tätig.

Trainer von Rennpferden – was ist der Grund für eine solche Berufswahl?

Seit meiner Kindheit bin ich von Pferden begeistert, ich habe immer wieder an Rennen teilgenommen, in Kasachstan heißen sie „Baiga“. Deshalb war dieser Beruf schon immer mein Traum. In Deutschland habe ich Kurse für Trainer von Rennpferden absolviert, ein Diplom und eine Lizenz erhalten. Im Jahr 1999 mietete ich meinen ersten Stall im Hippodrom von Hannover und begann, aktiv Pferde zu trainieren. Die Popularität und das Niveau eines Trainers lassen sich leicht an der Anzahl der Pferde ablesen. Und das ist auch verständlich: Wer würde schon einem Fremden seine Finanzen, Zeit und Ressourcen anvertrauen? Ich begann meine erste Saison im Jahr 2000 mit vier Pferden, die alle aus Russland kamen. Ihre Besitzer waren das Gestüt „Woskhod“ und zwei Privatpersonen aus der Russischen Föderation.

Natürlich verlief die Saison schleppend, erst im Herbst konnten wir drei prestigeträchtige Rennen auf einmal gewinnen. Und nach und nach begannen die Leute, mir Pferde zu bringen. Allmählich wuchs die Popularität, und 2004 hatte ich bereits 64 „Köpfe“. Das war der Höhepunkt meiner Trainerkarriere, die mehrere Jahre andauerte. Gleichzeitig war ich immer mit dem Export von Pferden beschäftigt.

Heute liegt meine Trainertätigkeit hinter mir, ich biete Vermittlungsdienstleistungen im Zusammenhang mit der Beratung beim Kauf von Pferden und deren Vermittlung in die Ausbildung sowie das Management von Pferden in Ausbildung an.

Der Pferdesport hat in Europa eine lange Tradition, und Deutschland ist heute weltberühmt für seine Pferde und die Leistungen seiner Pferdesportler. Was trägt dazu bei?

In der Tat sind Pferderennen, Springreiten und Dressurreiten in Europa seit jeher bekannt. So wurde 1822 in Bad Doberan die erste Rennbahn in Deutschland eröffnet, und seitdem werden dort Pferderennen veranstaltet. Aber nicht nur die lange Tradition des Pferderennsports, sondern auch die ständige Verbesserung der Pferdezucht und -prüfung sowie die Liebe und der Umgang des Menschen mit dem Pferd spielen eine wichtige Rolle für die Entwicklung des Pferde-sports. Wir behandeln unsere Pferde als Athleten und Partner auf dem Weg zum Erfolg.

Was sind die tollsten Ergebnisse, die in Ihrer persönlichen Sieges-Historie zu verzeichnen sind?

Wenn man bedenkt, dass es in Deutschland etwa 1.200 Pferdebesitzer gibt und die Meisterschaft auf der Höhe des gewonnenen Geldes basiert, waren wir bereits in der dritten Saison auf dem zweiten Platz. Besser war nur Scheich Mohammed, der heutige Emir von Dubai und der Besitzer eines der besten Privatställe der Welt, des „Godolphin Racing“.
Das Unternehmen unter meiner Leitung hieß „D Angelo“; ich habe 122 Siege als Trainer, 84 als Manager und 20 als Besitzer zu verzeichnen. Außerdem habe ich als Trainer das Recht, Jockeys auszubilden; zwei meiner Auszubildenden, Eugen Frank und Maria Pabke, sind Inhaber von Weltmeistertiteln.

Die bedeutendste Auszeichnung ist für mich der Sieg des Hengstes Energizer, der zum Gestüt „Schlenderhan“ gehörte, wo ich als Rennleiter tätig war. Er hat 2019 ein Rennen der Gruppe 3 in Ascot, England, gewonnen, was bis dahin noch keinem deutschen Pferd gelungen war. Ich kann also mit Sicherheit sagen, dass ich auch zur Entwicklung des deutschen Pferdesports einen deutlichen Beitrag geleistet habe.

Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg für die Zukunft!

Interview: Olesja Klimenko

Übersetzung ins Deutsche: Annabel Rosin

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