Der Sommer ist in Kasachstan zwar schon lange vorbei, doch Reisezeit ist immer! Den nächsten Ausflug in der Sommerfrische kann man lange im Voraus planen. Genau das tat auch Hermann Kruse, der die Gelegenheit nutzte und sich im Juni 2011 seinen Traum von der Paddeltour auf dem Ili erfüllen konnte.
/Auf dem Ili./
Seit November 2010 haben wir auf diesen Tag gewartet. Am Freitag, dem 24. Juni 2011 sitzen wir früh um 7 Uhr in Heikos Jeep und machen uns auf den Weg nach Kapschagai. Endlich! Unsere lang ersehnte Paddeltour auf dem Fluss Ili sollte wahr werden!
In den nächsten drei Tagen wollen meine Freunde Heiko und David und ich in zwei betagten Faltbooten vom Typ Kolibri 2 und Pouch RZ 85-3 den Ili von Kapchagai bis Bakanas herunterfahren. Nachdem wir zuvor hin- und hergerechnet hatten, kommen wir letztendlich zum Schluss, dass es sich bei der Strecke um ca. 170 Flusskilometer handeln dürfte. Überraschend bringt David eine russische Wasserwanderkarte im Maßstab 1:100.000 aus dem Jahre 1991 mit. Die stellte sich in der Tat in den nächsten Tagen als sehr genau heraus und war uns eine große Orientierungshilfe.
Ausgerüstet mit allen möglichen Utensilien zum Zelten und Proviant für drei Tage geht es los. Schließlich kann man nie wissen, ob man sich unterwegs versorgen kann.
Gegen 8:30 Uhr erreichen wir unseren Startpunkt. Es handelt sich um ein kleines Gehöft, das sich wenige Kilometer flussabwärts hinter der Staumauer des Kapschagai-Sees befindet. Nach der Endhaltestelle einer örtlichen Buslinie kurz hinter dem Ortsende Kapschagais biegen wir dann ab auf eine ausgefahrene Schotterpiste hinunter ins Tal des Ili.
Ohne Probleme erreichen wir den herrlich blauen Fluss, zahlen 1000 Tenge für den Einlass und weitere 500 Tenge für die Parkerlaubnis und lassen das Auto bis zum Sonntagabend stehen. Bereits um 10:00 Uhr haben wir die Faltboote aufgebaut und bepackt, so dass wir um 10:30 starten konnten. Der Ili wird hier durch hohe Felswände in ein relativ enges Bett gezwängt und erreicht dadurch eine recht hohe Strömungsgeschwindigkeit. Entgegen unseren Befürchtungen erreichen wir aber ohne Probleme die Flussmitte und paddeln dann mit der Strömung abwärts.
Nach gut einer Stunde passieren wir den „Teufelsfinger“, eine ca. 20 Meter hohe Felsnadel, die markant am linken Flussufer in den strahlend blauen Himmel ragt. Die weitere Fahrt flussabwärts genießen wir sehr, obwohl uns die Sonne bereits jetzt, trotz aller Kopfbedeckungen und Sonnenschutzfaktoren, arg zu schaffen macht.
Nach einer Linkskurve sehen wir am rechten Ufer, wir können es kaum glauben, ausgediente Helikopter, Autos und Güterwaggons mitten im Nirgendwo. Die einzige Erklärung, die uns zu dieser unwirklichen Kulisse einfällt, ist, dass sich hier ein Übungsgelände für Katastrophenfälle befindet.
Das sogenannte „Fort“ erreichen wir nach weiteren 30 Minuten. Hierbei handelt es sich um eine Filmkulisse, die seinerzeit für die Dreharbeiten des Films „Nomad“ erstellt wurde. Umfangreiche Bauarbeiten an der Nordseite des Forts überzeugen uns davon, dass das Bauwerk wohl nicht dem Verfall preisgegeben wird.
Dann verändert sich auf einmal die Landschaft. Die uns bisher begleitenden Felswände bleiben zurück und immer öfter mäandert der Fluss durch die offene Steppenlandschaft. Oft haben sich Flussarme gebildet, die allerdings den Eindruck erwecken, dass sie aufgrund mangelnder Wassertiefe nicht befahrbar sind. Immer wieder passieren wir nun Sandbänke, teilweise mit Schilf bestanden, die als Brutplätze für Vogelkolonien dienen.
Unsere ornithologischen Kenntnisse sind allerdings etwas dürftig, so dass wir die Vögel, die teilweise sehr aufgeregt auf unser Erscheinen reagieren, kaum identifizieren können. Immerhin: ein paar Seeschwalben und eine Art von Austernfischer haben wir dann doch erkannt.
Wir paddeln weiter den Fluss hinab und wundern uns etwas, dass wir auch hier fast überall auf Hobbyangler stoßen. Viele von ihnen haben gleich ein halbes Dutzend Angeln am oder im Fluss platziert.
Gegen Abend suchen wir uns wie geplant unseren Übernachtungsplatz. Trotz mehrerer Landungsversuche lässt sich selbst in dieser Wildnis kein „müllfreier“ Platz finden.
In der Annahme, dass wir es bis in die Nähe des kleinen Ortes Uscharal geschafft haben, beginnen wir mühsam mit dem Zeltaufbau. Die kleine „Ili-Fliege“, die anscheinend mit Vorliebe im Hals eines Paddlers landet, macht uns zusätzlich zu schaffen.
Trotz allem schaffen wir es, unser Zelt aufzustellen, eine schöne Grillglut zu entfachen und unser Grillgut perfekt zu garen. Geschafft vom ersten Paddeltag liegen wir bereits um 21 Uhr in den Schlafsäcken, horchen noch ein wenig dem Wind und entschlummern dann selig.
Am nächsten Tag sitzen wir schon um acht Uhr wieder in den Booten. Jetzt säumt oft Schilf das Ufer, der Fluss verzweigt sich immer wieder, und die Flussarme weiten sich zu unerwartet großen Wasserflächen. Wer nicht aufpasst, steckt unversehens mit seinem Faltboot auf einer Sandbank fest. Wir haben mehrfach die Gelegenheit, auszusteigen und unsere Pötte zu schieben. Wider Erwarten erreicht der Ili aber auch an solchen Stellen eine konstante Fließgeschwindigkeit, sodass wir unseren Zielpunkt am Sonntag in Bakanas pünktlich erreichen.
Die Sonne brennt an diesem herrlichen Samstag unerbittlich auf uns nieder. Am späten Vormittag sind unsere Wasservorräte verbraucht. Wir sprechen einen Angler an, der uns hilfsbereit unsere Wasserflaschen an seinem Brunnen auffüllen lässt. Um unser Glück vollkommen zu machen, verkauft er uns auch noch einen gut 2,5 kg schweren Wels für 5 Zigaretten. Unser Abendessen ist damit also gesichert!
Durch Zufall finden wir hinter einer kleinen Landzunge einen Kanal, von dessen Ende wir nach zehnminütigem Fußmarsch einen kleinen Lebensmittelladen am Flugplatz von Bakbaty erreichen. Wir wussten bisher gar nicht, dass sich hier ein Flugplatz befindet. Für 7000 Tenge pro Zimmer könne man hier sogar im unweit gelegenen Hotel übernachten, so ein Angler, der sich sogar auf Deutsch mit uns unterhält. Er sei Almatyner und habe in den 1990ern sechs Jahre in Halle/Saale gearbeitet.
Wir entscheiden uns, trotz widriger Wetterverhältnisse noch einige Kilometer vorwärts zu kommen. Wegen des Windes halten wir uns immer wieder in kleineren, von hohem Schilf bestandenen Flussarmen auf. So ähnlich sei es auch im Ili-Delta, meint David.
Nach längerer Suche finden wir eine passable Übernachtungsstelle. Der stürmische Wind hält uns die Fliegen vom Leib, und wir genießen den Wels, der gutgegrillt auf den Teller kommt.
Am nächsten Morgen beobachten wir einen Eisvogel, der am sandigen Steilufer des Flusses offensichtlich eine Heimstatt gefunden hat. Aber auch hier reichen unsere ornithologischen Kenntnisse wieder nicht aus. Dieser Vogel hat zwar das farbige Gefieder eines Eisvogels, aber er ist doppelt so groß wie die Eisvögel, die wir bisher gesehen haben.
Als wir um neun Uhr wieder auf dem Wasser sind, sehen wir am Ufer eine andere Landschaft: Scheinbar drängt nun die Wüste ans Wasser. Sanddünen begleiten uns vor allem auf der rechten Flussseite, ein Blick auf die Karte bestätigt uns das.
Vor Bakanas wird die Erde dann wieder fruchtbarer. Bewässerungskanäle stechen hin und wieder vom Fluss ab. Wir sehen am Horizont die ersten Vorboten unseres Zielpunktes Bakanas. Frühzeitig können wir auch den Friedhof ausmachen, der uns als Orientierungspunkt dient. Er ist mit zahlreichen Türmen bebaut, die sich irreal aus der Landschaft abheben.
Wir haben es geschafft! Zufrieden über das vollkommen geglückte Wochenende auf einem Fluss erkennen wir unseren Fahrer, der uns nach Almaty zurückbringen wird.
Ili – du wirst uns sicherlich wiedersehen! Bis zum nächsten Sommer!