Beim fünften Internationalen Osteuropa-Kongress wurde die Identität Zentralasiens als Bindeglied zwischen Ost und West diskutiert. Doch die Chance, ein interessiertes, internationales Publikum auf die Ursachen der Probleme in Zentralasien aufmerksam zu machen, nutzten die Wissenschaftler aus der Region kaum

Ist es sinnvoll, geopolitisch von einer Region Zentralasien zu sprechen? Diese Frage tauchte beim Internationalen Osteuropa-Kongress zwischen dem 25. und dem 30. Juli in Berlin in fast allen Diskussionsrunden auf, die sich den Ländern zwischen China und dem Kaspischen Meer zuwandten.

Auch beim Panel „Zentralasien zwischen Ost und West. Bildung einer zentralasiatischen Identität“ kam das Publikum nach drei sehr unterschiedlichen Vorträgen auf das Problem zu sprechen – in einer Debatte, die sich bei einem ausgesprochen engen Zeitplan nur dank der Tatsache ergab, dass eine vierte Referentin ausgefallen war.

Die „Neue Seidenstraße“ wurde ja schon häufig ausgerufen. Bei dieser Veranstaltung diente sie der Wirtschaftswissenschaftlerin Regine Spector von der University of California aus Berkeley dazu, ihre These vom unterschätzten Kleinhandel zwischen Russland, Kasachstan, Kirgisistan, Usbekistan, der Türkei und China zu stützen. Spector hatte die inoffiziellen Handelsformen untersucht, die sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion herausgebildet haben und, ihrer Meinung nach, bei der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung der Länder eine erhebliche Rolle spielen.

Spector hatte sich vor allem den Handel immer gleicher, billiger Textilien und Lederwaren gewidmet, die auf allen Basaren entlang der Grenzen in Zentralasien zu finden sind. Typisch sind die Einkaufsfahrten von Frauen, die beispielsweise aus Kasachstan in die Türkei oder nach China reisen, dort größere Mengen Textilien kaufen, um sie schließlich auf dem heimatlichen Basar weiterzuverkaufen.

Doch anstatt diesen scheinbar ineffizienten und in offiziellen Statistiken meist unerwähnten Grenzhandel zu fördern und ihm eine länderübergreifende integrierende Rolle einzuräumen, reagierten die staatlichen Behörden mit Handelsbarrieren – steigende Steuern oder schärfere Zollbestimmungen sollen den Handel zwar nicht unterbinden, aber den Staat zumindest indirekt teilhaben lassen, so die Kritik Spectors.

Speziell der sozio-ökonomischen Situation in Kasachstan widmete sich Assel Rustemowa von der Universität KIMEP, Almaty. Sie ging der Frage nach, welcher Zusammenhang zwischen der ökonomischen und der demokratischen Entwicklung im Lande besteht. In ihrem Beitrag wies sie auf die enormen Unterschiede zwischen den ländlichen Gebieten und den prosperierenden Regionen um Almaty oder Astana hin. Dass diese Situation als gegeben hingenommen und staatlicherseits kaum etwas gegen ländliche Armut und Landflucht unternommen würde, sei ihrer Meinung nach Ausdruck dessen, wie wenig man in Kasachstan an einer demokratischen Entwicklung interessiert sei. „Erst kümmern wir uns um die Wirtschaft, dann sprechen wir über Demokratie“, so ihre Schlussfolgerung. Doch der gleiche Fatalismus herrsche ihrer Meinung nach bei Einzelnen in Kasachstan vor – man versuche lediglich zu überleben und den größten Nutzen aus den neuen Möglichkeiten zu ziehen. Ein stabiles, auf Demokratie basierendes politisches System sei nicht erklärtes Ziel und würde die Möglichkeiten nur eingrenzen.

Sewara Scharapowa vom Usbekischen Institut für Orientstudien aus Taschkent schließlich hatte sich einen Vergleich Kasachstans und Usbekistans vorgenommen, um der Frage nachzugehen, welche Rolle die beiden Länder bei der Bildung einer zentralasiatischen Identität spielen. Doch über das bloße Aufzählen bekannter stereotyper Charakteristika der beiden Länder kam Scharapowa nicht hinaus. Kasachstan galt ihr als schon immer stark unter russischem Einfluss stehender und deshalb kaum als echt asiatisch zu bezeichnender, wirtschaftlicher Emporkömmling; Usbekistan verkörperte für sie den Bewahrer althergebrachter und deshalb schützenswerter mittelasiatischer Traditionen, dem dennoch der Anschluss an die Moderne gelungen sei.

Mit ihrem Vortrag geriet sie dann auch am stärksten in die Kritik der Zuhörer.

„Ich habe deutlichere Kritik erwartet“, zeigte sich Zuhörerin Manuela Troschke, Wirtschaftswissenschaftlerin am Osteuropa-Institut in München, enttäuscht, „offensichtlich hat sich die Dame nicht getraut, Klartext zu reden“. Ihrer Meinung nach hätten alle drei Wissenschaftlerinnen genau das repräsentiert, was das Problem der im Umbruch befindlichen ehemaligen Sowjetrepubliken sei – hoch motivierte und karrierebewusste junge Leute, die ihre Möglichkeiten aufs Beste nutzten, das System aber nicht in Frage stellten. Alle Beiträge hätten lediglich Symptome aufgezeigt, ohne Ursachen zu nennen.

So blieben die Fragen „Warum floriert der Kleinhandel über die Grenzen meist nur in eine Richtung?“, „Wieso kann sich der Markt nicht selbst regulieren?“, „Welche Strukturen innerhalb der politischen Akteure bestimmen die demokratische Entwicklung in Kasachstan?“ und schließlich auch „Ist es sinnvoll, geopolitisch von einer Region Zentralasien zu sprechen?“ zumindest in dieser Veranstaltung unbeantwortet.

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