Dieter Seitzer lebt und arbeitet seit zwei Jahren in der kasachischen Millionenstadt Almaty. Der Brustkrebsspezialist und Gynäkologe verließ seinen deutschen Chefarzt-Posten, um in Kasachstan einen Neuanfang zu wagen. Mittlerweile ist ihm die Metropole ans Herz gewachsen. In einer Privatklinik in Almaty, wo der Mediziner seine neue berufliche Heimat gefunden hat, ist er für viele Frauen die erste Wahl und letzte Rettung.

/Bild: Rafael Wiedenmeier. ‚Der Tuttlinger Arzt Dieter Seitzer lebt seit 2006 in Kasachstan und arbeitet in einer Privatklinik.’/

Machabat Askar* kommt einmal monatlich zu Dieter Seitzers Vorsorgeuntersuchung. Auf ihre Termine muss sie bis zu einer Woche warten, so voll ist der Kalender des Arztes. Seine Sprechstunden finden nur nachmittags statt. In den Morgenstunden überlässt er seinen Arbeitsraum einer Kollegin. Auf die Frage, ob Seitzer nicht zu wenig Sprechstunden hat, antwortet Askar mit einem Sprichwort: „Wir Kasachstaner sagen: Wenn man Gold in den Händen hält, weiß man es nicht zu schätzen. Erst wenn es weg ist, tut man das.“ Am liebsten würde sie Seitzer in einer eigenen Praxis sehen, wo er von morgens bis abends Frauen wie sie untersucht. Dass die 49-Jährige über den deutschen Arzt ins Schwärmen kommt, ist verständlich. Vor einiger Zeit führten sie Flüssigkeitseinlagerungen in ihren Brüsten zu Seitzer. Zuvor hatten ihr Ärzte aus sechs städtischen Krankenhäusern eine Operation nahe gelegt. Andernfalls würde Brustkrebs die Folge sein. Sie habe damals unter Schock gestanden und acht Kilo in nur zwei Wochen verloren. Schließlich habe ihr eine Freundin den deutschen Arzt empfohlen. „Und Dr. Seitzer saugte mir die Flüssigkeit zur zytologischen Untersuchung mit einer Spritze ab“, erklärt sie heute glücklich.

Die zweite Heimat

Seit zwei Jahren arbeitet Seitzer in einer Privatklinik in Almaty. Auf Kasachstan ist der anerkannte Gynäkologe in den Neunzigern aufmerksam geworden. Seitzer arbeitete damals im baden-württembergischen Singen und bemerkte, dass es unter seinen Patienten immer mehr Kasachstaner gab. Sie hatten in ihrem Urlaub nicht etwa das fremde Essen schlecht vertragen, sondern waren mit der Absicht nach Deutschland gekommen, sich medizinisch behandeln zu lassen. Dankbare Patienten luden Seitzer nach Kasachstan ein, und schnell entstand auch der Traum von einer eigenen Klinik in der zentralasiatischen Republik. Der Traum ging nie in Erfüllung, doch wie so oft, öffneten sich andere Türen. Nachdem er mehrere Jahre lang zwischen Deutschland und Kasachstan gependelt war, entschloss sich Seitzer im Jahr 2006 für das Leben in Almaty. Es war natürlich seine kasachische Frau Schannar, für die er seine Heimat verließ. Aber auch beruflich hat Seitzer sein Glück gefunden. Dabei war der Anfang alles andere als leicht. Erst nach neun Monaten Wartezeit, einem Stapel von Papieren und viel Herzblut hat Seitzer in Kasachstan seine Lizenz als Arzt erhalten. Heute sind diese Probleme vergessen, und volle Wartezimmer sind zu seinem Alltag geworden.

Residieren wie im Hotel

„An einem durchschnittlichen Tag werden in unserem Krankenhaus 150 Patienten ambulant behandelt. Darüber hinaus haben wir Betten für weitere 50 Kranke“, erklärt Seitzer. Was der Arzt leger als Betten bezeichnet, kann schon mal an ein Hotelzimmer gehobenen Standards erinnern. Für rund 250 Euro Tagessatz kann ein Patient ein eigenes Zimmer mit großem Bett, einem Sessel und einem Breitbildfernseher haben. Die Krankenzimmer der höheren Preiskategorie bestehen sogar aus mehreren Räumen. „Viel wichtiger ist jedoch, dass man als Arzt für den Patienten da ist“, sagt Seitzer. „In Deutschland muss man als Arzt Unmengen von statistischem Datenmüll produzieren, statt sich um die Kranken zu kümmern.“ In Kasachstan sei es ganz anders. Mittlerweile hat Seitzer auch Russisch gelernt, um näher bei den Problemen seiner Patienten zu sein.

Im Land der Herausforderungen

Neben seiner Arbeit im Krankenhaus engagiert sich der Mediziner auch in der Brustkrebsvorsorge. Kasachstan ähnelt in diesem Bereich einem Entwicklungsland und bietet dem erfahrenen Arzt viele Herausforderungen. Erst vor kurzem hat die kasachische Regierung das obligatorische Brustkrebsscreening für Frauen eingeführt. Um Brustkrebs frühzeitig diagnostizieren zu können, wurden 100 Mammographiegeräte eingekauft. Es stellte sich aber bald heraus, dass es in Kasachstan nur 44 Mammologen gibt, die die Geräte bedienen und die entsprechenden Bilder beurteilen können. Daraufhin organisierte Seitzer mit Unterstützung der wohltätigen Zhan Foundation eine Schulung für Ärzte, um sie mit der Thematik vertraut zu machen. „Dass der Wille da ist, ist sehr gut“, resümiert Dr. Seitzer und fügt sogleich hinzu: „Aber von deutschen Verhältnissen sind wir noch sehr weit entfernt.“ Deutschland gebe jährlich neun Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für das Gesundheitswesen aus, in Kasachstan seien es im letzten Jahr gerade einmal rund vier Prozent gewesen.
Nach zwei Jahren in Kasachstan fühlt sich Seitzer sehr wohl in seiner neuen Wahlheimat. Er ist am Bodensee aufgewachsen, und die Berge um Almaty erinnern ihn sehr an Süddeutschland. Er liebt das Leben in der Millionenstadt, schätzt aber die Möglichkeit, schnell in die prächtige Natur fliehen zu können, wenn er Erholung sucht. Mehrmals im Jahr fährt Seitzer nach Deutschland. Dabei geht es nicht nur um Familienbesuche. Er braucht auch den Bezug zu seiner Heimat. Es ist schwer, in Kasachstan gute deutsche Literatur zu bekommen, ganz zu schweigen von vielen Kleinigkeiten, die einem das Gefühl geben, irgendwo heimisch zu sein. Mit 55 Jahren wird Dieter Seitzer wohl für immer ein Tuttlinger bleiben, so sehr ihn auch die kasachischen Berge an die Alpen erinnern.

Kontakt: dr.dieter@seitzer.org

* Name von der Redaktion geändert

Von Anton Markschteder

26/09/08

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