Trotz vielfältiger Bezüge mit Deutschland, insbesondere durch die hiesige deutsche Minderheit, hat Zentralasien und Kasachstan dort oft den Status einer terra incognita, die in den Wirren der globalen Schauplätze ein Schattendasein fristet. Diese Wahrnehmung zu ändern und die wortwörtliche Zentralität dieser Region herauszustellen, war Ziel der Sommerschule „Eurasia at Crossroads: Perspectives from Central Asia“ – sprich „Eurasien am Scheideweg: Perspektiven aus Zentralasien“ – an der Suleyman Demirel University. 14 junge Menschen, die in ihrem Interesse für Zentralasien gleichgesinnt waren, haben sich Ende Juli aus Deutschland nach Kaskelen begeben, um dort zwei Wochen lang in die Region einzutauchen.

Bei den meisten Teilnehmenden handelte es sich um Studierende verschiedener deutscher Universitäten und diverser fachlicher Hintergründe, die vom jahrelang bestehenden GoEast-Programm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) profitieren konnten, das Nachwuchswissenschaftlern Osteuropa und den Postsowjetischen Raum näherbringen soll. Aber auch eine Handvoll junger Berufstätiger mit Bezug zu Zentralasien oder persönlichem Interesse an der Region kamen dazu, sodass die unterschiedlichen Hintergründe auch unterschiedliche Perspektiven auf die Themen ermöglichten.

Herausforderungen in Zentralasien

Die Vormittage füllten sich mit sehr intensiven Sprachkursen. Ein kleiner Teil entschied sich, anfängliche Schritte im Kasachischen zu machen, während sich der Großteil in zwei Gruppen unterschiedlichen Niveaus aufteilte und Russisch lernte. Nachmittags wiederum führten Vorträge in die Themen der Region ein.

Wie der Titel der Sommerschule besagt, geht es um Perspektiven aus Zentralasien. Um ein Verständnis dafür zu entwickeln, muss erst die Frage geklärt werden, was genau Zentralasien für ein Konstrukt ist und sein soll. Gemäß der gebräuchlichsten Verwendung ging es meist um die Gemeinsamkeiten und Differenzen der fünf Stan-Länder dieser Region. Wie die Teilnehmenden in den zwei intensiven Wochen lernten, stehen jene vor großen Herausforderungen: So gilt dies etwa in Bezug auf die geopolitische Lage zwischen den Schwergewichten Russland und China; in Deutschland als mehr oder weniger entfernte Globalmächte mit freilich großer Wirkung gehandelt, bringt die unmittelbare Nachbarschaft und die geteilte Geschichte hier eine andere Perspektive auf diese Staaten und ihr außenpolitisches Handeln.

Auch die Aufarbeitung transgenerationaler Traumata durch Okkupation und Oppression, sowohl der ursprünglichen kasachischen Bevölkerung etwa durch deren forcierte Sesshaftwerdung als auch unzähliger Gulag-Insassen und Deportierter, ist eine der Herausforderungen. Ganz evident und schon spürbar gilt dies für den Klimawandel, der die Region im globalen Vergleich schneller und härter erfasst und insbesondere ein Problem in der Wasserversorgung mit sich bringt. Und schließlich bestehen auch innere Verwerfungen und Schwierigkeiten, die sich in den Transformationsjahren nach Zerlegung der Sowjetunion etabliert haben und bis heute die Länder beuteln. Trotz und wegen dieser Herausforderungen wurde evident, dass Kasachstan und Zentralasien verdient, mehr Aufmerksamkeit zu bekommen.

Schule und Tourismus vereint

Selbstverständlich besteht ein Land nicht nur aus Universitäten, deren klimatisierte Lehrräume bisweilen von der heißen und hitzigen Realität entrücken können. Immer wieder hat das dichte Programm und die freien Stunden die interessierte Gruppe nach draußen geführt. Zu Pferde sitzend, dasselbe essend oder auf Schusters Rappen durch die Landschaften um den Kolsaj und Kaindy wandelnd stieg die Begeisterung für Almaty, Kasachstan und Zentralasien.

Umso bedauerlicher schien allen Teilnehmenden die Nachricht, dass die Haushaltskürzungen zu einem Ende des Stipendienprogramms führen. Ein vorerst letztes Mal hat der DAAD deutsche Studierende hierher gebracht, die mit Wissen und einer neuen oder erneuerten Begeisterung für die Region zurückkehren, um zukünftig die Verbindung zwischen Zentralasien und Deutschland zu halten und zu festigen. Wohin der Scheideweg Eurasiens führen mag, ist ungewiss. Ihn informiert zu gehen und positiv zu beeinflussen jedoch gewiss unentbehrlich.

Christian Hartwig

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