Der 8. März ist in vielen postsowjetischen Ländern zwar ein Feiertag, doch ist er in den vergangenen Jahren zu einem zweiten Valentinstag verkommen, an dem frau Schokolade und Blumen erhält. Feminismus wird hingegen vielerorts als etwas Abstoßendes empfunden. In Deutschland hat Feminismus hingegen eine guten Ruf, meint Lukas Latz. Dennoch ist auch in Deutschland in Sachen Gleichberechtigung nicht alles gut, zum Beispiel in Sachen Pflege.
Sagt die eine Feministin zur anderen: „Gib mir mal die Salzstreuerin!“ Noch vor zehn bis fünfzehn Jahren habe ich diesen despektierlichen Witz oft gehört in Deutschland. Heute würde niemand mehr solche Witze erzählen. Er klingt jetzt verstaubt und fade.
In Deutschlands Nachbarländern (zum Beispiel in Polen) wird der Begriff „Feministin“ oft als Schimpfwort benutzt. In Deutschland hätte das keinen Sinn. Es ist hier mittlerweile sehr angesagt, Feministin zu sein. In eher linken, liberalen und umweltbewussten Kreisen ist das stark verbreitet, aber auch nicht wenige Konservative und selbst ein paar Männer (darunter auch ich) verstehen sich als feministisch.
In Deutschland wird zwar oft über Feminismus geredet. Dabei wird aber nicht selten vergessen, dass es dabei um Frauen gehen sollte. Feminismus hat zwar einen guten Ruf in Deutschland. Nur ist Deutschland deswegen noch lange kein frauenfreundliches Land.
Dafür gibt es viele Beispiele: Sexuelle Gewalt etwa taucht sehr flächendeckend auf. Viele Deutsche haben in ihrem Freundeskreis wahrscheinlich eine Person, die in ihrem Leben schon mal vergewaltigt worden ist. Ähnliches trifft auf häusliche Gewalt zu. Die Politik und die Zivilgesellschaft bemühen sich zwar, dagegen anzukämpfen: etwa durch die Finanzierung von Frauenhäusern, wohin sich Frauen mit ihren Kindern vor einem gewalttätigen Mann flüchten können, durch die Einrichtung von Beratungs-Hotlines oder von unabhängigen Stellen zur Dokumentation von physischer Gewalt. Gerade im ländlichen Raum sind diese Hilfsangebote aber noch sehr rar. Und diese Probleme lassen sich sowieso nicht schnell und einfach lösen.
Benachteiligung von Frauen manifestiert sich in Deutschland auch auf dem Arbeitsmarkt, besonders stark im Pflegesektor. Deutschland ist ein alterndes Land. Wir brauchen immer mehr Pflegekräfte, die sich um diese alten Menschen kümmern. Über 80 Prozent dieser Pflegekräfte sind Frauen. Und desto größer der Bedarf an Sorgearbeit wird, desto schlechter werden die Arbeitsbedingungen dieser Frauen. Vor ein paar Wochen schilderten Pflegerinnen unter dem Hashtag #twitternwierueddel ihre Arbeitsbedingungen in Altenheimen und Krankenhäusern. Der CDU-Politiker Erwin Rüddel hatte gefordert, dass Pflegekräfte positiver über ihre Arbeit berichten sollen. Dabei kamen Beiträge zustande wie: „Wenn du morgens um 7.00 Uhr die liebe, alte Dame auf der Toilette sitzend findest, weil die Nachtschwester ihr um 02.08 Uhr gesagt hat, sie komme gleich wieder. Und sie es vor lauter Arbeit vergessen hat.“ oder: „Wenn du als Pflegepraktikant krank wirst und die Stationsleitung Panik bekommt, weil Personal fehlt. Als Pflegepraktikant. In der dritten Woche.“
Wohlhabendere Familien leisten sich für ihre Alten oft Rund-um-die-Uhr-Pflegerinnen. Dazu kommen nach Deutschland jährlich zwischen 200.000 und 500.000 osteuropäische Frauen. Sie wohnen für einige Monate im Haushalt von einem älteren, nicht mehr selbstständigen Menschen (oder Ehepaar) und müssen sie rund um die Uhr betreuen. Ein sehr harter Job, bei dem deutsches Arbeitsrecht systematisch verletzt wird und Pflegerinnen skandalös unterbezahlt sind.
Die Politiker der Regierungsparteien haben kaum ein Interesse daran, die Situation der Pflegekräfte zu ändern. Im Gegenteil. Sie vertreten eher die Interessen der Familien, die für die Pflege bezahlen müssen. Daher liegt ihnen mehr daran, dass Pflege billig bleibt.
Frauen sind in Deutschland also immer noch großen Gefahren und Ungerechtigkeiten ausgesetzt. Dennoch hat Feminismus in Deutschland auch schon einiges erreicht. Diese Errungenschaften sind oft kleinteilig, manchmal wirken sie auf den ersten Blick banal. Sehr berechtigt ist etwa die Frage: Wozu etwa braucht man eine feministische Perspektive in der Literaturwissenschaft?
Insgesamt machen die vielen kleinen Errungenschaften Deutschland jedoch zu einer freieren, freundlicheren Gesellschaft. Feminismus hat hier wohl auch deshalb einen guten Ruf, weil er schon viel erreicht hat. Aber auch weil er noch viel mehr erreichen muss.