Die Zeit vergeht, alles ändert sich, aber die lebendigen Erinnerungen an die Kindheit, an Familienfeste und Traditionen erwärmen oft unsere Seele. Im Gespräch mit Olga Beder können wir in die Vorweihnachtszeit eintauchen.

Frau Beder, erzählen Sie uns von den Weihnachtstraditionen, die die Deutschen nach Kasachstan mitgebracht haben.

Die Szenarien der Weihnachtsfeiern in den deutschen Dörfern waren nicht gleich, es hing alles von den ursprünglichen deutschen Wurzeln der Siedler ab und auch von den Lebensbedingungen der Kolonie: der Größe, dem Vorhandensein eines Pfarrers, der eine umfangreiche Feier organisieren konnte, sowie der materiellen Lage der Kolonie. Dennoch lassen sich einige gemeinsame Traditionen benennen, wie das Vorlesen der Weihnachtsgeschichte, das Singen von Weihnachtsliedern und das Erscheinen des Christkinds.

In den deutschen Siedlungen wurde diese Rolle in der Regel von einem jungen, weiß gekleideten Mädchen übernommen. Aber ihre Ankunft variierte, irgendwo hatte sie Begleiter: Knecht Ruprecht, irgendwo einen Esel, und irgendwo kam sie allein und erfreute die Kinder mit Geschenken. Im Wolgagebiet erhielten sie in einigen Kolonien nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene. Auch das Christkind hatte, so die Erinnerung, manchmal auch Rosen. Und Kinder konnten anstelle von Geschenken auch Rosen von ihr bekommen, und irgendwo von Knecht Ruprecht. Es gab also kleine Unterschiede von Kolonie zu Kolonie.

Nach der Deportation der Deutschen nach Kasachstan blieben die Traditionen natürlich nur teilweise erhalten, da sie nicht vollständig eingehalten werden konnten: Erstens war Weihnachten ein religiöser Feiertag, und die Religion wurde damals stark verfolgt, alles musste im Geheimen stattfinden. Zweitens war das Leben in der Kriegs- und Nachkriegszeit von Hunger geprägt, und an solche Feste, wie sie in den reichen Kolonien an der Wolga oder in Odessa beschrieben wurden, war nicht zu denken. Die Bewirtungen waren sehr bescheiden, und dasselbe gilt für die Geschenke.

Natürlich war es nicht überall möglich, einen Weihnachtsbaum für die Kinder aufzustellen. Wenn früher in den Regionen, in denen es keine Tannenbäume gab, diese durch blühende Zweige ersetzt wurden, so waren auch diese nach der Deportation nicht mehr überall zu finden. Jeder kennt das Werk „Wermut-Weihnachtsbaum“ von Olga Kolpakowa, in dem ein Weihnachtsbaum aus einem Wermutzweig hergestellt wurde. Aber die wichtigste Tradition ist die Geburt des Erlösers, und im Mittelpunkt des Festes stand immer das Kind. Unter allen Umständen versuchten die deutschen Familien, den Kindern eine Freude zu machen.

Welche Traditionen gab es in Ihrer Familie?

Die Familie meines Vaters wurde aus der Ukraine nach Kasachstan in das Dorf Saratowka im Gebiet Ostkasachstan deportiert. Weihnachten wurde immer ausgiebiger und festlicher gefeiert als Neujahr. Es war obligatorisch, einen Weihnachtsbaum zu haben, der von der ganzen Familie geschmückt wurde. Das ganze Haus wurde gründlich geputzt und mit Spielzeug und Lametta geschmückt. Sie wurden an der Decke und an den Türen angebracht, das ganze Haus musste zu Weihnachten sehr sauber, schick und schön sein.

Das Christkind kannte ich nur aus den Erzählungen meines Vaters, wenn er sich an seine Kindheit erinnerte und sogar Zeilen aus Kinderliedern wiederholte, die er ihr vorlas. In unserer Familie gab es solche Besuche nicht, auch weil der Feiertag religiös war, also nicht bekannt gemacht wurde. Es gab Leckereien auf dem Tisch, traditionelle Gerichte, Backwaren – Riwwelkuchen – und Gäste – Verwandte und Freunde der Familie.

Ich möchte auch von einer solchen Familientradition erzählen – dem Austausch von Geschenken. Wir sind eine große Familie und wir haben im Voraus ausgelost, wer von den Familienmitgliedern wem ein Geschenk machen würde. Und diese Intrige wurde bis Weihnachten aufrechterhalten, die Kinder versuchten natürlich zu erraten, wer wem was schenkt. Sie stellten verschiedene knifflige Fragen. Natürlich wandten sich die jüngeren Kinder an ihre Eltern oder älteren Schwestern, um finanzielle Hilfe zu erhalten, aber alle hüteten das Geheimnis. Viele Geschenke wurden mit den eigenen Händen gemacht, und zwar heimlich, um die Intrige am Leben zu erhalten. Dies unterstrich den Geist des Festes und den Zusammenhalt der Familie noch mehr. Am Abend des Festes lagen alle Geschenke unter dem Baum, feierlich geschmückt und unterschrieben. Und als jeder sein eigenes Geschenk erhielt, freute er sich aufrichtig darüber.

Autorin: Maria Gorbachjowa

Übersetzung: Annabel Rosin

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