Häusliche Gewalt, Diskriminierung und Benachteiligung im Beruf – Frauen in Kasachstan haben mit einer Vielzahl von Problemen zu kämpfen. Am 8. März gehen viele von ihnen in Almaty auf die Straße, um auf diese Missstände in der Gesellschaft aufmerksam zu machen. Es ist das erste Mal, dass der Frauenmarsch von den Behörden genehmigt wird.

Es ist ein trüber Montag, an dem Mahatma Gandhi im gleichnamigen Almatiner Park eine bunte Schar von Gästen empfängt. Hunderte haben sich rund um die Statue des indischen Unabhängigkeitskämpfers versammelt, prominente Künstlerinnen, Jugendliche, Mütter mit Kindern und Seniorinnen – Frauen und Männer mit unterschiedlichsten Hintergründen, aber einem gemeinsamen Ziel: Die Lage der Frauen in Kasachstan soll sich bessern, gerechter werden.

Es ist der 8. März, Internationaler Frauentag – in Kasachstan wie auch den meisten anderen postsowjetischen Ländern ein nationaler Feiertag. Diesen Tag wollen die Menschen hier so feiern, wie es vor hundert Jahren angedacht war – mit einer friedlichen Kundgebung für die Frauenrechte. Fast alle, die an diesem Montag in den Gandhi-Park gekommen sind, haben Plakate mit feministischen Losungen gemalt. „Mojo telo, mojo delo“, steht auf einem – „Mein Körper, meine Angelegenheit“. „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ auf einem anderen.

Das Motto der Veranstaltung selbst: „Der Feminismus wird Kasachstan retten“. Es ist das erste Mal, dass die Behörden den „Frauenmarsch“ feministischer Aktivistinnen und Aktivisten erlaubt haben. Organisiert haben ihn die feministischen Initiativen KazFem, Feminita und FemSreda sowie die öffentlichen Stiftungen FemAgora und SVET.

Anwohner zeigen Sympathie für Frauenmarsch

Der offizielle Beginn des Marsches ist für 13 Uhr geplant, aber bereits eine halbe Stunde zuvor ist der Platz um das Gandhi-Denkmal voll. Nachdem die Verhaltens- und Hygieneregeln erklärt worden sind, ziehen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Schewtschenko-Straße entlang in östlicher Richtung los. Für die Durchführung des Marsches wurden zuvor die Straßen gesperrt. Begleitet wird der Zug von Sanitätswagen, einigen wenigen Polizisten in Uniform und einer Menge von Männern in Schwarz, die Demonstrierende fotografieren. Ein Medienvertreter des Online-Portals Mediazona.CA glaubt, dass es sich um Mitarbeiter des Sicherheitskomitees handelt.

Es ist auch eine Gruppe dabei, die nicht zu erkennen geben will, welcher Organisation sie angehört. Sie demonstrieren für politisch gefangene Frauen. Vermutungen machen die Runde, sie könnten der Organisation „Demokratische Wahl Kasachstan“ angehören, die in Kasachstan verboten ist. Polizisten fordern die Organisatorinnen auf, die Gruppe von der Demonstration auszuschließen, woraufhin diese ihre Zugehörigkeit zur DWK abstreitet und weiter mitläuft.

Laut Schätzungen von Organisatorinnen und Medien sind es zwischen 300 und 500 Personen, die bei dem Frauenmarsch dabei sind. Auf halber Strecke halten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen Flashmob nach dem Vorbild chilenischer Feministinnen ab. Das Motto: „Vergewaltiger bist du“. Bewohner von Häusern in der Schewtschenko-Straße begrüßen die Demonstrierenden.

Organisatorinnen wollen Frauenmarsch zur Tradition machen

Um 14 Uhr erreicht die Kolonne den Platz hinter der Wissenschaftsakademie vor dem Schokan-Ualichanow-Denkmal. Dort findet die Kundgebung statt, die mit der Hymne der feministischen Bewegung „Lied der Frauen“ („L’hymne des femmes“) auf Kasachisch und Russisch eröffnet wird. Da sich das Motto der Veranstaltung auf verschiedene Arten von Aktivismus bezog, sprechen auch die Rednerinnen über verschiedene Themen mit Frauenbezug. So geht es bei den Mitbegründerinnen von Feminita Zhanar Sekerbayewa und Gulzada Serikzhan um die Rechte von Personen mit anderer sexueller Orientierung. Moldir Alban von SVET und Veronika Fonowa von KazFem sprechen über häusliche Gewalt und fordern ein Gesetz zu dessen Beseitigung.

Die erst 17-jährige Marschkoordinatorin Mira Ungarowa kann ihre Tränen vor Stolz und Freude nicht zurückhalten. Arina Osinowskaja, Aktivistin von KazFem, äußert ihre Hoffnung, dass der Frauenmarsch sich nun zu einer Tradition in Kasachstan entwickle und keine Frau mehr für ihr verfassungsmäßiges Recht bestraft werde, an einer Kundgebung zum Internationalen Frauentag teilzunehmen.

Schließlich geht der Marsch friedlich zu Ende. Nur von einer Verhaftung wird später berichtet. Betroffen sein sollen ein junger Mann mit rotem Rock und weißen Strumpfhosen sowie ein Kommunist. Der Kommunist wollte den Mann im Rock der Polizei als Provokateur übergeben. Der wiederum beharrte darauf, nichts Unrechts getan zu haben.

Unterstützt wurde die Durchführung des Marsches in diesem Jahr von den diplomatischen Missionen der USA, Kanadas, Großbritanniens und einer Reihe von EU-Mitgliedstaaten. Seit 2017 gab es mehrere Versuche, Frauenmärsche zu organisieren. Im vorigen Jahr war der Marsch zwar nicht genehmigt, aber Demonstrierende konnten im Stadtzentrum aufziehen, ohne verhaftet zu werden. Zwei Tage später wurden zwei Initiatorinnen bestraft, weil sie im Andenken an verstorbene Opfer häuslicher Gewalt einen Kranz auf der Veranstaltung verbrannt hatten. Vor dem Marsch 2021 bekamen die Organisatorinnen Bedrohungen in sozialen Netzwerken.

Versammlungen auch im Nachbarland

Auch in Bischkek und Osch fanden feministische Märsche gegen Gewalt gegen Frauen statt. Die Demonstrationen in Bischkek haben bereits eine langjährige Tradition. In der kirgisischen Hauptstadt versammelten sich bis zu 600 Menschen, in Osch waren es etwa 50. Aufsehen erregte der Auftritt der Journalistin Aidai Tokojewa. Während sie sich ihre Zöpfe – traditionelles Symbol von Respekt für Kirgisinnen – flechten ließ, las sie Geschichten von Femiziden vor. Danach schnitt sie ihre Zöpfe ab. „Wenn ihr euren Respekt durch Rechtsverletzungen und Morde zeigt, trage ich lieber keine Zöpfe“, erklärte sie ihren Auftritt später auf dem kirgisischen Online-Portal Kloop.kg.

Obwohl ein Bischkeker Gericht Massenversammlungen im Stadtzentrum zwischen dem 22. Februar und 22. April verboten hatte, liefen auch die Märsche in Kirgisistan letztlich friedlich und ohne Zwischenfälle ab – im Gegensatz zum Vorjahr, als Nationalisten die feministische Kundgebung zum 8. März angegriffen hatten. Kurios: Die Polizei verhaftete damals die Demonstrantinnen, nicht die Angreifer.

Aizere Malaisarova

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