Milch, Eier, Sonnenblumenöl – einige für uns alltägliche Dinge sind mancherorts mittlerweile fast zu Luxusprodukten geworden. Auf der ganzen Welt sind die Folgen der Inflation zu spüren. Unsere Autorinnen haben Deutschland und Kasachstan einem Vergleich unterzogen.

Annabel Rosin, Deutschland

Nur noch wenige Menschen in Deutschland können von ihren Gehältern etwas zur Seite legen. Dies betrifft vor allem die Mittel- und Unterschicht. Die Inflationsrate in Deutschland ist so hoch wie seit 70 Jahren nicht mehr, im September lag diese bei rund 10 Prozent, wobei sich die Höhe auch stark von Bundesland zu Bundesland unterschied. Hauptursache der Teuerung: Steigende Energiepreise wegen der Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Unternehmen sind dadurch gezwungen, ihre Kosten den Durchschnittsbürgern weiterzureichen.

Unmittelbar nach dem 24. Februar stiegen beispielsweise die Preise für Diesel und Benzin in Deutschland rasant an. Dementsprechend kamen einige Menschen auf die Idee, Speiseöl statt des teuren Sprits in ihre Tanks zu kippen. Die Folge: Die Nachfrage nach dem „flüssigen Gold“ stieg an, der Preis für eine Ein-Liter-Flasche lag teilweise bei 7,99 Euro.

Bäckereien am Limit

Natürlich betreffen die steigenden Preise auch meine Familie in Deutschland. Für eine volle Tankfüllung bezahlt mein Vater mittlerweile an die 120 Euro. Damit kann er rund drei Wochen fahren, hauptsächlich zur Arbeit und zurück. Da meine Familie auf dem Land wohnt, sind wir auf unsere zwei Autos angewiesen. In der Stadt beispielsweise wäre es deutlich einfacher, das Auto stehen zu lassen und die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen.

Für unsere vierköpfige Familie gaben meine Eltern vor der Inflationskrise maximal 120 Euro für einen Wocheneinkauf aus. Obwohl ich hier in Kasachstan bin und so in unserem Haushalt nun eine Person weniger lebt, gibt meine Familie für einen Wocheneinkauf in Deutschland bereits rund 180 Euro aus. Dabei sind es vor allem Fleischprodukte, für die man nun tiefer in die Tasche greifen muss. Diese sind um rund 46 Prozent gestiegen. Aber auch Butter oder Milch sind deutlich teurer geworden, hier ist ein Anstieg um 39 beziehungsweise 37 Prozent zu beobachten.

Immer wieder erscheinen in den lokalen Tageszeitungen Berichte von (Traditions-)Bäckereien in Deutschland, die aufgrund der hohen Strompreise entweder nicht mehr täglich frische Waren backen können oder ihren langjährigen Betrieb ganz aufgeben müssen. Für den Deutschen sind frisches Brot und Brötchen unverzichtbar, jetzt gibt es die Backwaren entweder nur noch alle zwei bis drei Tage neugebacken oder deutlich kleiner als zuvor. Für einen deutlich höheren Preis.

Besserung noch nicht in Sicht

Die deutsche Regierung versuchte, die Menschen immerhin ein wenig finanziell zu unterstützen: Jeder, der im September in einem Angestelltenverhältnis war oder Geld nach dem BAföG-Gesetz bezieht, bekam mit seiner Lohnabrechnung eine einmalige Energiepauschale ausgezahlt. Sogar mein Bruder als Schüler im Ferienjob profitierte von der einmaligen Finanzspritze. Aufgrund der unterschiedlichen Steuerklassen kam dabei bei jedem Bürger eine andere Summe auf dem Konto an.

Ein Ende der Krise ist bisher nicht in Sicht. Wirtschaftsexperten prognostizieren, dass wir in Deutschland noch mindestens bis 2024 den Gürtel enger schnallen müssen. Die Deutschen werden also noch eine lange Zeit Preise vergleichen oder auf vieles komplett verzichten müssen.


Aizere Malaisarova, Kasachstan

Für Kasachstaner ist Inflation schon lange kein Fremdwort mehr. In den letzten 10 Jahren lag die jahresdurchschnittliche Inflationsrate bei 7,32 Prozent. Erst im Jahr 2015 erreichte sie fast 14 Prozent. Doch in diesem Jahr schlägt die Inflationsrate alle Rekorde. Anfang 2022 schätzte die Nationalbank Kasachstans die Inflationsrate bei 13-15 Prozent ein. Im September war dann schon klar, dass sie bis Ende des Jahres 16 bis 18 Prozent erreichen wird. Der Wendepunkt war im Sommer: Laut der Nationalbank stiegen die Lebensmittelpreise im Juli im Jahresvergleich auf 19,7 Prozent. Die höchste Preissteigerung gab es in der Region Mangistau (24 Prozent). Ursache: Der Krieg in der Ukraine, die Unterbrechung von Lieferketten und die ökonomische Abhängigkeit Kasachstans von Russland.

Besonders hervorzuheben ist die Erhöhung der Preise für Zucker. Dies hing damit zusammen, dass Kasachstan bis zu 58 Prozent des Zuckers aus Russland importierte und Russland Mitte März bis zum 31. August den Export von Zucker verbot. Im April stiegen die Preise für 1 Kilo Kristallzucker von 285 auf 400 Tenge, im Juni schon auf 700 Tenge. Zucker wurde zu weißem Gold: Die Leute kauften ihn in großen Mengen auf, Supermärkte gaben nur bis zu 5 Kilo pro Person raus, in sozialen Netzwerken verbreiteten sich Videos von Schlägereien um Zucker. Um die Preise einzudämmen, schlug Handelsminister Serik Zhumangarin vor, eine dreimonatige Menge Zuckerrohr aus Brasilien einzukaufen, um kasachische Fabriken damit zu versorgen. Im September haben sich die Zuckerpreise fast verdoppelt (Anstieg um 92,8%).

Auch Milchpreise gehen durch die Decke

Milchprodukte sind um fast ein Viertel teurer geworden. Laut Experten ist das Wachstum seit anderthalb Jahren aufgrund der gestiegenen Tierfutterkosten und der gesamtwirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu beobachten. Der starke Preissprung seit Ende Februar steht dagegen ebenfalls im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine. Die kasachischen Hersteller decken die Inlandsnachfrage nach Milch zwar fast vollständig, nach anderen Milchprodukten aber nur teilweise. 2020 etwa importierte Kasachstan viel Trockenmilch, Molke, Butter und Käse aus Russland.

In den ersten acht Monaten 2022 stiegen die Kosten für Trinkmilch um 24,6 Prozent, für Sauermilchprodukte um 26,4 Prozent. Joghurt stieg um ein Drittel, Sauerrahm um 30 Prozent, Käse um 29 Prozent und Kefir um 17 Prozent. Der Lieblingskäse meiner Mutter, hergestellt in der Ukraine, ist gar für eine Weile ganz von unserem Markt verschwunden. Jetzt kostet er fast doppelt so viel wie vorher.

Wer wie ich keine Kuhmilch trinkt, hat auch das Preiswachstum gespürt. Fast alle Marken der pflanzlichen Milch in Kasachstan werden in Russland hergestellt. Während ich die billigste Hafermilch Anfang dieses Jahres für 600 Tenge mit Rabatt oder
880 Tenge ohne kaufen konnte, sehe ich nun Hafermilch einer russischen Marke für 1.100 Tenge und einer europäischen Marke für 2.000 Tenge. Einen Kaffee mit Pflanzenmilch in Cafés zu bestellen, kostet jetzt bis zu 700 Tenge mehr – fast der Preis für ein eigenständiges Getränk.

Frisches Gemüse teuer wie nie

Es fiel mir schwer, die Ausgaben meiner Familie für Lebensmittel zusammenzurechnen. Erstens kauft jedes Familienmitglied fast jeden Tag was bei Supermärkten oder Kiosken ein, weil sie immer um die Ecke sind. Zweitens sind die Ausgaben oft nur schwer nachzuverfolgen: Wenn wir am Wochenende auf dem Grünen Basar einkaufen, überweisen wir den Verkäufern das Geld per Kaspi Bank, und das erschwert die Rechnungen, weil man sich am Ende des Tages kaum daran erinnern kann, bei wem man was gekauft hat und wie viel was gekostet hat.

Laut meinem Vater sind in diesem Jahr die Preise für einige Produkte auf dem Grünen Basar wie folgt gestiegen: 10 Stück Eier von 450-500 auf 700-750 Tenge, Sonnenblumenöl hat sich fast verdoppelt auf 1.000 Tenge, 1 Kilo Rindfleisch von 2.700 auf 3.300 Tenge, Lammfleisch von 2.600-2.800 auf 3.000-3.200 Tenge. Ein Kilo Pferdefleisch, eine kasachische Delikatesse, kann zur Zeit bis zu 4.000 Tenge kosten. Die Preise für Gemüse sind schwierig zu vergleichen, weil es jedes Jahr zum Herbst und Winter teurer wird. Doch neulich hat meine Großmutter für ein Kilo Gurken und Tomaten 2.000 Tenge bezahlt – so viel wie nie. Nun werden wir uns im Winter nicht wie üblich von frischen Gurken und Brokkoli ernähren, sondern wohl von Sauerkraut und Rote Beete.

Steigende Preise für Grundprodukte wirken sich negativ auf das ohnehin schon erbärmliche Einkommen der Kasachstaner aus. In den letzten zehn Jahren fanden drei Abwertungen der Währung statt, und der Durchschnittslohn in Dollar ist um ein Drittel gesunken. Das höchste Durchschnittsgehalt gab es 2013 mit 137.000 Tenge oder 909 Dollar. Im Januar 2021 betrug der durchschnittliche Lohn ungefähr 592 Dollar. Wenn nur unser Einkommen der Inflation gemäß wachsen könnte, wären ihre Folgen nicht so rasant zu spüren, aber das ist ein anderes Thema.

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