In absehbarer Zeit wird das Erdgas nicht mehr so üppig aus den heutigen russischen Hauptfeldern strömen. Russlands Gaswirtschaft – damit Gazprom – braucht neue Energiequellen und streckt die Fühler in alle Richtungen aus, auch nach Zentralasien.

Die Werbung des internationalen Energiemultis Shell verkündet: „Yes, the world’s remaining gas reserves are getting harder to reach“ (Ja, die weltweiten Gasreserven werden rarer). Was für Shell gilt, gilt für Gazprom gleichermaßen. Drei Viertel des russischen Erdgases kommen heute aus Westsibirien. Die dortigen Hauptfelder Urengoi, Jamburg und Medweschje stehen für das Gros der russischen Gasförderung. Die drei Lagerstätten werden allerdings im Jahr 2010 ihr maximales Produktionsniveau erreicht haben, und ab 2015 ist laut einer Energiestudie der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik ein bedeutsamer Rückgang der Fördermengen absehbar. Danach wird zwar noch vier Jahrzehnte das Gas strömen, aber die Fördermengen der Hauptfelder sinken dann um knapp zehn Prozent im Jahr. Solche Rückgänge zwingen zur Öffnung neuer Förderstätten. Die Erschließung und Ausbeutung der beiden Giga-Felder Stockmann in der Barentssee und Jamal – allein die Jamal-Reserven belaufen sich auf mehr als 10 Trilliarden Kubikmeter – ist aufgrund ihrer Lage in der Permafrostregion allerdings technisch aufwendig und damit sehr teuer. Zudem ist der Transport von Gas komplexer und teurer als das Pumpen von Öl durch tausende Pipelinekilometer. Allein die Kosten der Jamal-Erschließung werden auf rund 25 Billionen US-Dollar geschätzt. Sozial- und wirtschaftspolitisch motivierte Niedrigstpreise auf dem russischen Inlandsmarkt für Erdgas sorgen dafür, dass sich solch eine Investition selbst mit den angestrebten Preiserhöhungen bis 2010 – im Gespräch sind Preissteigerungen von bis zu 50 Prozent im Vergleich zum Basisjahr 2005 – kaum amortisiert. Falls die Erschließung neuer Gasfelder immer weiter nach hinten verschoben wird, droht Russlands Gazprom Energieknappheit. Zumal erhebliche Lieferverpflichtungen gegenüber dem Westen bestehen.

Gazprom schielt nach Zentralasien

Schon jetzt sucht der Gasmonopolist Gazprom nach Alternativen, um Engpässe zu überbrücken. Die Ressourcenstrategie des Gasriesen zur Sicherung von billiger Energie im Einkauf baut auf drei Säulen. Oberste Priorität genießt die kostengünstige Erschließung kleinerer Gasvorkommen in der Nähe zu bisherigen Förderstätten. Diese müssten dann nur an vorhandene Pipelines angeschlossen werden und die Investitionsvolumina sind niedrig. Eine zweite Alternative wäre die Ausweitung des Gasbezugs von unabhängigen russischen Anbietern, die 2004 immerhin schon 90 Billionen Kubikmeter lieferten und laut der Kreml-Energiestrategie bis zum Jahr 2020 schon in vier Jahren in der Lage sein könnten, 150 Billionen Kubikmeter zu liefern. Ob das Potenzial der Alternativanbieter zum Tragen kommt, wird allerdings von wirklich fairen Zugangbedingungen zum Gasmarkt und den Pipelinesystemen abhängen. Der dritte Baustein der Ressourcenstrategie Gazproms zielt auf Langzeitverträge für Erdgasimporte aus Zentralasien ab. Laut dem Oxford Institute for Energy Studies peilen Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan bis 2010 eine Liefermenge von mehr als 100 Billionen Kubikmetern an Gazprom an. In Turkmenistan unterhält Gazprom schon eine seiner vier Auslandsrepräsentanzen, ein Langzeit-Liefervertrag bis 2028 ist unterzeichnet. Gazprom organisiert die Durchleitung des turkmenischen Gases über Usbekistan und Kasachstan. Ein vermehrter Bezug von Erdgas aus Zentralasien würde es Gazprom erlauben, die teure Erschließung von Reserven in Permafrostregionen zu verzögern. Zudem würde der russische Gasmonopolist so zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, denn durch den Aufkauf des zentralasiatischen Gases hält man auch die Konkurrenz von der Selbstvermarktung auf dem Exportmarkt Europa ab. Die dritte Säule der Gazprom-Energiestrategie birgt auch Risiken, wie der viermonatige Lieferstopp Turkmenistans zu Jahresanfang 2005 sowie Unklarheiten über widersprüchliche Langzeitverträge zwischen Turkmenistan und Russland sowie Turkmenistan und der Ukraine Gazprom vor Augen führte.

Zentralasiatische Rückkoppelungen auf Russlands Gasmarkt

Falls sich der Gasbezug aus Zentralasien für Gazprom schwierig gestaltet, werden die unabhängigen Gasanbieter Russlands davon profitieren. Erhält Gazprom aber den Rohstoff zu günstigen Konditionen aus Zentralasien, dann werden unabhängige Anbieter voraussichtlich vom russischen Markt gedrängt. Beide Varianten, die des Bezugs von Erdgas durch unabhängige oder durch die zentralasiatischen Länder, treiben Gazprom vordergründig in eine größere Abhängigkeit von Lieferanten. Allerdings steigt damit die Marktmacht Gazproms gegenüber seinen Abnehmern aus dem Westen, falls man Kontrolle über die Gasreserven Zentralasiens erlangen könnte. Alles in allem haben die Erdgasstaaten Zentralasiens gewichtigen Einfluss auf die Zukunftsentwicklung des russischen Gassektors. Bis dato zeichnet sich, bedingt durch die Schwierigkeiten des Gastransports, eine Kooperation Zentralasiens mit Russland in Gasfragen ab. Turkmenistan und Usbekistan haben bereits langfristige Lieferverträge. Kasachstan versucht auf gleicher Augenhöhe mit Russland zu verhandeln. Ob Gazprom sich noch mehr dem Erdgas Zentralasien zuwendet, ist derzeit noch nicht absehbar. Die Entscheidung wird in erster Linie von den Faktoren Einkaufspreis für Gazprom, Liefersicherheit und zukünftige Preisentwicklung für Erdgas auf dem Weltmarkt, sprich der Rentabilität, abhängen. Die ersten beiden Faktoren hat man in Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan selber in der Hand.

Von Gunter Deuber und Manuel Paffrath-Dorn

31/03/06

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