Almatys Szenetreff hat mit dem Hamburger Schanzen-Viertel nichts gemein. In Almaty dominiert die Bodenständigkeit, in Hamburg der Drang nach Originalität

„Generation Milchkaffee“, so lautete ein Artikel bei Spiegel-Online, der letzte Woche im Umkreis des Feuilletons zu lesen war. Die Autorin, den eigenen Worten nach einem Besserverdienenden-Viertel Hamburgs entstammend, hielt sich gerade in einem Szene-Café des Schanzen-Viertels auf. Die Hamburger Hipster-Gegend aus Ökoläden, Record-shops und coolen Kleiderboutiquen kommt unter ihrer Feder allerdings nicht besonders gut weg. Gelangweilt von den Coolness-Gesten der jungdynamischen Flaneure, entdeckt sie immer nur die gleiche, einstudierte Uniformität. Ob es die gekonnt verwaschenen und milimetergenau über den Nacken wachsenden Haare sind, die sorgsam gefärbten Armee-Jacken oder das melancholische Einrühren der Milchschaumkrone in das Latte Machiatto-Glas – alles sei bemüht, schreibt sie, und von der Wildheit des ehemaligen Autonomen-Viertels sei rein gar nichts mehr zu spüren.

Dabei versuchten die Schanze-Bewohner doch mit aller Kraft, originell zu sein. Sie kauften teure Paprika und teure Jeans, hätten mehrere Kreativ-Jobs gleichzeitig und trügen „ als Arbeits- und Praktikumsnomaden das mobile Büro in umgehängten Taschen“ stets mit sich. „Aus der privaten Wirtschaftskrise haben sie eine Lebensphilosophie gemacht: Frei sein, tun, was Spaß macht und nachmittags die Freunde im Café treffen.“ Obdachlosen schmettere man sein routiniertes „Nein, ich habe heute schon was gegeben“ entgegen, und bei aller distinguierten Andersheit fühle man sich sehr wohl in dem familiären Szene-Kiez, wo jeder jeden kennt und jeder gerade in irgend einem schrägen Projekt seine kreativen Energien verschleudere. Schon ein Nest. Ein sehr cooles.

Der Szene-Kiez von Almaty ist da ganz anders. Nicht nur, dass er viel postmoderner strukturiert ist: Discogänger wechseln ihre Treffpunkte mindestens genauso häufig wie männliche Schanze-Bewohner ihre Calvin-Klein-Unterhosen. Hinzu kommt, dass das gestische Repertoire der Hamburger Metrosexuellen im unendlich bodenständigeren Almaty als hoffnungslos verweichlicht gelten würde. Hier setzt man noch ganz auf die optische Betonung der Primärreize: Mädchen, resistent gegen allzu elaboriertes Modegetue, stöckeln wie eh und je über die Straßen, machen auf bauchfrei und klappen zur Überprüfung ihres Make-Up an der Ampelkreuzung mit einem unbeschreiblich weltabwesenden Blick den Handspiegel auf. Jungs haben den Nacken ausrasiert und verschaffen sich mit Dominanz-Gesten Respekt – den Testosteron-Zeiger immer gefährlich auf Anschlag.

Natürlich pfeift man da auf das mobile Büro, und auf den Milchkaffee erst recht. Stattdessen arbeitet man ganz traditionell bis spät abends im Büro, und geht in der nächsten Mensa Lagman essen. Für souveränes Abhängen bleibt da gar nicht so viel Zeit – nach einer durchtanzten Nacht am Wochenende geht es montags schließlich wieder ins Büro. Wenn dann um 12 Uhr mittags der erschöpfte Blick über die Lagman-Schüssel hinweg ins Leere gleitet, kuscheln sich Hamburger Schanze-Pärchen noch ganz warm aneinander. Oder machen sich den ersten Milchkaffee.

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