Mit anderen Menschen auf engem Raum auszukommen, bedeutet von jeher eine große Herausforderung. Das ist mit festem Tritt auf der Erde schon schwierig genug. Aber im Wasser, für das wir als Mensch eigentlich auch gar nicht ausgerichtet sind, verliert man gemeinhin schneller den Boden unter den Füßen.
Im Schwimmbad will jeder das Becken am liebsten ganz für sich alleine haben, um stur und stramm seine Bahnen zu ziehen. Hin und rück, hin und rück, ohne auf irgendwas zu achten, denn so macht Schwimmen nicht nur fit und schlank, sondern befreit auch Geist und Seele – was ja letztendlich und irgendwie alles miteinander zusammenhängt. Nun ist es aber selten oder nur zu unmenschlichen Zeiten – zum Beispiel um 06.00 Uhr in der Früh – so, dass man allein auf weiter Flur beziehungsweise Bahn ist. Im Schwimmbad gibt es zwar nur vier wesentliche Gefahren: Krakelende Kinder springen vom Beckenrand auf einen drauf, weil der Bademeister grad nicht richtig aufpasst. Man wird von anderen Schwimmern getreten. Man knallt mit anderen Schwimmern frontal und mit voller Wucht zusammen. Oder man schwimmt durch eine Parfümlache älterer Damen, bevorzugt der Marke „Tosca“.
Alles nicht so schlimm. Aber auch alles nicht wirklich schön, jedenfalls ist man versucht, diese Gefahren zu vermeiden. In einem Becken voller Egoisten und Egozentriker, was der Mensch an sich nun mal ist, zeigt sich sehr schnell und allzu deutlich das Sozialverhalten der Mitmenschen beziehungsweise zeigt es sich eben grad nicht.
Heute war ich kurz davor, mal ein ernstes Wort mit dem Bademeister zu sprechen. Da sich Bademeister sowieso die ganze Zeit langweilen, bis sie mal jemanden vor dem Ertrinken retten dürfen, könnten sie sich eigentlich auch als Verkehrspolizisten oder Sittenpolizei betätigen. Dann würden sie nämlich diejenigen aus dem Verkehr ziehen, die es sich erlauben, in einem vollen Becken Rücken zu schwimmen. Die Rückenschwimmer ziehen sich nämlich aus der Affäre, anderen ausweichen zu müssen, da sie eh nicht sehen, was hinter ihnen passiert, getreu dem Motto: „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß!“. Sittenloser aber treiben es noch die Vorwärtsschwimmer, die sehen, was auf sie zukommt, nämlich ich, und trotzdem stur vor sich hinschwimmen. Da ich mit meinen fünf Dioptrien Kursichtigkeit und einer äußerst schlechten Schwimmbrille, die stets beschlagen ist, meine Opfer beziehungsweise Täter immer erst kurz vor dem Zusammenstoß sehe, verrenke ich mir jedes Mal die Glieder, um auszuweichen und nehme dann doch noch einen Tritt mit auf den Weg. An sich streite ich mich gern, aber nicht, wenn mir das Wasser bis zum Hals steht und der Täter doppelt so groß und breit ist wie ich. Und warum schwimmen diejenigen im Hummelstil, die kaum vom Fleck kommen, nicht in dem für sie abgetrennten Becken nebenan und überlassen uns Schwimmbrillenträgern die langen Bahnen?! Ich will niemanden diskriminieren und kann verstehen, dass jeder gern auf einer langen Bahn schwimmt, ob nun langsam-unsportlich oder nicht. Die Rentner, um die es hier im wesentlichen geht, werden schon genug diskriminiert. Weil sie so viel Zeit haben, sollen sie im Sinne einer arbeitsteiligen Raumnutzung immer nur dann Urlaub machen oder einkaufen gehen, wenn alle anderen das nicht tun, das heißt wenn es überall kalt und leer ist. Da es den Rentnern aber vor allem an Unterhaltung und Austausch fehlt, ist die Menschenleere nun nicht gerade das, was ihnen gut tut. Am wohlsten fühlen sie sich in den Massen. Und natürlich ist es attraktiver, sich zwischen jungen sportlichen Menschen zu tummeln, als in einem Becken voller Rentner angeleitete Wassergymnastik zu betreiben. Da fühlt man sich ja schon beim Hingucken alt.
Heute haben sich zwei Gestalten ganz etwas Neues einfallen lassen, um die Bahnen zu verstopfen. Ein individueller Schwimmunterricht oder so etwas. Ich habe es nicht genau verstanden, aber sie haben sich quer zu den Bahnen (!) ewig langsam hin und her bewegt. Ein klarer Fall für das Sonderbecken! Ich fürchte, an alldem kann ich nicht viel ändern, aber eines weiß ich sicher: Wenn ich mal als Chefin viele Leute beschäftige, werde ich die Einstellungstests ausschließlich im Schwimmbad durchführen.
Julia Siebert
14/03/08