Das Thema „Kasachstan – Fortschritt durch Frauen?“ stand im Mittelpunkt der Jahreskonferenz der Deutsch-Kasachischen Gesellschaft Ende Oktober in Berlin. Die wachsende Bedeutung von Frauen in Politik, Wirtschaft und Medien und ihr Einfluss auf den gesellschaftlichen Wandel in Kasachstan wurden diskutiert. Obwohl das Interesse des deutschen Publikums verhalten war, kann die Veranstaltung als Erfolg gelten.

Die 15 Frauen, die aus Kasachstan angereist waren, machten aus der Jahreskonferenz der Deutsch-Kasachischen Gesellschaft eine Bühne, auf der leidenschaftlich vorgetragen, diskutiert und gestritten wurde. Selten habe ich Frauen erlebt, für die es so selbstverständlich ist, ohne Quoten und ständige Selbstreflexion ihren persönlichen, beruflichen und gesellschaftlichen Olymp selbst erklommen zu haben.

Das deutsche Publikum, dessen Kenntnisstand über Frauen in Kasachstan von Ahnungslosigkeit bis hin zu Expertentum reichte, bekam eine wunderbare Vorstellung geboten, deren Resümee man wie folgt beschreiben kann:

Die gleichen Probleme

Frauen in Deutschland und Kasachstan arbeiten überwiegend in schlechter bezahlten Jobs als Männer und geraten häufiger in die Armutsfalle. Frauen in beiden Ländern bekommen ihre Kinder immer später oder wollen gar keine Kinder. Demografische Probleme sind vorprogrammiert. Gewalt gegen Frauen gibt es sowohl in Kasachstan als auch in Deutschland.

Deswegen ist es gut, dass die Gleichstellung der Geschlechter in Deutschland wie in Kasachstan politisch erwünscht ist. Es gibt dafür Institutionen auf allen Ebenen des politischen Lebens, es gibt hier wie da Unternehmerinnenverbände. Trotz überwiegender Abneigung gegen die Quote vor allem aus Gründen des persönlichen Stolzes (O-Ton: „Ich möchte mein Leben aus eigener Kraft gestalten; ich brauche keine Nachhilfe!“), herrscht Einigkeit darüber, dass Förderung von Frauen notwendig ist. Denn sowohl in Deutschland als auch in Kasachstan gibt es eine Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Obwohl in beiden Ländern der weibliche Anteil an der berufstätigen Bevölkerung hoch ist (und in Kasachstan sogar noch höher als in Deutschland!), gelangen Frauen relativ selten in die Führungsetagen von Politik und Wirtschaft – und das, obwohl ihre Qualifikation sich derjenigen der Männer als ebenbürtig erweist! Hier gibt es Barrieren, und die liegen nicht nur in der Dreifachbelastung durch Arbeit-Kinder-Haushalt, sondern hauptsächlich in den Köpfen, vor allem der Männer. Ein anschauliches Beispiel dafür war der Auftritt eines jungen kasachischen Absolventen aus dem Publikum, der gegen die aufgebrachten Rufe der anwesenden Frauen zu bedenken gab, dass weibliche Berufstätigkeit mit der vollwertigen Erziehung der Kinder nicht vereinbar sei. Auch in der deutschen Gesellschaft dürfte er damit leider auf offene Ohren treffen.

Werte im post-sowjetischen Kulturvakuum

Zum Glück wurde gleich am ersten Tag der Veranstaltung mit dem in Deutschland weitverbreiteten Vorurteil aufgeräumt, Kasachstan sei eine islamische (oder, weicher ausgedrückt: islamisch geprägte) Gesellschaft, in der Frauen eine der moslemischen Tradition entsprechende, zurückgezogene Position einzunehmen hätten. Dr. Dina Wilkowski, eine exzellente Islam- und Kasachstan-Kennerin, unterstrich in ihrem kontrovers diskutierten Vortrag, Kasachstan sei ein säkularer Staat, warnte aber gleichzeitig davor, im Untergrund entstehende Strömungen der Re-Islamisierung zu übersehen, besonders solche Tendenzen, die auf ein Zurückdrängen erkämpfter Positionen der Geschlechtergleichstellung abzielten. Unterstrichen wurden die Eigenheiten der kasachischen Ausprägung des Islam und die in 70 Jahren Sowjetmacht erreichten Selbstverständlichkeiten bei der gleichberechtigten Teilnahme von Frauen am gesellschaftlichen Leben. Der hitzigen Diskussion war jedoch anzumerken, dass im postsowjetischen Kulturvakuum islamische Werte von Reinheit und Tugend sehr willkommen sind. Die Interpretation dieser Tugenden scheint zwar sehr weltlich, und doch wird man nachdenklich, wenn man an die extremistische Ausprägung dieser Normen denkt. Wie groß ist der Schritt vom kulturellen Gebot bis zum Dogma? Auf dem Podium dominierten die Frauen aus Kasachstan eindeutig. Nicht nur ihr Selbstbewusstsein und ihre emotionale Ausdruckskraft beeindruckten. Es fiel auch auf, mit welcher Offenheit sie ihre Probleme benannten. Noch Ende der 90er Jahre hätte zum Beispiel niemand öffentlich über Gewalt an Frauen oder Menschenhandel in Kasachstan gesprochen – inzwischen gibt es sowohl staatlich geförderte Untersuchungen zu diesem schmerzhaften Thema als auch ein sich entwickelndes Netz von Hilfseinrichtungen.

Ehrlichkeit ist der erste Schritt auf dem Weg zur Veränderung

Ein anderer Aspekt des Themas Ehrlichkeit wurde mehrmals unterstrichen. Frauen sind als Geschäftspartnerinnen ehrlicher als ihre männlichen Kollegen. Das betrifft sowohl ihre Offenheit und Unverkrampftheit gegenüber Problemen, die sie aussprechen, statt sie unter den Teppich zu kehren, als auch ihre viel geringere Affinität gegenüber Korruption.
Nicht zuletzt deswegen sollte das Fragezeichen im Titel der Konferenz: „Fortschritt durch Frauen?“ unbedingt durch ein Ausrufezeichen ersetzt werden!

Aufbruchstimmung und ein baldiges Treffen in Almaty

Der Tatendrang der Teilnehmerinnen aus Kasachstan ist immens, ihr Credo „Wir schaffen das, weil wir es wollen!“ überwältigend. Gern lässt man sich davon anstecken –Aufbruchstimmung tut gut, gerade hier in Deutschland.

Der offizielle Abschluss der Veranstaltung war die Unterzeichnung eines Absichtsprotokolls über die Zusammenarbeit zwischen den Unternehmerinnen-Verbänden beider Länder.
Hoffentlich wird dieses Papier bald mit viel Leben erfüllt. Mit drei der Teilnehmerinnen habe ich Verabredungen zu Treffen in Almaty. Ich freue mich auf ein herzliches Wiedersehen mit meinen optimistischen kasachischen Schwestern!

04/11/05

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