Ein Gespräch mit dem Unternehmensberater Harald Rudzky, der in Ust-Kamenogorsk tätig ist, über die verschiedenen Geschäftspraktiken in Europa und Kasachstan
Die erste Reise nach Kasachstan unternimmt Harald Rudzky im Juni 2000 im Auftrag der GTZ. Auf dem Programm stehen gemeinsame Seminare mit der Assoziation deutschstämmiger Unternehmer „Oststern“ in Ust-Kamenogorsk. Das Thema heißt Businessplanung.
Für den Unternehmensberater ist der Aufenthalt ein Anlass, über mögliche Tätigkeitsfelder in Kasachstan nachzudenken. „ Eine reine Unternehmensberatungsfirma gab es nicht in Ostkasachstan. Das Tätigkeitsfeld kaufmännische Betreuung, Beratung, Kontaktherstellung war fast unbekannt.“
Rudzky entwirft erste Ideen für die Gründung einer Beratungsfirma in der westkasachstanischen Gebietshauptstadt. Erste Kontakte entstehen.
Seit 2001 berät Rudzky über CIM die «Assoziation der energieherstellenden, -verarbeitenden, -transportierenden und -verbrauchenden Unternehmen“.
Im Herbst 2003 beginnt Rudzky offiziell seine Tätigkeit als „integrierte Fachkraft“ bei „Shadem“(kasachisch: Hilfe), einer Wirtschaftsförderungsgesellschaft des Gebietsakimats. (hm)
DAZ: Herr Rudzky, was wussten Sie über Kasachstan vor Ihrer ersten Dienstreise?
Harald Rudzky: Das war ähnlich wie vor meinen anderen Auslandeinsätzen, zum Beispiel in Bosnien-Herzogowina. Erst mal der Blick auf die Landkarte: wo ist das überhaupt? Ich wusste schon einiges über die Sowjetunion. Über Kasachstan wusste ich nur: hier starten die großen Raketen in den Weltraum. Viel mehr nicht.
DAZ: Wie waren die ersten Eindrücke?
Rudzky: Im Gegensatz zu den Westdeutschen mit Ihrem Sozialismus-Schock reagierte ich ruhig auf die Gegebenheiten. Mit Freude nahm ich die Veränderungen in Almaty wahr. Auch wenn alles bescheiden wirkte im Vergleich zur DDR. Nach Kasachstan kam nicht das große Kapital zum Aufbau – hier wurde alles allein aufgebaut. Das ist für mich der entscheidende Unterschied. Das Land errichtet seine neue Wirtschaftsordnung aus eigener Kraft. Natürlich mit Hilfe von Investoren. Für die Menschen hat das den Vorteil, dass der harte soziale Knick wie in der DDR hier fehlt. Stattdessen ist ein langsames Hinüberführen und -wachsen vom Sozialismus in die Marktwirtschaft zu beobachten.
DAZ: Welche Besonderheiten waren damals prägend für die Tätigkeit des Beraters und sind es heute?
Rudzky: Anfangs litt ich sehr unter der verbreiteten Auffassung, alle Deutschen seien Millionäre. Deshalb drehte sich die Hälfte der ersten Gespräche allein um die nötigen Investoren. Auf die Frage, welche Geschäftsidee denn vorliege, bekam ich meist zur Antwort: „Wir haben Spezialisten und eine gute Immobilienbasis. Wir brauchen Ideen, Finanzen und Ausrüstung.“ Ich habe dann immer gesagt: „Das schafft ein Investor auch allein, wozu bräuchte er also die einheimischen Betriebe? Ein Investor will selbst Geld verdienen, nicht nur Geld herbringen. Maschinen und Ausrüstungen sind in den seltensten Fällen als Almosen zu verstehen. Beide Seiten müssen Geld verdienen.“ Solche Selbstverständlichkeiten nahe zu bringen hat immer große Mühen gekostet.
DAZ: Nun sind Sie nicht mehr einfach der Deutsche oder der Millionär. Was sind Sie zur Zeit?
Rudzky: Meine Tätigkeit reicht mittlerweile weit über die Region hinaus. Die Festlegung auf Ostkasachstan wäre zu eng, denn das Gebiet ist nur eines der Wirtschaftszentren. Anfangs wollte ich kleine und mittelständische Unternehmen aus Europa hierherbringen. Das erwies sich als beinahe aussichtsloses Unterfangen. Denn das Kapitalrisiko ist für diese Betriebe viel zu groß. Selbst bei staatlichen Förderungen fehlen diesen Unternehmen bis auf seltene Einzelfälle Finanzen und Personal. Deshalb stehe ich derzeit erstmals mit einem zentralen Bauunternehmen aus Österreich in Verhandlungen. Dessen Engagement soll sich auf ganz Kasachstan erstrecken – damit es sich rentiert.
Das Dilemma besteht ja in Folgendem: Für viele Großinvestoren ist der Markt in Ostkasachstan zu klein. Für die mittelständischen und kleinen Betriebe aber ist das Kapitalrisiko zu hoch, der Aufwand zu groß.
DAZ: Wie ist die Verhandlungsatmosphäre in Kasachstan – müssen sie Stratege, Taktiker, Diplomat sein?
Rudzky: Ich kann da einige Beispiele nennen. Mit einem hiesigen Geschäftsmann, der die Schürflizenz für weltweit sehr gefragte hochwertige Rohstoffe besitzt (es handelt sich nicht um Gold), war ich im vergangenen Herbst in Deutschland. Dort wurden dem Unternehmer Angebote gemacht, mit internationaler Einbindung und Wachstumsprognosen. Da den Rohstoff, so wie er in der Erde liegt, natürlich niemand braucht, ist eine Aufarbeitung erforderlich. Dafür gibt es zwei Varianten: Zum einen – mit russischer Technik, Analyse und Marketingpaket etwa 300 000 Dollar Kosten. Daraus entstünde ein Verkaufspreis pro Tonne von etwa 20 Dollar. Wir zeigten ihm einen anderen Weg auf. Die Laborstudie einschließlich Businessplan eines international anerkannten Analyseinstituts müsste zunächst privat finanziert werden. Kostenpunkt 140 000 Euro. Unter Einhaltung der ISO, die die veraltete russische Technologie ausschlösse, hätten die Ergebnisse und die Zertifizierung dann eine Zusammenarbeit mit Großkonzernen möglich gemacht. Selbst bei einer millionenschweren Anfangsinvestition wäre ein Preis pro Tonne von 1000 bis 8000 Dollar denkbar und realistisch. Die Aufbereitung ist relativ einfach, die Produktqualität hoch. Somit würden die Anfangsinvestitionen schnell ausgeglichen. Amerikanische, koreanische und deutsche Großkunden erklärten sich dann auch zu einer zehnjährigen Abnahmegarantie bereit. Der Geschäftsmann war in Deutschland bei den Verhandlungen begeistert. Innerhalb von sechs Wochen sollte der Vertrag unterschrieben werden. Doch der Mann verschwand, und jede Antwort blieb aus …
DAZ: Was ist daran zu erkennen?
Rudzky: Marktunerfahrenheit. Es ist schade, solch ökonomisches Potential leichtfertig, gedankenlos und kurzsichtig zu verschenken. Überlegen wir mal: Neben einer großen Anzahl von Arbeitsplätzen hätte der weltweite Verkauf eines weiteren Rohstoffs aus Kasachstan (neben Titan, Erdöl usw.) den Bekanntheitsgrad von Ostkasachstan enorm steigern können. Hier wurde die Chance für die langfristige Anbindung an den Weltmarkt vergeben. Selbst wenn sich jener Unternehmer heute besinnen würde, wäre der Verhandlungsprozess nur noch schwierig zu führen. Zudem einige der damaligen Interessenten längst in andere Länder gezogen sind.
Das Verrückte hier in Kasachstan ist: Man sagt nicht Nein, sondern meldet sich einfach nicht mehr. Das geht so weit, dass sich Verantwortliche am Telefon verleugnen lassen.
Als positiv schätze ich dagegen gemeinsame Projekte im Bauwesen ein. Bei der hohen Konkurrenz unter den Baufirmen ist diplomatisches Geschick gefragt. Die europäische Seite wünscht sich einen großen, erfahrenen und umsatzstarken Partner vor Ort. Die Unternehmensphilosophie beider Seiten unterscheidet sich sehr stark voneinander. Das ruft Spannungen hervor. .
DAZ: In Ust-Kamenogorsk zählen Sie zu den stadtbekannten Persönlichkeiten in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Gehören für Sie persönliche Beziehungen zum Geschäft?
Rudzky: Meine Kontakte aus der Banja verrate ich natürlich nicht. Vergleichen wir doch mal mit Europa. Da wird gesagt: die besten Geschäfte machst du auf dem Golf- oder Tennisplatz. Tennis ist zu anstrengend, beim Golf kannst du länger wandern und dich intensiver unterhalten. Im Grunde genommen ist es in Kasachstan gar nicht so anders. Nur: Erstens gibt es hier weniger Golfplätze. Und zweitens ist die Verflechtung von Politik und Wirtschaft viel stärker ausgeprägt. Nicht allein die wirtschaftlichen Leistungsparameter, vielmehr die Kontakte zu den politischen Verantwortlichen entscheiden über den Erfolg. Ich rede dabei gar nicht von Korruption, die gibt es in Deutschland auch. Aber die Vertreter der politischen Ebene erweisen sich als Schlüsselfiguren. Die Budgetfinanzierung aus den vergangenen Jahren und Jahrzehnten spielt nach wie vor eine nicht zu unterschätzende Rolle. Aber Gott sei Dank wächst das Verständnis dafür, dass eine gute Volkswirtschaft auf reiner Privatwirtschaft fußen sollte. Die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen ist Aufgabe des Staates.
DAZ: Wagen Sie aus ihrer Warte eine Entwicklungsperspektive für Kasachstan zu zeichnen?
Rudzky: Ich vermute ganz stark, dass die Schlüsselindustrie noch lange Zeit unter staatlicher Kontrolle bleiben wird. Der volkswirtschaftliche Aufschwung jedoch wird vor allem vom kleinen und mittleren Unternehmertum abhängen. Dieses löst sich zwar nicht von der (gesetzlichen) Regulierung durch den Staat. Doch wird es unter marktwirtschaftlichen Bedingungen an Selbstständigkeit gewinnen. Momentan fehlt es an transparenten, durchschaubaren, verständlichen und praktikablen gesetzlichen Grundlagen. Die Regelungen sind hier weniger umfangreich, detailliert und ausgefeilt als in Europa. Was sicher auch mit der historischen Entwicklung der Nachfolgestaaten der Sowjetunion zu erklären ist.
Dennoch wundere ich mich oft über die Realität in Kasachstan. Von dem ungeschriebenen Gesetz „Das Wort des Kaufmanns ist heilig“ in unserer Branche ist hier nichts zu spüren. Verhandlungen werden langwierig geführt. Auf Tagungen, Konferenzen und Sitzungen werden unendliche Referate gehalten. Zeit hat man hier scheinbar grenzenlos. Zeitmanagement ist kein Thema. Das wirkt sich störend auf die Zusammenarbeit aus. Entscheidungen werden hinausgezögert, verschleppt oder gänzlich verworfen. Man hofft auf Unterstützung von außen, auf Geld, Material, Anleitung. In Deutschland würde ein Unternehmen mit solcher Einstellung von der Konkurrenz sofort aufgefressen werden. In Kasachstan existiert ein völlig anderes Bild: Warten ist Teil des Agierens.
DAZ: Das klingt alles, als gäbe es noch reichlich zu tun für Sie. Oder sehen sie ein Ende ihrer Tätigkeit in Kasachstan ab?
Rudzky: Ich sehe überhaupt noch kein Ende. Die Pensionierung – das wäre ein Schlusspunkt. Aber auf Rente brauche ich als Selbständiger ja nicht zu hoffen. Darum: ich habe noch viel vor.
DAZ: Was tun sie als Privatmensch in Ust-Kamenogorsk für sich?
Rudzky: Ich kann behaupten, dass ich in den letzten fünf Jahren schon einige Regionen kennen gelernt habe. Nicht nur die Städte, sondern auch die Natur und Menschen, so wie sie leben. Almaty ist für mich eine international florierende Stadt. Da hörst du dich im Restaurant erst mal um, in welcher Sprache am Nachbartisch gesprochen wird. Das wird dir in Ust-Kamenogorsk nicht so schnell passieren. Die Deutschen hier kennen sich alle persönlich. Welches Flugzeug fliegt schon von Europa direkt nach Ust-Kamenogorsk? Dafür erlebst du hier die typisch kasachstanische Wirklichkeit…
DAZ: … die Provinz?
Rudzky: Das meine ich gerade nicht. Sondern die echte Entwicklung im Land. Wie sie mit Hemmnissen und Erfolgen voranschreitet. Hier wird noch anschaulich, wo der Aufbau beginnt. Und mit welcher Mühe, teils ohne die Hilfe ausländischer Investoren, aus eigener Kraft neue Wege gegangen werden. Nicht zuletzt hat der Osten Kasachstans phantastische natürliche Gegebenheiten.
DAZ: Wo ist für Sie derzeit Heimat, das Zuhause?
Rudzky: Ein Freund aus Semipalatinsk meinte einmal zu mir: Du hast das beste Leben, was es gibt. Immer, wenn du auf dem Flugplatz stehst, fliegst du nach Hause. Von Almaty nach Deutschland nach Hause. Steigst du in Berlin ins Flugzeug, kommst du zu Hause in Kasachstan an.
Ich fühle mich sogar wohler in Ust-Kamenogorsk als im aktuellen Deutschland. Die Lebenskultur, der Rhythmus – das alles gefällt mir hier besser. Am Wochenende spontan rauszufahren zum Schaschlik scheint mir hier leichter und unbekümmerter als der Perfektionismus von Grillparty, Bierzelt und Feuerstellensicherheit.
DAZ: Vielen Dank für das Gespräch!