Im dritten Jahr setzte das Filmfestival CLIQUE wieder alle Zeichen auf internationalen Arthouse: Qualitätskino in 23 Filmen aus 13 Ländern. Im Rahmenprogramm überraschte das Festival dieses Jahr auch mit mehreren Sonderveranstaltungen und einem neuen Äußeren für die Gästehalle im historischen Kino Arman in Almaty. Ein großer Aufmacher des Festivals war die Asienpremiere der kasachisch-deutschen Produktion „Sea Tomorrow“.

Es war ein Heimspiel – ein ausgebuchter Kinosaal, applaudierende und johlende Zuschauer und eine überglückliche Regisseurin. Sie sieht den heutigen Dokumentarfilm nicht in Abgrenzung zum Spielfilm. Damit befindet sie sich nicht allein, das zeitgenössische Bild wandelt sich, die Produktionsformate verschwimmen, überschneiden sich und sind anders als „Standarddokus“, die man aus dem TV kennt.

 Deutsch-kasachische Chancen

Es ist eine kasachisch-deutsche Produktion, die mit Unterstützung der Robert Bosch Stiftung erfolgte. Darüber hinaus ist auch das Filmteam bikulturell geprägt. Neben der russlanddeutschen Produzentin Anna Vilgelmi hat auch der Kameramann Kasachstanbezug. Eugen Schlegel ist Kasachstandeutscher, gebürtig aus Karaganda.
Die Weltpremiere erfolgte im August 2016 auf einem der ältesten und renommiertesten Filmfestivals der Welt, dem Internationalen Filmfestival von Locarno. Seitdem regnet es Einladungen von Filmfestivals weltweit. Umso erfreuter war man in Almaty, die Doku auch endlich auf kasachischem Grund sehen zu können. Nachdem diese schon einmal den Bewohnern von Aralsk eine Woche zuvor im kleinen Rahmen vorgeführt wurde, lief die offizielle Premiere im Programm des CLIQUE-Festivals. Ab dem 23.11 ist der offizielle Filmstart. Mit einer ausgiebigen Filmkampagne möchten die Filmschaffenden auf den Film, das Thema Zivilgesellschaft sowie auf die Wichtigkeit des Dokumentarfilms hinweisen.

Morgen See

Im Einsatz für Dokus: Katherina Suvorova (li.) und Anna Vilgelmi bei der Filmpremiere in Locarno. | Foto: privat

Tatsächlich unterscheidet sich auch diese kasachisch-deutsche Filmproduktion vom klassischen Dokumentarfilm. Es geht um die Menschen, die am Aralsee lebten, als dieser noch andere Ufergrenzen und einen prächtigen Hafen besaß und bis heute dageblieben sind. In den lebendigen Filmbildern, kommen neben den Menschen aber vor allem die Landschaftsbilder zu Wort. Die Steppe, die Salzwüste, die Vegetation und auch die weltbekannten rostenden Schiffsskelette. Suvorova subjektiviert den Aralsee (im Russ. Meer) und gibt ihm die Hauptrolle. Trotz einer der größten Umweltkatastrophen ist es vor allem die Natur und der See, die den Sinn hinter dem Geschehen ausmachen. Alle menschlichen Protagonisten, mit ihren bewegenden Lebenswegen wirken daneben endlich.

Immer wieder durchzieht eine sanfte Stimme die Bilder. Es ist eine der Protagonistinnen, die Biologin Olga Grischaewa, die den Zuschauer, wie eine Seebriese philosophierend durch den Film führt. Die wechselseitigen Beziehungen zwischen dem Meer und den Menschen durchziehen den experimentellen Film, der Spielfilmcharakter aufweist. Der Film zeigt die Symbiose Aralsk und Aralsee auf – vorsichtig, beobachtend. Grischajewa, eine, wie es scheint, große Verehrerin des Sees, erklärt die Erhabenheit dessen über alle menschlichen Einflussnahmen. Er befände sich lediglich im Dialog mit den Anwohnern, „denn das Leben des Menschen ist kurz. Und das Meer lebt Jahrhunderte. Ein Mensch wird das niemals nachvollziehen können.“

Suvorova deckt die Besonderheit und Ästhetik scheinbar einfacher Lebensräume und Lebensläufe auf und verwandelt sie in Poesie. Die Kamera bleibt an der Bewegung der Menschen und der Natur und folgt dem Erzähltempo. Zu Beginn geschäftiger, flachen die Bewegungen zum Ende hin immer mehr ab, sind bedächtig und weniger hektisch. Der Mensch beugt sich am Schluss der Natur, denn ein Sturm zieht wieder über dem See auf. Und alle wollen an die Wiederkehr des Sees glauben, für die es Anzeichen zu geben scheint. Wie ein kasachisches Sprichwort sagt: „Alle 50 Jahre ändert sich der Mensch. Alle 100 Jahre die Natur.“

Chancen für Dokus 

Mit Unterstützung des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland in Almaty fand im Rahmen des Festivals auch ein Workshop statt. Im Kulturraum SIGS Space erfuhren Nachwuchsfilmemacher und Interessenten Wissenswertes über den Beruf eines Produzenten und begaben sich in die Welt von internationalen Filmproduktionen.

Am Beispiel des deutschen Filmfördersystems erklärten Regisseurin Katerina Suvorova und Produzentin Anna Vilgelmi europäische Filmförderungssysteme. Gemeinsam klärten sie auf, was für Chancen und welche Arbeit hinter internationalen Koproduktionen steckt – angefangen beim Einreichen von Konzepten bei Nachwuchs– Filmlaboratorien bis hin zu Vertragsdetails und Herausforderungen tatsächlicher Produktionen. Suvorova ging dabei im Speziellen auf die Situation des Dokumentarfilms ein, der aktuell in der Filmbranche einen Aufwind erfahren soll und den sie auch auf dem kasachstanischen Markt in den Diskurs bringen will.

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Vilgelmi begleitet bereits seit 2009 deutsch-kasachische Filmproduktionen. Als Produzentin schaut sie sich auf Filmmärkten und Festivals nach interessanten Projekten um, ist für das Pitchen der Projekte bei möglichen Geldgebern und Partnern verantwortlich und stellt die Finanzierung sicher. Im weiteren Verlauf geht es darum, die erfolgreiche Kommunikation zwischen Regisseur und Geldgeber sicherzustellen und das Vorankommen des Produktionsprozesses zu managen. Und dennoch ist festzuhalten, dass jedes Projekt anders verläuft, da es kaum festgesetzte Richtlinien gibt, und alles vom Zusammenspiel zwischen Produzenten und Filmemachern abhängt. Die Konstellationen und vertraglichen Spezifika könnten auf diesem Gebiet nicht mannigfaltiger sein. In all diese Nuancen gab Vilgelmi großzügig Einblicke. Dokumentarfilmregisseurin Suvorova motivierte ihrerseits alle Anwesenden dazu, sich allen Herausforderungen zu stellen und ihre Filmprojekte international einzureichen.

Der Dokumentarfilm „Sea Tomorrow“ läuft aktuell im Kino „Arman“, Dostyk 104, Almaty

Julia Boxler

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