Ein kühles Blondes nach Feierabend genießen – auch in Kasachstan geht man dieser Tätigkeit gerne nach. Neben den kasachischen Heimmarken trinkt man hierzulande aber auch international: Türkisches Efes, deutsches Oettinger oder niederländisches Heineken. Gebraut wird vor allem in der Apfelstadt Almaty, zum Beispiel in der „Bierfabrik Nr. 1“.

Das Gewerbegebiet im Norden Almatys wirkt unspektakulär. Von Steppengräsern umgeben, vorbei an Lagerhallen und Restaurants, fährt ein weißer Kleinbus durch die brütende Mittagshitze. Gegenüber einem Hotel mit dem klangvollen Namen „Astana Palace” biegt er auf den Parkplatz der „Bierfabrik Nr. 1“ ab. Auf dem großen Firmengelände sticht ein futuristisches Gebäude heraus. Hinter den geschwungenen blauen Fassaden befindet sich das Herz der Brauerei.

Kaschisches Bier
Kaum einer könnte sich in der „Bierfabrik Nr. 1“ besser auskennen als Pensionär Orasaly.

Orasаly, graue Haare, dunkle Anzughose, lila Hemd, geht an den Sicherheitskräften vorbei und betritt zielstrebig das große blaue Glasgebäude. Dort grüßt er die Rezeptionistin, zieht sich einen weißen Kittel an und beginnt zu erzählen. Kaum einer kennt die wechselvolle Geschichte der „Bierfabrik Nr. 1“ besser als er. Mehr als 40 Jahre hat er hier als Brauer gearbeitet. Heute führt der Pensionär Interessierte herum.

Zahlreiche Biere stellt die Brauerei her. Drei Sorten Malz und zwei Sorten Hopfen werden für die verschiedenen Rezepturen verwendet. Das Wasser aus den Bergen des Transili-Alatau-Gebirges ist zusätzlich essentiell für die Brauerzeugnisse. Dabei werden neben einheimischen auch ausländische Sorten produziert. Darunter finden sich nicht nur internationale Dauerbrenner wie Budweiser oder Heineken, sondern auch das deutsche Oettinger. In Deutschland nicht unbedingt hoch angesehen, wird Oettinger hier als „Deutschlands Bier Nr. 1“ vermarktet.

Eine Bierbrauerei im Wandel der Zeit

Als Almaty noch Wernoje hieß und eine russische Garnisonsstadt war, gründete ein russischer Händler 1858 die Brauerei in den Bergen, um das klare Bergwasser zu nutzen. Die ukrainische Rezeptur, nach der das Bier gebraut wurde, erfreute sich hoher Beliebtheit. Als der Erste Weltkrieg begann, sank die Bierproduktion durch das Alkoholverbot dramatisch. Infolge der Oktoberrevolution 1917 und der Machtübernahme der Bolschewiki in Moskau wurde auch die „Bierfabrik Nr.1“ verstaatlicht. In den 1930er Jahren setzten die sowjetischen Machthaber auf andere Getränke: Anstelle des Gerstensaftes wurden Kwas, Mors und verschiedene Säfte produziert. Erst ab 1963 wurde in der historischen Fabrik wieder Bier gebraut. Während Orasаly berichtet, laufen auf einem Flachbildschirm im Hintergrund Werbefilmchen der Brauerei.

Mit der Unabhängigkeit Kasachstans wurde die Brauerei privatisiert. Durch die Unterstützung ausländischer Investoren befand sich die Brauerei bis 1996 in einem drastischen Modernisierungsprozess. Später mussten die alten Brauhallen Autobahnen weichen. 2013 wurde schließlich der jetzige Standort eröffnet – mit modernster Technologie aus Deutschland, wie Orasaly betont.

Bierbranche im Aufwind

Durch einen russischen Investor erhielt die Brauerei auch die Herstellungs- und Vertriebsrechte europäischer Biere wie Oettinger. Seit Kurzem gibt es auch eine chinesische Marke. Das Geschäft ist lukrativ: Mehr als 500 Millionen Liter Bier trinken die Kasachstaner im Jahr. Die Branche wächst: Laut Zahlen des Marktforschungsinstituts EnergyProm produzierten die Brauereien in Kasachstan in den ersten elf Monaten des Jahres 2017 517,4 Millionen Liter des Schaumgetränkes – 10,6 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Die größte Menge stammt dabei aus der Region Almaty: Allein 331,5 Millionen Liter Bier wurden in Almaty und Umgebung hergestellt.

Kaschisches Bier

Die Nachfrage nach preiswerten Biermarken ist besonders hoch, doch in den Metropolen Almaty und Astana sind auch Craftbiere im Kommen. Die größten Produzenten des Landes sind die internationalen Konzerne Efes und Carlsberg. Trotzdem gewinnen Marken lokaler Brauereien wie die „Bierfabrik Nr. 1“ an Popularität, die mittlerweile den dritten Platz auf dem kasachischen Markt einnimmt.

Die Bierproduktion in Kasachstan Jan.-Nov. 2017 (in Tsd. Litern)

Malzgeruch in der Nase

Orasаly freut sich über neugierige Besucher, vor allem solche, die aus Deutschland kommen. Strahlend zeigt er ihnen die Maschinen und erklärt in den warmen Hallen den komplexen Produktionsablauf: „Das Malz wird zunächst vorverarbeitet und gemahlen, bevor es zum Maischen kommt.“ Beim Maischen werden die Malzinhaltsstoffe durch Erhitzung in Wasser gelöst. Dabei wird das Malz von der Bierwürze, also der Flüssigkeit, die während des Maischvorgangs entsteht, getrennt. Die hierfür notwendigen Sudkessel stammen „natürlich“ aus Deutschland.

Techniker überwachen den Produktionsablauf. | Foto: Othmara Glas

In der Halle, in denen die großen Sudkessel aneinander gereiht sind, ist die Luft vom typischen Malzgeruch geschwängert. Dieser bleibt einem noch lange in der Nase hängen. Nach der Filtration wird die Bierwürze gekocht, der Hopfen kann nun zugesetzt werden. Nachdem die Bierwürze mit Hefe – ebenfalls aus Deutschland – angereichert ist, kann das Bier gären. Dabei ernährt sich die Bierhefe vom Zucker, der aus dem Malz gewonnen wird und verarbeitet sie in Alkohol und Kohlendioxid. Nach einer etwa siebentägigen Gärzeit, wird das Bier vor dem Abfüllen nochmals filtriert.

Zahllose Flaschen schlängeln sich auf langen Förderbändern durch die große Fabrikhalle. Dort herrscht durch das Klappern der Flaschen ein unglaublicher Lärm, hier und da hört man das Zerbrechen von Glas. Was Besucher aufschreckt, lässt die Mitarbeiter kalt. Sie gehen in aller Ruhe ihrer Arbeit nach und bedienen Maschinen, die zum Beispiel Kohlendioxid in Flaschen einlassen, um ein übermäßiges Schäumen beim Abfüllvorgang zu verhindern. Anschließend wird das fertige Bier zusätzlich auf bis zu 72 Grad Celsius erhitzt. Die Pasteurisierung dient der Sicherheit des Endproduktes und verlängert die Haltbarkeit des Bieres. Auf dem Weg zur Endverpackung werden die Flaschen mit den jeweiligen Etiketten versehen: 35.000 pro Stunde. Schließlich werden die etikettierten Flaschen in einer Tunnelanlage als Paletten zu je 20 Flaschen verpackt. Bierkästen? Fehlanzeige.

Kasachischer Hopfengenuss

Nach intensivem Bestaunen des Abfüllprozesses folgt für die meisten Gäste der Höhepunkt eines jeden Besuchs: Zurück in der Eingangshalle führt eine Wendeltreppe zum Ort der Verkostung. Der Raum, der an einen Partykeller erinnert, lädt die Bierliebhaber zum kritischen Probieren ein. Neben Snacks wird ein Bewertungsbogen zu den alkoholischen Erfrischungen gereicht. Pensionär Orasaly schenkt höchstpersönlich das erste Bier ein, das chinesische „Yichan“. Es schmeckt locker, leicht, mild im Geschmack. Der Besucher kann dabei von einem lauen Sommerabend träumen. Mit einer hübschen Schaumkrone und einem vollmundigen Geschmack folgt das lokale Bier „Korona“ – nicht zu verwechseln mit dem mexikanischen Biergiganten „Corona“. Noch kräftiger schmeckt das nächste Bier „Veselecky Hmel“, das tschechischer Natur ist. Zum Abschluss wird das Bier „Solotaja Kruschka“ gereicht, welches einen erfrischenden Abgang hinlegt. Orasaly schenkt auch sich ein Gläschen ein und stößt auf aller Wohl an: „Prost!“

Mayely Müller

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