Hunderte Jugendprojekte, Konferenzen, Sprachlager – an praktisch jeder Veranstaltung, die das Deutsche Haus Almaty in den letzten Jahren organisierte, war Nadja Burluzkaja beteiligt. Mehr als elf Jahre arbeitete sie für die Assoziation der gesellschaftlichen Vereinigungen der Deutschen Kasachstans „Wiedergeburt“. Aber in jedem Leben gibt es einen Wendepunkt. Im Spätsommer wird die derzeitige Vorsitzende des Jugendverbandes der deutschen Jugend in Kasachstan nach Deutschland ausreisen und dort eine Familie gründen.

/Bild: Olesja Klimenko. ‚Nadja Burluzkaja überträgt symbolisch ihre Vollmachten als Vorsitzende des Jugendverbandes an Katja Salasgorskaja.’/

Nadja, erinnerst du dich noch, wann du zum ersten Mal von den Tätigkeiten der Assoziation der gesellschaftlichen Vereinigungen der Deutschen Kasachstans „Wiedergeburt“ gehört hast?

An diesen Tag erinnere ich mich noch sehr gut. Es war der 4. April 1998. Das Deutsche Haus entschied sich, einen Jugendclub zu gründen. An allen Hochschulen Almatys wurde dafür Werbung gemacht. Ich war interessiert, und an diesem Tag, so kann man sagen, begann meine Zusammenarbeit mit dem Deutschen Haus Almaty.

Welche Rolle spielte bei der Wahl deines Arbeitsplatzes deine deutsche Herkunft?

Damals war ich an allem interessiert. Die erste große Veranstaltung, an der ich als Freiwillige teilnahm, war der Kongress der Deutschen Kasachstans im Dezember 1998. Die Tatkraft und die gute Stimmung unter den Mitarbeitern des Deutschen Hauses hatten mich mitgerissen. Mit Vergnügen folgte ich den Bitten von Irina Fuchs, bei der einen oder anderen Veranstaltung auszuhelfen wie zum Beispiel bei der Vorbereitung der Feiertage, die im Jugendclub und in der Kindersonntagsschule begangen wurden. Wahrscheinlich hatte gerade diese Arbeit mir meine deutsche Abstammung bewusst gemacht. Als ich erfuhr, dass im Deutschen Haus eine Bürokraft gesucht wurde, habe ich mich, obwohl ich erst im vierten Studienjahr war, bei Herrn Dederer beworben und nach einem Monat, am 15. Mai 2000, fing ich offiziell als Bürokraft an.

Nadja Burluzkaja.

Was bedeutet die deutsche Identität konkret für dich?

An dem Verständnis dieses Begriffs arbeiten wir seit einigen Jahren: Wir führen verschiedene Veranstaltungen zu diesem Thema durch, setzen uns mit dieser Fragestellung in sprachwissenschaftlichen Projekten auseinander, und oft denke ich selbst darüber nach, was es bedeutet und inwiefern ich selbst zu der deutschen Minderheit gehöre. Dieser Gedanke kam Ende der 90er Jahre auf, als wir, die Teilnehmer des Jugendklubs, noch gar keine Vorstellung von einer Teilnahme an internationalen Austauschen, Sprachlagern etc. hatten. Wir besuchten einfach das Deutsche Haus, organisierten Veranstaltungen, hatten Spaß miteinander. Wahrscheinlich zählten wir uns eher unbewusst zur deutschen Minderheit.

Was habt ihr so unternommen?

Wir trafen uns beispielsweise zu Tanzabenden. Sonntags versammelten wir uns im Deutschen Haus. Ansonsten unterstützen wir die Assoziation bei der Organisation von Veranstaltungen. Niemals jedoch vernachlässigten wir unser Studium. Wir lernten sehr fleißig. In der Bibliothek schrieben wir unsere Referate und Hausarbeiten, denn Internet und Computer waren damals noch ein großer Luxus. Alle Informationen suchten wir aus Büchern zusammen. Uns gefiel es einfach, uns als Deutsche zu fühlen. Heutzutage bedauere ich es sehr, wenn die Jugendlichen das Deutsche Haus aufsuchen und sich lediglich nach Hochschulstipendien für Angehörige der deutschen Minderheit erkundigen. Wenn ich zurückfrage, ob sie sich denn an der Arbeit der Assoziation beteiligen, antworten sie, dass sie daran kein Interesse oder keine Zeit dafür haben. Aber Stipendien für Kasachstandeutsche fordern sie und denken, dass sie dazu das Recht haben. Für mich bedeutet Identität nicht nur eine Eintragung im Pass, sondern auch Seelenzustand, Lebensweise, Zugehörigkeit zu einer Gruppe sowie Zusammenhalt und Verantwortung für deren Tätigkeit.

Nadja, lass uns an deinen schönsten Momenten deiner Arbeit im Deutschen Haus teilhaben!

So was ist nicht einfach für mich. Es gibt zu viele Augenblicke, an die ich gerne zurückdenke. Von den schönen Momenten in den elf Jahren Arbeit im Deutschen Haus könnte ich ewig berichten. Am besten nenne ich die Projekte, auf die ich wirklich stolz bin und von denen ich noch lange in meinem neuen Leben in Deutschland erzählen werde. Dazu zählen die ökologischen Projekte der Jugendclubs in Astana und Taldykorgan, die Musicalaufführung von „Wilhelm Tell“, die Gastspielreise durch das Altaigebiet 2009 sowie die Zusammenarbeit mit den Euro-Schulen in Bitterfeld-Wolfen. Von den Kongressen der Deutschen ganz zu schweigen. Über sie, ihre Teilnehmer und deren Lebensgeschichten könnte man ein ganzes Buch schreiben.

Wer von deinen Arbeitskollegen bei der „Wiedergeburt“ hat dich am meisten unterstützt?

Mmh, auch diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Als ich im Deutschen Haus zu arbeiten begann, haben mich Valentina Lengart, Maria Musyka, Larissa Sacharowa und Irina Fuchs unterstützt. In den folgenden Jahren sind zwei weitere hilfsbereite „Engel“ hinzugekommen, auf deren Hilfe ich immer zählen konnte, nämlich unser Fahrer Sergej Remenjuk und unsere Ärztin Jelena Popowa. Natürlich möchte ich auch meine Kollegen aus den Regionen nennen, ohne die meine Arbeit in der Assoziation nicht erfolgreich und nicht so interessant für mich gewesen wäre. Ich begeisterte mich immer an der Lebensfreude, dem Optimismus, Humor und den Witzen von Anatoliy Wiese, Vorsitzender der Gesellschaft der Deutschen der Stadt Semej. Nie werde ich Wladimir Molodzow aus Taldykorgan vergessen, der das Talent hat, unterschiedlich alte Menschen um sich zu scharen, und sich dann um sie alle zu kümmern. Irina Scheck aus Kysylorda, Vera Rohn aus Scheskasgan und Sinaida Pychtina aus Arkalyk beeindrucken mich durch ihren Einsatz ungeachtet der schweren Bedingungen ihrer Arbeit. Man kann über jeden meiner Kollegen viele gute und dankbare Worte sagen, weil jeder dies verdient.

Was wünscht du der Assoziation der gesellschaftlichen Vereinigungen der Deutschen Kasachstans für die Zukunft?

Ich mag unsere Assoziation der Deutschen sehr, ich ehre die Arbeit, die wir machen, ehre die Menschen, für die wir arbeiten, aber wenn ich die Veranstaltungen anderer Minderheitenvereinigungen besuche, stößt es mir bitter auf, dass die Deutschen kein solches Einigkeitsgefühl haben, kein solches Interesse an ihrer Gemeinschaft. Mir scheint es, dass wenn morgen die Finanzierung aus Deutschland aufhört und wir unsere Leute auffordern, Geld für ein Konzert oder eine andere Veranstaltung zu spenden, so werden diesem Aufruf nur einige wenige folgen. Ich wünsche der Assoziation von Herzen mehr Mitglieder, die sich als Teil der deutschen Gemeinschaft fühlen, sich für sie einsetzen und nicht nur die besten Kuchenstücke abschneiden, sobald sich die Möglichkeit dazu bietet. Leider gibt es auch solche Menschen in der deutschen Gemeinschaft. Ich wünsche aufrichtig, dass die Vereinnahmung des gesellschaftlichen Eigentums aufhört, damit zu den Jugendklubs immer neue Teilnehmer stoßen können.

Das Wichtigste meiner Meinung nach ist, den Dialog zwischen den Generationen fortzusetzen, damit die Enkel und Kinder nicht eines Tages bedauern, ihre Familiengeschichte nicht rechtzeitig vernommen zu haben und sich erst an sie erinnern, wenn ihre Angehörigen schon nicht mehr am Leben sind. Die Jugend soll nicht nur die Daten begehen, die allgemein bekannt sind, sondern auch an den 28. August 1941 und an diejenigen zurückdenken, die ihre Rehabilitierung nicht mehr erlebt haben. Ich hoffe, dass der Film „Verbindung der Generationen“, den wir zusammen mit den Jugendklubs gedreht haben, noch viele junge Deutsche über dieses Thema aufklärt.

Am Ende möchte ich noch meinen Dank Herrn Dederer aussprechen, der all die Jahre nicht nur mein Chef, sondern ein wahrer Freund und Lehrer war. Von der ersten Sekunde unserer Zusammenarbeit an unterstützte er mich wie ein Vater, schalt mich, wenn ich es verdiente, stand mir aber immer mit Rat und Tat zur Seite. Alles, was ich erreicht habe, verdanke ich ihm. Ich weiß nicht, ob ich in meinem Leben noch einmal solch einen weisen, verantwortungsvollen und sachkundigen Menschen treffen werden, aber an Herrn Dederer werde ich mich immer erinnern, wie ich mich auch immer an meine erste Lehrerin erinnere.

Interview: Olesja Klimenko, sinngemäße Übersetzung: Christine Karmann

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