Japan gilt seit rund 20 Jahren als „kranker Mann“ Asiens. Nach Ansicht von Kolumnist Bodo Lochmann ist es höchste Zeit für Reformen.
Seit dem Platzen der Aktienblase vor etwa 20 Jahren gilt Japan als der „kranke Mann” Asiens. Deflation, also sinkende Preise, machen den Unternehmen die Existenz schwer, Rettung kam nur über die Außenmärkte, also den Export. Das Wirtschaftswachstum war niedrig, immer mehr Arbeitsplätze wurden nach Südostasien verlagert. Zwar hat Japan seinen Status als (momentan) drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt verteidigen können, doch China ist vorbeigezogen und Unternehmen aus anderen Schwellenländern machen japanischen Platzhirschen schon lange das Leben schwer. In den letzten Jahren kam noch die Aufwertung des Yen dazu, was bedeutet, dass die japanischen Exporteure aus ihren Auslandsgeschäften immer weniger in nationaler Währung erlösen und folglich entweder die Preise auf den Außenmärkten erhöhen oder vom Gewinn Abschied nehmen müssen. Auch aus diesem Grund sind solche Flaggschiffe der japanischen Wirtschaft wie Sony oder Panasonic auf den internationalen Märkten mittlerweile nur noch bedingt wettbewerbsfähig. Die Politik hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten mehrfach versucht, der japanischen Wirtschaft durch Konjunkturmaßnahmen, vor allem staatlich finanzierte Infrastrukturprojekte, wieder auf die Beine zu helfen. Als nachhaltiger Effekt dieser Geldspritzen aus dem Staatssäckel ist nur eine horrende Staatsverschuldung geblieben, die gegenwärtig bei über 200 Prozent des nationalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegt und damit deutlich größer ist, als die Schulden der Problemländer der Eurozone.
Die vor ein paar Wochen neu ins Amt gekommene Regierung will nun den bisherigen Teufelskreis von Deflation und Stagnation mit Gewalt durchbrechen und greift dabei auf unkonventionelle, jedoch sehr umstrittene Methoden zurück. Aus Sicht der Geldpolitik wurde das Ziel formuliert, endlich in den Bereich einer gemäßigten Inflation von etwa zwei Prozent pro Jahr zu kommen, also den geldlichen Normalzustand herzustellen. In den letzten 20 Jahren betrug die Inflationsrate in Japan pro Jahr durchschnittlich nur 0,3 Prozent, wobei in den meisten Einzeljahren die sehr unerwünschte Deflation zu verzeichnen war.
Aus Sicht der Geldmengentheorie entsteht Inflation dann, wenn die im Umlauf befindliche Geldmenge größer ist als die Warenmenge. Es muss also in Japan mehr Geld in den Nichtbankensektor gepumpt werden, weil von dem ja die Geld- und Güternachfrage ausgeht. Geldliches Hauptmittel der Geldmengensteigerung ist die Kreditvergabe, was das Kerngeschäft der Geschäftsbanken ist. Nun sind in den letzten Jahren in Japan die Kreditzinsen mit etwa zwei Prozent schon kaum der Rede wert gewesen, und trotzdem ist das Kredit- und damit Geldvolumen nicht signifikant gestiegen. Unter Beachtung der Deflation haben Kreditnehmer manchmal gar real Negativzinsen für Kredite gezahlt, also im Falle der Kreditaufnahme kaufkraftmäßig (das heißt real) noch eine Art Geschenk auf den Kredit bekommen. Geholfen hat das aber trotzdem nichts, vor allem, weil die Geschäftsbanken infolge der geplatzten Aktienblase sehr viele faule oder verlorene Kredite in ihren Bilanzen stehen hatten und ganz einfach kaum neue Kredite an die Realwirtschaft vergeben haben.
Mittlerweile sind die Bilanzen der Banken einigermaßen bereinigt, und die Regierung meint nun, das Deflationsproblem durch eine Flut von frischem Geld beseitigen zu können. Kurzum die Nationalbank Japans wurde von der Regierung verpflichtet, in großem Stile Staatsanleihen aufzukaufen und praktisch eine Geldschwemme auszulösen. Problematisch daran ist, dass damit die Nationalbank zum Finanzier des Staates und des Staatshaushaltsdefizits wird und dass Politiker sich in Dinge einmischen, die nicht ihr Arbeitsfeld sind. Eine Chance, dass die Geldschwemme die Probleme der japanischen Wirtschaft löst, besteht nur dann, wenn sie von grundlegenden Strukturreformen begleitet wird. Japan ist ein Klüngelkapitalismus, eine Gesellschaft und ein Wirtschaftssystem, das sich nach außen abschottet und sozusagen keine frische Luft an die Wäsche lässt. Aber ohne Reformen droht das Land ganze Wirtschaftszweige zu verlieren. Der Anfang dafür ist schon gemacht, und Geld alleine wird die Wettbewerbsprobleme japanischer Unternehmen nicht lösen können.