Eigentlich sollten die Politiker Kirgisistans gewarnt gewesen sein. Schließlich hatte vor nur wenigen Jahren schon einmal ein spontaner Volksaufstand einen Gutteil der Führungselite des Landes hinweggefegt. Wenn man damals vielleicht noch von „Außensteuerung“ der Ereignisse sprechen konnte, besteht dafür diesmal wohl keine Berechtigung.

Natürlich hat es einen letzten Tropfen gegeben, der das Fass zum Überlaufen brachte. Das war die Erhöhung der Tarife für kommunale Dienstleistungen, insbesondere für Energieträger. Die sind in Kirgisistan knapp, und in die Anlagen zu ihrer Erzeugung muss mehr als viel investiert werden. Dazu war die Tariferhöhung wohl notwendig. Zugleich aber war das eben für viele ganz einfach nicht mehr bezahlbar.
Die Unruhen in Kirgisistan sind nicht das Ergebnis einer zu schwachen operativen politischen Führung. Es ist das Resultat einer Politik, die den Menschen keinerlei Perspektive gibt, keine minimale soziale Sicherheit, also keine Sicherheit eines menschenwürdigen Lebens. Der Schrecken vor politischer und militärischer Gewalt endet aber da, wo die einfachen Leute nichts mehr zu verlieren haben.
Bakijew hat außerdem den Fehler gemacht, das Gleichgewicht der Bewohner des Landes nicht in seiner Personalpolitik berücksichtigt zu haben. Wenn bestimmte Bevölkerungsgruppen in den politischen Führungszirkeln nicht vertreten sind, führt das eben zu zusätzlichen Spannungen und zu dem Gefühl für manche Bevölkerungsgruppen, keinen Vertreter ihrer Interessen mehr zu haben. Eigentlich sind für Interessenvertretungen aller Art die gewählten Abgeordneten zuständig, doch das Vertrauen in ihre reale Macht und in den Willen zur wirklichen Vertretung der Interessen des Volkes scheint nicht gerade entwickelt zu sein.
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes – trotz aller methodologischen Schwächen immer noch die zentrale Kennziffer der Leistungskraft einer Volkswirtschaft und des potentiellen Wohlstands eines Volkes – liegt in Kirgisistan mit etwa 800 Dollar pro Kopf und Jahr eindeutig in der roten Zone. Kirgisistan gehört zu den ärmsten Ländern der Welt, und überkritisch viele Leute haben ganz einfach nichts oder auch nichts mehr zu verlieren.
Von den sechs Millionen Bürgern des Landes arbeitet fast eine Million im Ausland, eher erzwungen, als freiwillig. Wobei „arbeiten“ oftmals ein gar zu freundlicher Ausdruck für ihre Tätigkeiten ist, die sich eher auf einfache, schmutzige, gefährliche und schlecht bezahlte Jobs beziehen. Natürlich löst die Gewalt auf der Straße keinerlei Probleme. Im Gegenteil, sie schafft mehr neue. Dabei geht es nicht nur um die materiellen Schäden, die das arme Kirgisistan nur mit Mühe ersetzen kann.
Nun ist die Unruhe groß, auch in Kasachstan, schließlich ist Bischkek nur drei Autostunden von Almaty entfernt. Der Präsident Kasachstans hat in einer Fernsehansprache an sein Volk umgehend auf die Ereignisse im Nachbarland reagiert. Manche Beobachter nennen die Präsidentenrede eine Aktion um die Lage im Nachbarland zu beruhigen, wahrscheinlicher ist jedoch die Stoßrichtung hin zum eigenen Volk.
Durchaus richtig ist der Hinweis in der Rede, dass man zuerst die wirtschaftlichen Grundlagen einer normalen Existenz des Volkes schaffen sollte, ehe dann politische Experimente Richtung Demokratie erfolgen können. Streitbar ist jedoch immer die Frage, wann die Wirtschaft soweit stabilisiert ist, dass man demokratische Formen der Leitung eines Landes einführen kann.
Durchaus genüsslich hat der Präsident die doch ziemlich unterschiedlichen Größen des BIP Kirgisistans und Kasachstans herausgestellt: 800 Dollar dort zu 8.000 Dollar hier. Natürlich stimmen die Zahlen, und auch der Abstand ist sehr beträchtlich. Dennoch ist trotz des deutlichen Vorsprungs Kasachstans auch in seiner Wirtschaft durchaus nicht alles in Ordnung. Zum einen könnte die Wirtschaftsleistung Kasachstans schon längst größer sein, zum anderen existieren hierzulande ebenfalls mehr als genug Probleme in den Bereichen Armut, medizinische Versorgung, Zustand der Infrastruktur.

16/04/10

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