Im Mai wurden in der usbekischen Stadt Andischan hunderte von Demonstranten von Sicherheitskräften erschossen. Auch fünf Monate nach dem Massaker versucht die usbekische Macht die Spuren des Blutbades zu vertuschen. Journalisten, die sich ein Bild von der Situation vor Ort machen wollen, stoßen auf große Schwierigkeiten.

Dass die Suche nach Augenzeugen des Blutbades von Andischan schwierig ist, hatte ich mir gedacht. Inzwischen weiß ich, dass es einfacher ist, sich in Moskau mit einem Überlebenden des Massakers zu treffen, als an dem Ort der Ereignisse. Die Macht in Usbekistan hütet die grausame Wahrheit wie ein Staatsgeheimnis.

Nach sechs Stunden Autofahrt komme ich in Andischan an und quartiere mich direkt am Babur-Platz, im „Hotel Andijan” ein. Auf dem Platz versammelten sich Mitte Mai über 10.000 Demonstranten. Unter ihnen waren auch Bewaffnete. Der übergroße Teil der Menschen aber waren friedliche Bürger, die gegen die Inhaftierung von 23 islamischen Geschäftsleuten demonstrierten. Diese hatten sich zu einem Netzwerk zusammengeschlossen und in der verödeten Stadt für wirtschaftlichen Aufschwung gesorgt. Die Macht sah das als Bedrohung ihrer Alleinherrschaft. Am Morgen nach meiner Ankunft in Andischan rufe ich verschiedene Menschenrechtler an, doch ohne Erfolg. Im Telefonhörer höre ich Rauschen, Knacken, Besetztzeichen, aber keine menschlichen Stimmen. Schließlich habe ich Erfolg. Unter der Nummer des Menschenrechtlers Abdugapur Dadabojew meldet sich eine männliche Stimme. „Ich bin sein Sohn. Wissen sie nicht, dass er verhaftet ist?” Wir verabredeten uns auf dem Busbahnhof von Asaka, einem Vorort von Andischan. Als ich dort eintreffe, ist mein Gesprächspartner noch nicht da. Ich warte. Da spricht mich in gebrochenem Englisch ein junger Mann in einem modisch, karierten Jacket an. „How are you? Do you like it here?” Plötzlich zieht er einen Polizei-Dienstausweis aus der Tasche und fordert mich auf, in seinem Privat-Lada mit zur Polizei-Zentrale zu fahren.

In einem riesigen Saal, dem Dienstzimmer der stellvertretenden Polizeichefs, haben sich zahlreiche Beamte versammelt. Das Verhör zieht sich über eine Stunde hin, unterbrochen von hektischem Telefonieren und Beratungen auf dem Flur. Die Fragen stellt der stellvertretende Polizeichef der Stadt, der Leiter des Geheimdienstes – ein Mann mit buschigen, schwarzen Augenbrauen, Bürstenhaarschnitt und intelligentem Gesicht – und einige niedrige Dienstränge. „Warum kamen sie gerade nach Asaka?”. „Haben sie Dadabojew angerufen?” „Was ist das Ziel ihrer Reise?” Meine ausweichenden Antworten beantwortet der Polizeichef mit hochmütigem Lächeln. Der Ausländer windet sich, dabei weiß man doch längst alles über ihn.
Die Gesprächsführung pendelt zwischen strengem Verhör und lockerem Gespräch. Der Polizeichef ergeht sich in Lobeshymnen über Deutschland. Dann lässt er Weintrauben holen. Ich lasse mich hinreißen und beginne zu argumentieren. In Deutschland gehe die Polizei gezielt gegen Gewalttäter vor, schieße aber nicht auf friedliche Demonstranten. Deutschland in allen Ehren, aber für solche Details interessiert sich im Hauptquartier der Polizei von Asaka einfach Niemand. „Wissen Sie, sie müssen hier zehn Jahre leben, um alles zu verstehen”, meint der Leiter der Registrierungsstelle für Ausländer der Stadt Asaka in vertraulichem Ton. Dann wird seine Stimme fest. Die ausländischen Korrespondenten würden „ganz falsch” berichten. Er legt die Fernbedienung des Fernsehers wie einen Pfeil vor sich auf den Tisch. „Sehen sie, es ist wie mit einem Stück Pizza. Sie können die Information so verabreichen, oder”, der Beamte dreht die Fernbedienung um 90 Grad, „so”. Nach zwei Stunden Verhör hämmert es in meinem Kopf.

Man fährt mich zu dem Leiter der Registrierungsstelle für Ausländer der Stadt Andischan. Der kommt gleich zur Sache. Ich müsse Andischan innerhalb von 24 Stunden verlassen, sonst könne man nicht für meine Sicherheit garantieren. Welche Gefahr mir drohe, wollte er nicht verraten. Plötzlich macht er ein nachdenkliches Gesicht. „Wir bräuchten eigentlich einen Beweis, dass sie die Stadt verlassen haben.” Angestrengt denkt er nach. Dann steht er auf und holt aus einem Schrank ein Blatt Papier. Ich soll mich schriftlich verpflichten, die Stadt innerhalb von 24 Stunden zu verlassen. Er sieht mein fragendes Gesicht und meint dann, als im Mai die Unruhen waren, seien die Korrespondenten aus Europa, den USA und China auch nicht länger als einen Tag geblieben. „Ich habe sie alle gut im Griff gehabt.” Doch ich will nicht unterschreiben. „Nun, dann geben Sie mir zumindest ein männliches Ehrenwort.” Mein gequältes „Ja” genügt ihm schließlich. Sorgfältig notiert er sich meine Adresse in Moskau. Dann ist die Sitzung beendet. Ich kann gehen. Mein Kopf scheint vor Schmerzen zu platzen.
Es folgt eine Beratung mit meinem usbekischen Begleiter. Ich habe ihn auf der Hinfahrt von Taschkent im Auto kennen gelernt. Vielleicht hat er Kontakt zu den Diensten, vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall macht er mir Angst. Mit bedeutungsvoller Stimme fragt er: „Schon mal was von Racket gehört?” Das Wort aus dem Englischen steht für Schutzgelderpressung der Moskauer Mafia. Auch die Macht in Usbekistan wende solche Methoden an. Mein Begleiter drängt plötzlich auf schnelle Abfahrt.

Am nächsten Tag fahren wir gemeinsam nach Fergana. Kaum habe ich meine Tasche im Hotel „777″ abgestellt, erklärt er in bestimmten Ton, in Fergana könne ich nicht länger als einen Tag bleiben. „Hier gibt es die gleichen Probleme”. Morgen würde er mich abholen, nach Taschkent bringen und dort ins Flugzeug setzen. Widerrede duldet er nicht. Tatsächlich sitze ich einen Tag später im Airbus der „Uzbekistan Airways” Richtung Moskau. Werde ich Usbekistan je wiedersehen? (n-ost)

18/11/05

Teilen mit:

Все самое актуальное, важное и интересное - в Телеграм-канале «Немцы Казахстана». Будь в курсе событий! https://t.me/daz_asia