Der Berliner Autor Jörg Dauscher wollte Russland kennenlernen. Nicht „das Imperium, die regierenden Cliquen und die Verlautbarungen von Pressesprechern“, sondern das Land selber. Hierzu begab er sich an einen „verwunschenen, verlorenen, verschwindenen Ort“ und nahm aktiv einen Sommer lang am Landleben teil. Seine Erlebnisse in K., einem kleinen Dorf im Kreis Krasnogorodsk, unweit der lettischen Grenze, hielt er in einem literarisch anspruchsvollen Erzählungsband fest.

/Bild: privat. ‚Schmaler, literarisch anspruchsvoller Erzäh-lungsband über das russische Landleben.’/

„Um nach K. zu kommen, muss man sich verlieren“, schreibt Jörg Dauscher in seinen Erzählungen aus einem russischen Dorf. „Erst wollte der Schaffner uns nicht aus dem Zug lassen. Dann fand er den Namen des Ortes tatsächlich auf unseren Tickets und ließ uns ziehen. Mitten in der Nacht waren wir auf einem Provinzbahnhof gestrandet.“ In einer Stadt die sich mangels Stadt nicht besichtigen ließ.

Der Autor findet seinen Weg in die weitläufige, unwegsame Natur Russlands, in dem er in der Zeit versinkt. Während die Größe und Bedeutung eines Ortes im engen Westeuropa immer auch eine vertikale Komponente besitzt, scheint es Jörg Dauscher in Russland, dass sich auch die Städte der Weite des Raumes fügen und die einzelnen Häuser sich unter ihm hindurch ducken. „Das – und nicht die Kilometer – ist der Maßstab für Russlands Weitläufigkeit: die Zeit.“

„Pfade durch das Gestrüpp an Eindrücken“

In dem Dorf K. lebt eine Handvoll Bauern, alte Leute, daneben fünf, sechs Familien und einige Datschniki, sogenannte Städter, welche Haus und Hof im Sommer bewirtschaften. Das Dorf hat schon einmal bessere Zeiten erlebt. Der Reichtum wurde in Kühen gemessen, jedem Hof war nur die Haltung einer Kuh erlaubt. In den 70er Jahren gab es 30 Kühe im Dorf, heute hält nur noch eine Familie eine Kuh.

Jörg Dauscher beginnt sich im Dorf zu orientieren. „Schnell bilden sich Pfade durch das Gestrüpp an Eindrücken, schnell schlägt der Verstand Schneisen ins Unbekannte.“ Er lernt das Badehaus, die russische Banja, kennen, in der man sich wäscht und erlebt die Wasserversorgung, die aus einem Schwenkbrunnen mit Blecheimern besteht.

Nach der Privatisierung, die in K. so ablief, dass sich jeder etwas Brauchbares aus dem Kolchosgebäude mitnahm und damit auf das eigene Feld ging, muss jeder Einwohner von K. wieder für sich selbst sorgen. Auch Jörg Dauscher beteiligt sich an den täglichen Verrichtungen und Besorgungen, den Gängen zum Brunnen, dem Kochen und Waschen, an den Reparaturen am und im Haus und an der Feldarbeit. Er lernt die Kartoffel schätzen, die von den Bauern als „die Grundlage alles Seins“ und für die „nährenden Eigenschaften des Erdbodens“ verehrt wird.

Auch die Moderne hat Einzug in K. erhalten. „Drei Dinge der Neuzeit haben es bis hierher geschafft: Stromleitungen sind gelegt, für Fernsehempfang wurde gesorgt, und auch die Mobiltelefone haben seit Neustem Netz.“ Neben Kartenspiel und Wodka gibt es noch weitere Abwechslungen. Barfuß durch Gras spazieren, gut, wenn man zu viel liest, wie der Autor erfährt, sich gegen die gezielten Angriffe der abendlichen Moskitoschwärme wehren und die 100 Störche beobachten, die sich hinter dem Haus zu einer Rast niedergelassen haben.
Wem das nicht reicht, der kann bei dem zweimal wöchentlich anreisenden Autoladen Brot und Fisch kaufen oder sich bei einem Ausflug zum Wochenmarkt mit Synthetikmode neu einkleiden. Jörg Dauscher ist es gelungen, einen Einblick in das russische Landleben zu erhalten und es in philosophischem Nachdenken, humorvollen Geschichten und detaillierten Beobachtungen einzufangen. „Meinen eigenen Schritten war ich solange gefolgt, bis das niedergetretene Gras als klar erkennbare, dunkle Linie das Wiesenmeer teilte“, schreibt Jörg Dauscher.

Jörg Dauscher: Der Sommer in K., Erzählung aus einem russischen Dorf. BoD-Verlag Norderstedt 2009

Von Christine Karmann

22/01/10

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