Dank ihrer Wirtschaftskraft häufen Kasachstans Nachbarn China und Russland Devisenreserven in Milliarden-Dollar-Höhe an. Die großen Wachstumsmärkte Russland, China und Indien gelten als kommende Zentren der Globalisierung – Kasachstan liegt inmitten dieser neuen wirtschaftlichen Dynamik.

Die Wirtschaft von Kasachstans südöstlichem Nachbarn China – derzeit die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt – wächst mit knapp elf Prozent im Jahr schneller als es der Pekinger Regierung geheuer ist. Durch Leitzinserhöhungen soll das Wachstum im Reich der Mitte gedrosselt werden. Auch Indiens Wirtschaft wächst seit Jahren beachtlich und Kasachstans nördlicher Nachbar Russland erlebt dank anhaltenden Anstiegs der Gas- und Ölpreise ebenso einen beachtlichen Boom. Wachsen China, Russland und Indien in etwa so weiter wie bisher, werden sie die Gewinner des 21. Jahrhunderts sein und zu den wirtschaftsstärksten Nationen der Welt gehören. Dann läge Kasachstan in ein paar Dekaden inmitten der neuen Gravita-tionszentren der Globalisierung.

Wachstumsträume der BRIC-Staaten

Auf die absolute Wirtschaftskraft bezogen wird China Deutschland voraussichtlich im kommenden Jahr überholen, etwa 2015 Japan überrunden und 2040 die USA einholen. Indien könnte nach Prognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Investmentbank Goldman Sachs bis 2035 alle westlichen G7-Staaten außer den USA und Japan überflügeln und Russland auf seine absolute Wirtschaftskraft bezogen immerhin Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien hinter sich lassen. Das ist noch Zukunftsmusik, aber Ökonomen, Unternehmen und Privatanleger interessieren sich schon heute zunehmend für die steigende Kaufkraft in den Gigavolkswirtschaften China und Indien und im großen Schwellenland Russland. Wirtschaftswachstum und Wachstumserwartungen zählen in der Welt der Wirtschaft. Und deswegen wird weltweit – wie die amerikanische Investmentbank Goldman Sachs trefflich formuliert – von der konjunkturellen Dynamik und den Zukunftserwartungen in den BRIC-Staaten – also den vier wichtigen Schwellenländern Brasilien, Russland, Indien und China – und nicht den Wachstumsperspektiven der sieben großen westlichen Industriestaaten (G7) geträumt.

Kasachstan: Umgeben von kommenden Wirtschaftsmächten

Privatanleger können BRIC-Fonds kaufen, die nur in den vier Märkten investieren. Schon heute stehen die BRIC-Schwellenländer für etwa 20 Prozent der Weltwirtschaftsleistung. Weswegen die Staatschefs der sieben führenden westlichen Industrieländer auf dem jüngsten Sankt Petersburger Weltwirtschaftsgipfel auch Gespräche im erweiterten Kreis, also mit ihren Kollegen aus Russland, China und Indien sowie den Schwellenländern Brasilien, Mexiko und Südafrika, geführt haben. Auf Einladung des russischen Präsidenten Wladimir Putins saß auch Kasachstans Präsident Nursultan Nasarbajew mit am Tisch. Denn übersehen wird im Zuge der BRIC-Euphorie meist, dass sein Land  Kasachstan genau zwischen drei der vier wichtigen BRIC-Schwellenländer liegt. Zumal auch Kasachstans Wirtschaft in den letzten Jahren beträchtlich zugelegt hat, seit dem Jahr 2000 um knapp zehn Prozent pro Jahr. Für dieses und nächstes Jahr erwartet der IWF ein Wachstum von knapp neun Prozent in der bedeutendsten Volkswirtschaft Zentralasiens. Und wenn Russland, China und Indien ihre eindrucksvollen Wachstumspfade weiter beschreiten, dann spricht viel dafür, dass gerade Kasachstan über zahlreiche Kanäle davon profitieren könnte.

Bindungen aller Art nach Russland und China

Die Wirtschaftstheorie versucht das Wachstumspotenzial von Handelsvolumina zwischen Staaten an Hand so genannter Gravitätsmodelle abzuschätzen. Einflussgrößen solcher Analysen sind messbare Größen wie die absolute Wirtschaftskraft von Volkswirtschaften, deren geographische Entfernung oder eben gemeinsame Außengrenzen. Oftmals spielen auch „weiche“ Faktoren – wie politische Beziehungen oder gemeinsame kulturelle Wurzeln – bei solchen Projektionen eine bedeutende Rolle. Und all diese Einflussgrößen wirken mit positivem Vorzeichen bezogen auf Kasachstan und seine wachstumsstarken Nachbarn. Geographisch nahe ist Kasachstan zu drei der vier weltweit wichtigsten Schwellenländer. Man hat nicht nur die gleiche Telefonländervorwahl wie Russland, sondern teilt mit dem großen Nachbarn die längste durchgehende Landgrenze der Welt mit knapp 3.000 Kilometern. Mit dem Reich der Mitte gibt es immerhin auch knapp 1.000 Kilometer geographische Berührung und der Wachstumsmarkt Indien ist von Südostkasachstan – etwa von Almaty aus – nur knappe 1.000 Kilometer weit weg. Dank der geographischen Nähe könnte Kasachstan bald noch mehr seiner Rohstoffe recht einfach an seine dynamisch wachsenden Nachbarn verkaufen, die immer mehr davon brauchen. Zumal die Regierung in Astana nach Moskau und Peking gute außen- und wirtschaftspolitische Beziehungen pflegt. Selbst Indien schielt schon auf die kasachischen Rohstoffe und investiert im Land. Seit Jahren wird laut über eine Pipeline von Kasachstan nach Indien nachgedacht. Viel weiter ist Kasachstan schon mit seinen direkten Nachbarn. Die Präsidenten Russlands und Kasachstans haben am Rande des G8-Gipfels eine gemeinsame Erklärung zur langfristigen Zusammenarbeit bei der Erdgasverarbeitung und -vermarktung unterzeichnet und ihre Energiepartnerschaft gefestigt. Nach China hat Kasachstan eine eigene Pipeline gebaut und die staatliche China National Petroleum Corporation durfte letztes Jahr im großen Stile bei PetroKa-zakhstan einsteigen.

Drehscheibe und Marktplatz

Auch abseits des Energiehungers könnte Kasachstan von der Wachstumsdynamik seiner Nachbarn profitieren und ein Standort von Interesse werden, um den großen russischen und chinesischen Markt zu beliefern – bessere Verkehrswege und einfachere Exportmöglichkeiten – letzteres auch durch einen WTO-Beitritt – vorausgesetzt. Und was für Großinvestitionen und den Export von Industriegütern gilt, gilt ebenso für die umtriebigen und für Zentralasien wichtigen kleinen Grenzhändler. Je besser es in Russland und China geht, desto bessere Geschäftsmöglichkeiten im kleinen Grenzhandel für Chinesen, Russen und Kasachen. Und man kennt sich. In Kasachstan gibt es noch einen großen russischen Bevölkerungsanteil und die einst aus China verdrängten Uighuren besiedeln heute das kasachisch-chinesische Grenzgebiet auf beiden Seiten. Kulturell ist das multiethnische Kasachstan seinen zwei großen geographischen Nachbarn im Norden und Süden recht nahe, und das erleichtert Geschäfte der Bosse großer (Staats-)Unternehmen und des kleinen Mannes. Außerordentlich könnte das größte Land Zentralasiens in Zukunft von seiner Position als Drehscheibe und Marktplatz zwischen West und Ost, zwischen Europa und dem Wirtschaftsboom in China und Russland profitieren. Nicht von ungefähr sind die Sektoren Transport und Logistik zentrale Bestandteile der wirtschaftspolitischen Clusterstratgie der Regierung in Astana. DHL, die globale Logistik-Tochter der Deutschen Post, ist beispielsweise schon vor Ort aktiv und setzt auf die Wachstumsmärkte Russland, China und Kasachstan.

Wenn Russland und China stabil bleiben und auch Indien weiter wächst, dann hat Kasachstan – vorausgesetzt das Land bleibt selber stabil und seinem derzeitigen wirtschaftspolitischen Kurs treu – wie seine Nachbarn noch einige Jahre mit hohen Wachstumsraten vor sich. Die spannendste und derzeit am schwierigsten zu beantwortende Frage ist, wie der Wohlstand nach Jahren des Wirtschaftsbooms in Russland, Indien, China und Kasachstan verteilt sein wird. Irgendwann werden allerdings auch hier die Wirtschaftswunderzeiten vorbei sein. Denn je mehr sich eine aufstrebende Volkswirtschaft entwickelt und einen gewissen Wohlstand erreicht, desto geringer sind ihre Wachstumsraten und ihr Wachstumspotenzial von diesem Niveau aus. Zumal in entwickelten Staaten meist die Bevölkerung stagniert oder gar abnimmt. Dieses Schicksal werden Kasachstan und die BRIC-Staaten auf lange Frist mit den westlichen Industrienationen teilen.

Von Gunter Deuber

04/08/06

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