In Kasachstan ist die Frage, welche Sprache man spricht, längst nicht mehr nur eine persönliche Entscheidung. Präsident Tokajew fordert die Freiheit der Sprachwahl, jedoch zeigt ein Vorfall, der sich jüngst in einem Almatiner Supermarkt zutrug, wie schnell diese Diskussion in einen politischen und gesellschaftlichen Streit um nationale Identität und kulturelle Zugehörigkeit umschlagen kann.
Der Präsident stellte in seiner Rede auf der Sitzung der Volksversammlung vergangene Woche klar, dass niemand das Recht habe, anderen die Entscheidung zu diktieren, welche Sprache sie zu sprechen haben, und dass Versuche, gesellschaftliche Spannungen durch Sprachkonflikte zu schüren, rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen würden. Diese Aussagen kommen zu einer Zeit, in der die Frage der Sprachwahl in Kasachstan, besonders unter ethnischen Kasachen, zunehmend zu einem politischen und gesellschaftlichen Streitpunkt geworden ist.
Tokajew hob in seiner Rede hervor, dass solche Provokationen – sei es aus dem Inland oder von außen – darauf abzielen, die Stabilität des Landes zu gefährden. Ein wachsendes Thema in diesem Kontext ist die Kritik an ethnischen Kasachen, die weiterhin Russisch als ihre bevorzugte Kommunikationssprache wählen. Trotz der Tatsache, dass Kasachisch laut Verfassung die einzige Amtssprache ist, bleibt Russisch in vielen städtischen Gebieten wie Almaty die dominante Sprache in Bildung und Alltag.
Kasachstans zweisprachige Kultur
Die Diskussion um die Sprachwahl ist nicht neu. Kasachische Medien und Social-Media-Kanäle sind zunehmend ein Schauplatz für Debatten, bei denen ethnische Kasachen, die Russisch bevorzugen, immer wieder öffentlich kritisiert werden. Einige werfen diesen Menschen vor, ihre nationale Identität zu untergraben und den Bemühungen, um die Förderung der kasachischen Sprache im Wege zu stehen. Diese Spannungen sind vor allem in einem Land wie Kasachstan spürbar, in dem eine zweisprachige Kultur tief verwurzelt ist, die ihren Ursprung in der sowjetischen Ära hat, als Russisch die alles dominierende Sprache in Bildung und Verwaltung war.
Ein jüngstes Beispiel für diese Entwicklung war ein Vorfall in einer Magnum-Supermarktfiliale in Almaty, bei dem ein Kunde von einem Lieferanten kritisiert wurde, weil er kein Kasachisch sprach. Der Vorfall erregte öffentliche Aufmerksamkeit, als der Kunde den Vorfall in den sozialen Medien teilte. Infolge dieser Kontroverse wurde der Kurier entlassen, was wiederum eine breite Debatte über die Sprachwahl und nationale Identität anstieß. Dieser Vorfall unterstreicht, wie sehr die individuelle Sprachwahl in Kasachstan zunehmend auch politisch aufgeladen ist.
Doch wie das Staatsoberhaupt in seiner Rede betonte, bleibt es jedem Bürger überlassen, welche Sprache er spricht. Während er die Bedeutung der kasachischen Sprache unterstrich, wies er auch darauf hin, dass das Land Fortschritte bei der Förderung der kasachischen Sprache im Bildungssystem gemacht hat – etwa durch den Anstieg der Zahl jener Schulabsolventen, die ihre Universitätsaufnahmeprüfungen in Kasachisch ablegen (rund 80%), und der Anteil jener ersten Klassen, die überwiegend auf Kasachisch unterrichtet werden (über 70%).
Ein Bekenntnis zur nationalen Identität
In sozialen Netzwerken und in der Öffentlichkeit wird die individuelle Sprachwahl zunehmend als politisches Statement gesehen. Vertreter anderer Nationalitäten in Kasachstan, wie der ethnische Russe Alexej Skalosubow oder die Kasachstandeutsche Alina Kan, betonen, dass das Erlernen der kasachischen Sprache ein Zeichen für das Bekenntnis zur nationalen Identität sei. Diese Entwicklung zeigt, dass die Sprache in Kasachstan nicht nur ein Kommunikationsmittel, sondern auch ein Symbol des kulturellen und politischen Zugehörigkeitsgefühls geworden ist.
Präsident Tokajews Worte – dass niemand das Recht hat, anderen die Sprachwahl zu diktieren – erscheinen daher als eine klare Stellungnahme zu den aktuellen Debatten. Er verspricht, dass jeder Kasachstaner frei in seiner Entscheidung bleiben kann, welche Sprache er nutzt. Diese klärende Aussage des Staatsoberhaupts ist um so wichtiger, da sie im Spannungsfeld einer Gesellschaft gemacht wurde, die sich zunehmend mit den Fragen von Identität und Integration auseinandersetzt. Somit bleibt die individuelle Sprachwahl ein zentrales Thema der kasachischen Politik.