Der internationale Handel von Waren und Dienstleistungen gehört zu den normalen Merkmalen jeder modernen Volkswirtschaft. Der gegenseitige Austausch von Waren eigener Produktion gegen Importgüter ist objektiv notwendig. Das ist nicht nur durch die ungleichmäßige Verteilung von Naturrreichtümern aller Art bedingt. Auch große Wirtschaftsnationen, wie z. B. die USA, können nicht in allen Bereichen der Wirtschaft in gleichem Maße leistungs- und wettbewerbsfähig sein.
Der gegenseitige Handel erhöht den Wohlstand aller Beteiligten, weil man sich auf die Produktion konzentriert, für die man besonders günstige Voraussetzungen hat und das importiert, was in anderen Ländern besser und billiger erzeugt werden kann.
Im langjährigen Trend wird der internationale Handel durch eine weitgehende Liberalisierung im Rahmen der Welthandelsorgansiation (WTO) erleichtert, also durch die Minimierung der gegenseitigen Handelsbarrieren. Das sind vor allem Zölle und Einfuhrkontingente, aber auch bürokratische Prozeduren. Protektionismus, also die Abschottung der eigenen Wirtschaft vor der ausländischen Konkurrenz und oft als notwendiger Schutz der heimischen Produzenten deklariert, hat langfristig noch nie in der Wirtschaftsgeschichte zu mehr Wohlstand und Wirtschaftsfrieden geführt.
In diesem Sinne ist es auf jeden Fall richtig, dass sich Kasachstan trotz einer Reihe von Rückschlägen weiter intensiv um eine Mitgliedschaft in der WTO bemüht.
Diesem offiziellen politischen Wollen steht jedoch nach wie vor eine nicht geringe Reihe von Bedenkenträgern gegenüber, die vorwiegend Probleme in der anstehenden wirtschaftlichen Öffnung Kasachstans sehen. Dabei ist der Begriff „Öffnung“ bereits jetzt sehr relativ. Die Warenströme nach Kasachstan werden zwar gemessen an WTO-Regeln noch behindert, aber auch nicht mehr prinzipiell erschwert. Das Einholen von Visa für Geschäfts- und Touristenreisen ist eigentlich zu einem Kinderspiel geworden, die bürokratischen Prozeduren an den Grenzen sind im Vergleich zu noch vor zehn Jahren drastisch minimiert. Meine Studenten können es sich kaum vorstellen, wenn ich ihnen erzähle, dass zu Sowjetzeiten in den Geschäften nicht nur keine Importwaren, sondern oft auch keine heimischen Waren vorhanden waren. Und dass es nicht nur nicht möglich war, ausländische Währungen frei zu tauschen, sondern dass es sogar streng verboten war, diese zu besitzen. Der ständige Warenmangel seinerzeit kam zustande, obwohl die heimische Wirtschaft aufs Drastischste vor der ausländischen Konkurrenz geschützt war.
Bei weitem nicht nur unter ungebildeten Leuten stelle ich hierzulande eine bedenkliche Tendenz fest: Einerseits möchte man die Vorteile des freien Personen- und Warenverkehrs genießen können, andererseits will man die Nachteile vom Land fernhalten. Doch das wird nicht gehen. Man kann die gesellschaftlichen Prozesse nicht so gestalten, dass auf der einen Seite nur die Vorteile versammelt sind und auf der anderen Seite nur die Nachteile. Bei jedem Prozess, an dem Menschen beteiligt sind, ist nun mal beides gegeben. Doch was heißt eigentlich „Nachteil“ im internationalen Handel? Als solcher wird immer wieder die Verschärfung des Wettbewerbes durch das Auftauchen auch ausländischer Anbieter genannt. Ist das aber ein Nachteil? Natürlich, Konkurrenz ist keinesfalls etwas Bequemes. Sie kann viele schlaflose Nächte bereiten und andere, ernsthaftere Probleme mit sich bringen. Doch für die Gesellschaft insgesamt ist das doch ein Vorteil: Unternehmen, in demokratischen Systemen aber auch staatliche Strukturen, Organisationen und auch Personen müssen sich der Wahl und dem Urteil des Endverbrauchers stellen, sei es im Bereich von Waren, sei es bei der Politik.
Die im Moment laufenden vielfachen Versuche, vor dem Beitritt Kasachstans zur WTO schnell noch besondere nationale Schutzmechanismen für einzelne Wirtschaftsbereiche zu installieren, können dem großen strategischen Wirtschaftsziel – Erhöhung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft auch außerhalb des Rohstoffsektors – nur abträglich sein.
Zudem ist die WTO keine zentralistisch-diktatorische Organsiation. Mit ihren einzelnen Mitgliedsländern und nicht mit einem einheitlichen Zentrum sind die durchaus schwierigen Fragen zu besprechen und in gegenseitigem Einverständnis auf Kompromissbasis zu lösen. Hierzu gehört auch das Aushandeln von Übergangsfristen, im Verlaufe derer sich allerdings die heimischen Unternehmen wettbewerbsfähig gemacht haben müssen, um zuerst auf den heimischen und somit vertrauten Märkten, später dann auf den Weltmärkten mitmischen zu können. Ein Sportler kann das Gespür für das richtige strategische und taktische Verhalten nur in Wettkämpfen, also in direkter Auseinandersetzung mit seinen Konkurrenten, lernen. Entsprechend kann ein Unternehmer das notwendige wirtschaftliche Verhalten nur unter echten Bedingungen, also nicht als Sandkastenspiel, begreifen.
Bodo Lochmann
30/03/2007