Immerzu verhalte ich mich anders, als ich mir das vorstelle oder vornehme. Manchmal tue ich Dinge, als wäre ich ferngesteuert. Ich sehe mir dabei zu und denke: Sag mal, was machst du da eigentlich gerade, bist du von allen guten Geistern verlassen?!

Dies ist gewiss keine neue Entdeckung, ist nicht mein Exklusivproblem oder –phänomen, und die Neurologen vom Dienst hätten sicher einige schlaue Wörtchen mitzureden. Als Mensch macht man eben komische Sachen. Aber bei all der alten Erkenntnis ist es immer wieder neu, schwer einzusehen, dass man sich nicht kontrollieren, sondern allenfalls beobachten kann. Ein paar Beispiele.

Was ich gern täte, wenn mir ein Mann entgegenkommt, den ich beeindrucken möchte: Ich träte gerne anmutig, zurückhaltend, klug und souverän auf. Ich würde keine besonderen Sperenzchen machen, sondern allein durch mein schönes Lächeln und meinen klaren Blick Aufsehen erregen. Die Art, wie ich gehe, stehe, mir eine Haarsträhne hinters Ohr streiche, sprechen für sich bzw. für mich.

Was ich wirklich tue, wenn mir ein Mann entgegenkommt, den ich beeindrucken möchte: Ich nehme reflexartig eine Cowboy-Haltung ein, stelle mich breitbeinig auf, die Hände in die Hüften gestemmt und spucke mein Kaugummi, so ich eines im Mund habe, im hohen Bogen aus. Wie doof ist das denn! Jede Maus weiß, dass man so ganz sicher keinen Mann davon überzeugen kann, dass er es mit einer attraktiven Frau zu tun hat oder bekommen könnte. Und doch – es passiert mir immer wieder, ich bin wie ein Pawlowscher Hund und kann nichts dagegen tun.

Ich stelle mich immer wieder felsenfest darauf ein, dass ich ganz ruhig und besonnen reagiere, wenn mich jemand anfeindet. Allenfalls bringe ich eine Prise Humor ein, in jedem Falle aber stehe ich über den Dingen, lächle überlegen aber nachsichtig, lupfe eine Augenbraue und bin ungeheuer schlagfertig. Durch ein knappes „Tja“, „Aha“ oder „Ach so“ sage ich, dass ich dazu nichts sagen möchte, weil es unter meiner Würde ist. Sie haben es erraten. Natürlich bin ich NICHT ruhig und besonnen, reif, weise und zurückhaltend! Kaum spüre ich eine kleine Dolchspitze in meinen Rippen, geht’s auch schon los: Ich ereifere mich, bekomme rote Flecken im Gesicht und dann bricht ein Redeschwall vom Zaun, in dem ein buntes Allerlei aus Beschimpfungen, Schuldzuweisungen und Rechtfertigungen enthalten sind. Was soll ich sagen? Es passiert! Immer wieder!

Ganz froh bin ich mit der Heldin in mir, die ungerufen aus mir heraus und auf die Bühne tritt, wenn es irgendwo irgendwen oder irgendwas zu retten gilt. Aber auch das würde ich lieber kontrollieren können, denn die Heldin tut manchmal ihren Dienst, wenn andere das einzig Richtige tun: ganz schnell weglaufen oder Hilfe holen, nämlich üble Burschen beschimpfen, die drei Kopf größer, zehnmal stärker und sehr viel bereiter sind zuzuschlagen. Ich fürchte, es lässt sich nicht vermeiden, dass ich eines Tages mal so richtig einen auf die Schn…

Wie auch immer – ich komme zu dem Schluss, dass ich es getrost sein lassen kann, irgendwie sein und auftreten zu wollen, es macht ja doch mit mir, was es will. Ergo: Narrenfreiheit, juchhee! Ich lasse den Dingen und damit mir einfach freien Lauf und gucke, was passiert und welche Gestalten neben dem Cowboy, Rumpelstilzchen und der Heldin noch so in mir schlummern.

Julia Siebert

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