Maria Gliem aus Frauenwaldau, dem heutigen Bukowice in Polen, hat einen Teil ihrer Kindheit als Vertriebene verbracht. Ihre Flucht führte sie nach Hessen, wo vor 70 Jahren die ersten Heimatvertriebenen ankamen. In ihrer heutigen Heimat trägt Gliem dazu bei, dass ihre Erinnerungen an die Zeit in Polen und die Flucht nicht in Vergessenheit geraten. Aus diesem Grund hat sie ihre Geschichte aufgeschrieben. Die DAZ veröffentlicht mit ihrer Erlaubnis Auszüge aus ihrer Niederschrift.
Am Herz-Jesu-Sonntag ging Tante Agnes über zehn Kilometer nach Haynau in die Kirche. Sie hatte große Angst, denn auf der Strasse waren viele Militärautos mit Russen unterwegs. Abends kam sie völlig durchnässt und erschöpft heim, aber ihr war zum Glück nichts passiert. In Kreibau war es einigermaßen ruhig, denn es lag abseits der Straße. Hinter dem Wald, in dem wir die Pilze holten, lag ein Dorf, dessen Bewohner erst im August erfahren hatten, dass der Krieg zu Ende ist. Wurde im Dorf mal ein Rind von den Russen geschlachtet, bekamen die Ortsansässigen etwas Fleisch, die Flüchtlinge durften sich das Darmfett aus dem Abfall holen. Vom 28. Juni bis 4. September 1945 lebten wie in Kreibau, dann schickte uns der Bürgermeister weg, weil er uns im Winter nicht versorgen konnte oder wollte. Wir wollten wieder in Richtung Heimat, aber wir haben nur die zehn Kilometer bis nach Haynau geschafft. Opa hatte wieder ganz geschwollene Beine, er hätte auf dem Handwagen sitzen müssen, aber das war dann für uns zu schwer zum Ziehen. Wir kamen nur bis zum Pfarrhaus, da verließ uns die Kraft und der Mut. Der Herr Pfarrer hat uns erst mal etwas zu essen und zu trinken gegeben und hat uns eindringlich von einer Weiterfahrt abgeraten. Die Polen würden uns sofort wieder zurück schicken und wir sollten uns lieber in einem Dorf eine Bleibe für den Winter suchen. Nach zwei Tagen sind wir dann in ein kleines Dorf abseits der Hauptstraße gezogen. Es hieß Hermsdorf (Jerzmanowica) und in dem Dorf wohnten noch zwei deutsche Familien, sonst war das ganze Dorf leer.