Die Erste Kreditauskunftei veröffentlicht regelmäßig Statistiken über den Stand der Verschuldung der Privathaushalte in Kasachstan. Ende August waren 36,2 Mio. Kredite aller Art an 8,9 Mio. Schuldner und Schuldnerinnen erfasst – im Schnitt also rund vier pro Person. Bei etwas über 20 Mio. Einwohnern haben knapp 45% Schulden – bei steigender Tendenz. Hinzukommen Schulden bei Verwandten und Freunden, die von der Statistik nicht erfasst werden. Wer sich in einer solchen Situation wiederfindet, ist mit einem Problem konfrontiert, welches wie ein Felsen auf die Schultern drückt.

In der DAZ vom 22.08.2024 habe ich ein paar Überlegungen angestellt, wie man über Geld sprechen kann. Solange die Ausgaben geringer als die Einnahmen sind, ist das vielleicht nur ein unangenehmes Gespräch. Emotional wird es möglicherweise, wenn die Ausgaben höher sind als die Einnahmen und die Differenz durch einen und dann einen zweiten und dritten Kredit geschlossen werden. Aus der dabei entstehenden Schuldenspirale kommt man ohne größere, gemeinsame Anstrengung nicht heraus. Die Frage, der ich heute nachgehe ist daher – welche Strategien gibt es, wenn es finanziell nicht gut läuft?

Gefahr erkannt – Gefahr gebannt!

Auch wenn es schwer fallen mag, ohne eine genaue Übersicht über die aktuelle finanzielle Situation geht es nicht. Genauso wie ein Arzt oder eine Ärztin einen Behandlungsplan erst aufstellen kann, wenn alle Symptome beschrieben, Analysen gesammelt und Untersuchungen gemacht wurden, muss man sich auch hier nackig, d.h. ehrlich, machen.

Wichtig ist zunächst, niemanden zu vergessen und systematisch vorzugehen. Selbst wenn die Situation einem fast schon über den Kopf gewachsen ist, gibt es diverse Hinweisgeber, die einem helfen, die Übersicht wieder herzustellen. Zum einen sind das die Bankauszüge – viele Kredite werden automatisch abgebucht. Zum anderen hilft die Kreditauskunft bei eGov zu prüfen, welche Kreditprodukte dort aktuell eingetragen sind (und ggf. auch zu korrigieren, wenn sich dort fehlerhafte Angaben finden). Die Auskunft kostet 400 KZT, was gut investiertes Geld ist. Und als letztes sollten die Verwandten, Kollegen, Nachbarn und Freunde in der Übersicht nicht vergessen werden.

Zu jedem Betrag, der einer Bank oder einer Person geschuldet wird, sind folgende Daten notwendig:
1) Höhe der Schuld,
2) Zins,
3) Rate pro Monat,
4) Rückzahlbedingungen.

Für die Rückzahlbedingung ist bei jeder Bank abzuklären, ob mehr als die aktuelle Rate pro Monat ohne Vertragsstrafe zurückgezahlt werden kann. Dieses Mehr kann z.B. eine Mindestsumme, nur bis oder ab einem bestimmten Monat möglich und nur in einer Filiale erlaubt sein. Pro Schuld ergibt sich exakt eine Zeile und in einer weiteren Zeile können sowohl die Summe der Raten pro Monat als auch die Gesamtsumme aller Schulden gebildet werden.

Schneeball oder Lawine?

Höchstwahrscheinlich reichen die verfügbaren Mittel nicht aus, um alle Schulden sofort zu begleichen. In diesem Fall ist zu überlegen, in welcher Reihenfolge man seine Ausstände tilgen kann. Der erste Schritt ist zunächst sicherzustellen, dass alle monatlichen Raten pünktlich gezahlt werden. Gerade gegenüber Banken und anderen Kreditinstituten sollte die erforderliche Mindestsumme gezahlt werden, da ansonsten höhere Zinsen, Strafen oder schlimmeres drohen.

Im zweiten Schritt ist dann zu überlegen, welche Schuld durch zusätzliche Mittel (zu diesen kommen wir sogleich) über die Mindestsumme hinaus getilgt werden soll und kann.
Unsere Liste lässt sich auf zwei Arten sortieren, woraus sich dann zwei Strategien ableiten: einmal nach Zins und einmal nach Höhe der Schuld. Bei einer Sortierung nach dem Zins von höchsten zum niedrigsten steht z.B. eine Kreditkarte mit 30% Jahreszins oben, in der Mitte findet sich die Hypothek zu 12% und der Kredit von einem Familienmitglied mit 0% steht an letzter Stelle.

Wenn jetzt zusätzliche Mittel zur Tilgung der Kreditkarte – der Schuld mit dem höchstens Zins – genutzt werden, spricht man von der Lawinen-Methode. Es wird also alle Energie darauf verwandt, den ersten Kredit zu tilgen und alle anderen, soweit notwendig, nur mit der jeweiligen Mindestsumme zu bedienen. Rational betrachtet ist dies am sinnvollsten – das „teuerste Geld“ wird zuerst zurückgezahlt. Diese Taktik wird solange fortgesetzt, bis die Kreditkartenschuld getilgt ist. Danach fließen zusätzliche Mittel in die Schuld mit dem zweithöchsten Zins. Die Lawinen-Methode hat allerdings den Nachteil, dass sie aus psychologischer Sicht nicht für jeden optimal ist, weil sich die Anzahl der Kredite nicht sonderlich schnell verringert, sondern nur die Gesamtsumme.

Der zweite Ansatz ist die sogenannte Schneeball-Methode. Hier findet die Sortierung der Liste nach der Höhe der ausstehenden Schuld statt – an erster Stelle steht der Kredit mit der kleinsten Summe, an zweiter derjenige mit der nächst höheren Summe. Nach Zahlung der erforderlichen Mindestraten werden zusätzliche Gelder zur Tilgung der kleinsten Schuld verwandt. So erzielt man schneller einen sichtbaren Erfolg und kann daraus Motivation für die nächsten Schritte schöpfen. Man kann diesen Prozess sogar sichtbar machen, indem man die Liste mit Schulden an einem sichtbaren Ort anpinnt und dann die erste getilgte Schuld durchstreicht, um das erreichte zu betonen: Wie bei einem Schneeball, der immer größer und größer wird, wird auch die Liste mit getilgten Schulden länger und länger.

Für beide Ansätze ist wichtig, dass, nachdem der erste Kredit abgelöst ist, diese Mindestrate zur zusätzlichen Tilgung des jeweils nächsten Kredits verwandt wird. Ob nach Verringerung der Hauptschuld über die monatliche Rate hinaus die Rate oder die Laufzeit verringert wird, hängt von den allgemeinen Umständen ab. Finanziell effektiver ist es, die Laufzeit, nicht aber die monatliche Rate zu verringern, weil in diesem Fall in Summe weniger Zinsen bezahlt werden.

Wo fängt man an?

Auch wenn nach Auflistung aller Schulden die Lage hoffnungslos aussehen mag – es gibt Auswege. Sie setzen voraus, sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen zu wollen. Auf der Hand liegt, seine Ausgaben zu überprüfen und zu schauen, ob es kostengünstigere Alternativen gibt oder sich darauf verzichten lässt. Dies betrifft Dienstleistungen wie Mobiltelefon, Restaurantbesuche und die Nutzung von Fertiggerichten ebenso wie Bankprodukte und Versicherungspolicen, Abonnements für Sportstudios, Streamingdienste und kostenpflichtige Freizeitangebote. Verzicht und Einschränkung sind mit etwas Kreativität und einer kleinen Änderung der eigenen Gewohnheiten sehr häufig möglich. Neben einer Senkung der Ausgaben durch einen günstigeren Handytarif und selber kochen ist die Steigerung der Einnahmen nicht weniger wichtig – zusätzliche Schichten, ein zweiter Job, die Vermarktung der eigenen Kompetenz auf Stundenbasis sind alles Optionen.

Die Schneeball-Methode weist uns schon darauf hin, dass die Tilgung von Schulden nicht nur ein finanzielles, sondern auch ein psychologisches Problem ist. Von daher ist es wichtig, mit dem Partner über das Problem zu sprechen und die engere Familie mit an Bord zu haben, um Schuldenfreiheit zu erreichen. Hilfreich kann es zudem sein, sich mit Gleichgesinnten zusammen zu tun – die moralische Unterstützung und der Austausch von Tipps kann ebenfalls sehr motivieren. Da es bisher nicht viele Austauschmöglichkeiten zu diesem Thema gibt – vielleicht wäre es ja eine Möglichkeit, damit anzufangen und die Erfahrungen zu teilen und an andere weiterzugeben?

Und als letzten Ausweg gibt es die Privatinsolvenz, die dieses Jahr in Kasachstan sogar noch vereinfacht werden soll. Allerdings ist es eine Arznei mit Nebenwirkungen. Der größte Nachteil scheint mir aber zu sein, dass sie möglichweise das grundsätzliche Problem nicht löst – nämlich eine Verhaltensänderung, die zur misslichen Lage geführt hat. Dafür fällt mit jedem selbst getilgten Kredit ein Felsbrocken von den eigenen Schultern.

Tobias Stüdemann

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