Mir schwirrt noch der Schädel. Ich habe einen Verhandlungsmarathon mit meinen Nachbarn hinter mir, der nahezu alle Formen der Kommunikation umfasste. Ob wir uns jetzt endlich verstanden haben, kann ich nur hoffen. Sonst muss ich zu anderen Waffen greifen.

Zunächst übten wir uns in endlosen Wiederholungen. Das benachbarte Paar kam abwechselnd, aber mit denselben Satzteilen bei mir vorbei: Ob ich renovieren würde, es wäre so laut. Nein, ich sitze in der Küche und trinke Kaffee. Ja, aber es wäre so laut. Ja, aber ich würde nicht renovieren. Ja, aber es würde so klingen. Ja, also Nein, also: Ich renoviere nicht! Ich sitze in der Küche und … Als auch sie einsahen, dass das wiederholte Nachfragen, ob ich renovieren würde, nichts nützte und dachten, ich würde und wollte einfach nicht einsehen, dass ich so laut sei, als würde ich renovieren, setzten sie die Fäuste ein. Zunächst in ihrer eigenen Wohnung gegen die Wände: Ruhe! übersetzte ich die Klopfzeichen. Ich konnte es mir nicht verkneifen mit den Füßen zu antworten: Hör auf zu klopfen, das nützt dir nämlich rein gar nichts! Im nächsten Schritt kombinierten sie mehrere alte und neue Formen der Verständigung. Sie standen wieder vor der Tür, diesmal beide zusammen, und hämmerten gegen meine Wohnungstür und ergänzten dieses Ausdrucksmittel durch Beschimpfungen, Befehle und Drohungen. Ich konterte mit Zetteln, unter anderem einer Liste mit Adressen von Psychotherapeuten, und vermerkte, dass sie sich nicht sorgen sollten, Verhaltens-, Wahrnehmungs- und Kommunikationsstörungen wären heilbar, und ich wäre gern dabei behilflich, ihr aggressives Potenzial in kreative Hobbies zu lenken. Touché! Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Dingdong! Als echte Geheimagentin schaute ich durch den Spion, und da meine Nachbarin allein war, öffnete ich die Tür. Das war eigentlich sehr mutig, da Frauen bekanntlich schärfere Waffen einsetzen als Männer. So ein direkter Fausthieb mitten ins Gesicht ist zwar dumpf und heftig und lässt die Nase bluten. Aber eine Frau auf dem Nacken hocken zu haben, die sich festbeißt, einem die Augen auskratzt und die Haare ausreißt, ist nicht angenehmer. Aber ich hatte es mit einer kultivierten Frau zu tun, die mir nicht mit ihren Krallen, sondern mit dem Anwalt drohte, wegen des Schreibens, das sei Verleumdung. Ja, bitte! Lieber spräche ich mit dem Anwalt. Und wollte die Tür schließen. Doch sie stand plötzlich in meiner Wohnung. Da sie doppelt so breit ist wie ich und ich derzeit etwas angeschlagen bin, konnte ich sie partout nicht wieder herausbewegen. Weil man stets bemüht sein sollte, sich auf das Sprachniveau seines Gegenübers zu begeben, ging ich blitzschnell mein juristisches Halbwissen durch und fand schließlich einen passenden Begriff: Das sei Hausfriedensbruch! Keine Reaktion. Das sei ihr egal! Da es kein Vor und kein Zurück gab und sie da einfach stehen blieb, einigten wir uns auf ein Gespräch. Ich machte zur Bedingung, dass ich dann aber auch mal was sagen dürfe. Und dann ging es im Affenzahn durch fast alle Formen der Verständigung. Meine Nachbarin wechselte behände zwischen Arroganz, Tränendrüse, Selbstlob, Mitleidstour, Märtyrertum, Beleidigungen, Beschimpfungen und Vorwürfen. Ich hielte mich wohl für ganz schlau, wäre krank, nicht ganz dicht im Kopf, hätte wohl zu viel Zeit, sie hingegen müsste ja so viel arbeiten, ich würde gar nichts kapieren, würde ihnen das Leben zur Hölle machen, sie habe es eh schon so schrecklich schwer, hätte schon Neurodermitis wegen mir und an Kreativität fehle es ihnen ganz gewiss nicht, ihr Freund sei nämlich Künstler, so!

Wie beim Sport suchte ich nach den Schwachstellen meiner Gegnerin, um auch mal Punkte machen zu können. „Wir sind eigentlich sehr nett!“ sagte sie. Aha, da hatten wir es. Als nett hätte ich sie leider gar nicht kennen gelernt. Doch, sie seien aber nett! Aber wer nett sei, würde nicht gegen Türen treten und andere Leute bedrohen. Ja, aber sie wären trotzdem meistens nett. Sie wollte so unbedingt für nett gehalten werden, dass sie sich sogar für den Terror entschuldigte. Mehrmals. Als ich ihr immer noch nicht bescheinigen wollte, dass sie nett sei, gab sie sogar zu, dass sie wegen vieler Dinge gestresst seien und sich einen Dummen gesucht haben, an dem sie all ihren Ärger auslassen können – mich. Oh, wir waren beide untröstlich. Und ich hatte jetzt endlich genug der Genugtuung. Und nun suchten wir uns nach allen klassischen Regeln der Annäherungskunst ein gemeinsames Leidensthema – die Wohnbedingungen – und fanden darüber ein neues Opfer, gegen das wir uns verschwören konnten – den Vermieter. Ein bisschen hat er es auch verdient, weil er nämlich all die lange Zeit rein gar nichts gegen die Hellhörigkeit unternehmen wollte. Zur Abrundung, als wir fast schon Freundschaft geschlossen haben und der Kampf eigentlich beendet war, habe ich doch noch wie nebenbei einige kleine Dolche in ihre Schwachstellen ausgefahren: Im Kampf gegen sie gewinnt, wer mehr arbeitet, kränker ist und mit Künstlern zu tun hat. Da konnte ich doch locker mithalten. Ich erwähnte in Nebensätzen, dass ich so viele wichtige Aufträge zu erledigen hätte, bis zu zwölf Stunden am Tag arbeite, unter zwei chronischen Krankheiten litte und dass sie sich den Ruhestörer, um den es im Grunde ging, bald im Fernsehen ansehen könnten. Er sei nämlich ein berühmter Künstler, mit dem ich für den Fernsehauftritt Gerichte ausprobiert hätte. Nämlich! Tja! Das saß.

Zum Abschied reichten wir uns die Hände und bedankten uns brav beieinander für das klärende Gespräch. Wie früher, als mir meine Oma immer einen Stupps gab, wenn ich von der dicken doofen schwitzenden Metzgersfrau eine Scheibe Wurst aufgedrängt bekam: „Sag schön Danke!“ Danach hat sie wahrscheinlich ihrem Freund erzählt, wie doof ich bin und wie heldenhaft sie sich geschlagen hat. Und ich schreibe in diesem Beitrag, wie doof sie ist und wie heldenhaft ich mich geschlagen habe. Und nächste Woche treffen wir den Vermieter. Na, der kann was erleben!

So richtig nahe kamen wir uns in dem Punkt, dass ich während der angeordneten Hörprobe extra viel Lärm mache, damit er endlich, endlich diese baulichen Maßnahmen durchführt. Oh ja, und das werde ich, mit den Säbeln rasseln, mit den Töpfen klappern und mit den Füßen aufstampfen, was das Zeug hält!

Julia Siebert

01/05/09

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