Es ist Oktoberfest, die fünfte Jahreszeit in Bayern. Die Welt schaut nach München. Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter eröffnete am vergangenen Samstag um Punkt 12 Uhr die Wies‘n mit dem traditionellen Anstich des ersten Bierfasses. Er benötigte unter den strengen Blicken der bayrischen Politprominenz dieses Jahr zwei Schläge, bevor er die erste Maß mit den Worten „O‘zapft is!“ an den bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder übergab. Allein am ersten Wochenende wurden 13 Ochsen verspeist und hunderttausende Liter Bier getrunken. Am allerersten Tag der Wies‘n gab es 91 alkoholbedingte Sanitätseinsätze, die erste Schnapsleiche musste 32 Minuten nach Beginn des Bierausschanks behandelt werden – ein Mann in Mönchskutte. Das Oktoberfest: eine Riesengaudi!

Von Almaty nach München sind es 6.265 Kilometer. Bei einem Kilometerpreis von 1,90 Euro macht die Taxifahrt 11.903 Euro und 50 Cent, plus 3,70 Euro Grundpreis selbstverständlich. Ein Fahrpreis, der aber wohl bei den diesjährigen Preisen für die Maß Bier kaum noch ins Gewicht fällt. Die Fahrt von mir daheim, von Koktem aus, nach München kostet allerdings lediglich 720 Tenge. Nicht in die bayrische Hauptstadt selbstverständlich, sondern ins Bierlokal „München“, hier in Almaty.

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Normalerweise mache ich um deutsche Restaurants und Lokale im Ausland einen großen Bogen. Gerade in diesen Zeiten werden von Chile bis China Oktoberfest-Nachahmungen gefeiert. Angebliches deutsches Brauchtum und vermeintliche bayrische Festkultur werden bis zur Unkenntlichkeit kaputtzelebriert, die Absurdität dieses Humpa-Humpa-Wahns ist nur unter Schmerzen auszuhalten. Das Essen ist furchtbar und überteuert, das Bier schal und warm, angetrunkene Menschen in Lederhosenimitaten unangenehm übertrieben fröhlich.

Dem Bierrestaurant „München“ hier in Almaty gab ich vor einigen Tagen der Vollständigkeit halber doch mal eine Chance und war merkwürdigerweise überrascht von dem mir Gebotenen. Glücklicherweise hat man das Personal nicht in Trachten gesteckt, an den Wänden fanden sich keine naiven Malereien von Alpenlandschaften oder Schloss Neuschwanstein. Die holzvertäfelte Einrichtung machte einen urigen Eindruck, ohne vermeintlich deutsches Brauchtum zu heucheln. Auch die Speisekarte überraschte. Offensichtlich versucht man hier noch nicht mal, die üblichen deutschen Speisen an den Kunden zu bringen. Ein Versuch, der generell zum Scheitern verurteilt ist: Ich hatte noch nie gutes deutsches Essen im Ausland. Hier allerdings finden sich zum Großteil kaukasische Spezialitäten auf dem Menü. Über georgische Suppen und Chatschapuri bis zu einer großen Schaschlikauswahl findet sich alles, was das Herz des Kaukasusfreundes höher schlagen lässt. Alles, was an diesem Lokal deutsch ist, ist der Name.

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In der Mitte des Saals finden sich zwei große kupfern schimmernde Braukessel: hier wird selbst gebraut! Auch das erfreut einen leidenschaftlichen Biertrinker wie mich natürlich. Ich greife zur Bierprobe der hausgebrauten Biere: Ein dunkles Bockbier, ein Hefeweizen, ein Pils und ein Kirschbier nach belgischer Art. Mein Favorit war das klassische Pils, für mich auf den Punkt gebraut und genau nach meinem Geschmack. Das Kirschbier allerdings fiel im Geschmackstest völlig durch, wobei ich persönlich es generell als Verbrechen ansehe, Obst ins Bier zu panschen. Ich bin ja nun auch ein großer Verfechter unseres großartigen bayrischen Reinheitsgebots von 1516, nach dem neben Wasser lediglich Hopfen, Hefe und Malz zum Brauen verwendet werden dürfen.

Ich hatte an diesem Abend kaum den Eindruck, man wolle mir hier irgendetwas vermeintlich Deutsches vorgaukeln. Ich hatte glatt vergessen, dass ich in einer Lokalität namens „München“ war. Insofern werde ich möglicherweise nicht das letzte Mal im „München“ gewesen sein. Davon abgesehen werden aber auch hier in Almaty in den nächsten Wochen allenthalben zwanghaft deutsche Oktoberfeste gefeiert. Nun, im Herzen bin ich ja doch ein Bayer und wenn die Wies‘n-Zeit ist, gibt‘s a rechte Gaudi! Insofern werde ich wohl doch hier und da mal auf einen Krug Bier vorbeischauen. In diesem Sinne: Prost!

Philipp Dippl

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