Nicht nur die Sonne kündigt in Almaty den Frühling an. Am 21. März wird der Winter mit dem seit 1988 wieder offiziellen Feiertag Naurys verabschiedet. Am Tag, an dem Tag und Nacht etwa gleich lang sind, wird die Erneuerung der Natur als Sieg des Guten und Neuen über die dunklen Mächte des Winters gefeiert.
/Bild: Ulrich Steffen Eck. ‚Schnee zu Naurys gilt als gutes Omen: Dann kann im Krisenjahr 2009 eigentlich nichts schiefgehen.’/
Naurys geht historischen Quellen zufolge auf das Neujahrsfest im alten Babylon zurück. In der Hauptstadt Mesopotamiens wurde am 21. des Monats Nissan, der in unserer Zeitrechnung etwa auf Ende März – Anfang April fallen würde, das Ende des Winters und die Erneuerung der Natur gefeiert. Zwölf Tage lang sprühte die Stadt vor neuem Leben, es wurde getanzt und ausführlich gegessen und getrunken.
Im späteren Persien bekam das Neujahrsfest den Namen Naurys, der im Persischen „Neuer Tag“ bedeutet. Im Tadschikischen heißt das Fest Gulgardon oder Gulnavrus, die Tataren nennen es Nardugan. Die zentralasiatischen Völker lebten die Bräuche und Sitten um das Frühlingsfest weiter bis in das 20. Jahrhundert. In Sowjetzeiten wurde der Feiertag als „ideologisch unpassend“ verboten. Erst seit 1988 gilt Naurys in Kasachstan wieder als offizieller Feiertag. Auch die Afghanen, Aserbaidschaner, Iraner und Türken zelebrieren das nichtreligiöse Fest.
Die vielgesichtige Sieben
An Naurys dreht sich alles um einen möglichst reinen Neuanfang. Schulden sollten in der vorausgehenden Woche abbezahlt, das Haus geputzt und Streitereien geschlichtet werden. Allgegenwärtig ist die Zahl Sieben, die mit den sieben Tagen der Woche eine Zeiteinheit universaler Ewigkeit verkörpert. So werden traditionell dem Aksakal (Weißbart, Ältester) sieben Schüsseln des Gerichtes „Naurys Kösche“ angeboten, das aus sieben Zutaten zubereitet wird. Die Schüsseln des Hauses werden mit Schmelzwasser, Milch und Getreide gefüllt, damit es im neuen Jahr viel Regen, ausreichend Milch und eine reiche Ernte geben wird. Schnee am Naurys gilt als gutes Zeichen. Mädchen die an diesem Tag geboren werden, werden Naurys oder Naurysgul genannt, Jungen Naurysbai oder Naurysbek.
Was sich neckt, das liebt sich
Am traditionellen Naurys forderten die Mädchen junge Männer zum Zweikampf heraus. Gelang es ihm, sie zu küssen, dann erwarb er damit das Recht, sie zu heiraten. War sie jedoch zu schnell, bekam er die Peitsche zu spüren und musste ihr jeden Wunsch erfüllen. Manchmal entstanden auf diese Weise sogar Beziehungen zwischen Mitgliedern verschiedener Stämme, etwas, das an den übrigen 364 Tagen des Jahres eher unwahrscheinlich war. Auch die Männer traten gegeneinander an. Dschigiten – geübte Reiter – versuchten zum Beispiel bei Aikysch-Uischysch (Aufeinander) einander aus den Sätteln zu ziehen.
Was vom Tage übrig blieb
Naurys gehört zu den Dingen, die unter der Sowjetherrschaft gelitten und seit deren Ende allmählich revitalisiert werden. Wie wird der Feiertag heute begangen?
Aigul ist 44 Jahre alt und stammt aus dem Raum Semipalatinsk. „Zu Sowjetzeiten war das Fest verboten, so haben wir es nicht besonders gefeiert.“ Sie kennt die Naurys-Bräuche hauptsächlich aus Erzählungen ihrer Mutter, die das Fest in ihrer Kindheit noch begangen hatte: „Erwachsene wie Kinder freuten sich, dass der kalte und von Hunger geprägte Winter endlich vorbei war und der Frühling begann. Das hieß Grün, Nachwuchs beim Vieh und Essen. Die Leute waren zu Gast bei Freunden, und die Kinder liefen von Haus zu Haus und sangen „Scharapasan” – eines der altertümlichen rituellen Lieder mit dem Wunsch nach reichlicher Ernte, Wohlstand und Gesundheit im Text. Dankbare Gastgeber bewirteten die Gäste, die Gott ihnen geschickt hatte, mit allem, was von den Wintervorräten noch übrig war. Die Kasachen glaubten, je reichlicher sie einen Gast bewirteten, desto freigiebiger würde er ihnen in der Zukunft begegnen“.
Lena ist 17, in Kasachstan geboren und ihrer Herkunft nach Russlanddeutsche. Für sie bedeutet Naurys vor allem ein langes Wochenende: „Ich werde wohl wie jedes Jahr mit den Eltern auf die Datscha fahren.“
Von Marlies Ootes und Ulrich Steffen Eck
20/03/09