Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder setzt sich seit Langem für die Belange von (Spät-)Aussiedlern aus den ehemaligen Sowjetrepubliken ein. Seit etwa 20 Jahren ist er Mitglied in der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland. Die dortige Landesgruppe hat ihn zum Interview getroffen. Wir übernehmen das Gespräch mit freundlicher Genehmigung der Redaktion von „Volk auf dem Weg“.

Herr Dr. Söder, Sie sind seit etwa 20 Jahren Mitglied der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland. Was waren beziehungsweise sind Ihre Beweggründe?

 Einige meiner Bekannten und Freunde sind Deutsche, die in Russland geboren wurden. Mit meiner Mitgliedschaft wollte ich ein Zeichen setzen, dass ich mich verbunden fühle und mich für ihre Belange einsetze. Das habe ich dann ja auch in meiner ersten Regierungserklärung sofort umgesetzt.

Bereits mehrfach haben Sie deutlich gemacht, dass Sie die Deutschen aus der ehemaligen Sowjetunion als Landsleute und nicht als Migranten betrachten. Warum?

 Heimatvertriebene und Aussiedler sind Deutsche, die nach Deutschland kommen und mit dem Verlust ihrer Heimat einen sehr hohen Preis gezahlt haben. Wir leben im selben Kulturkreis und teilen dieselben Wertvorstellungen. Wir haben dieselben Wurzeln, wir haben eine gemeinsame Geschichte und pflegen dieselben Traditionen. Deutsche aus der Sowjetunion sind Deutsche – allein der Geburtsort liegt zufällig in einem anderen Land. Die Menschen, die derzeit zu uns kommen, als Asylbewerber und Flüchtlinge, stammen dagegen aus einem ganz anderen Kulturkreis. Sie müssen sich in unserem christlich-abendländischen Wertesystem erst orientieren.

Durch Ihr langjähriges Engagement in Nürnberg und darüber hinaus haben Sie viele Deutsche aus Russland und Ihre Biographien kennen gelernt. Mit welchen, drei bis fünf, Eigenschaften werden Sie diese Personengruppe beschreiben?

Im Laufe der Jahre habe ich viele von Ihnen auch naher kennen gelernt. Jeder Mensch ist natürlich ein Individuum. Wenn Sie mich nach Charaktereigenschaften fragen, so wurde ich Bodenständigkeit und Werteverbundenheit nennen. Und Zielstrebigkeit und Fleiß. Unter den Russlanddeutschen sind mir zahlreiche vielversprechende sportliche Talente begegnet, und für Mathematik und Kunst haben viele auch eine große Begabung.

Mit Ihrem Amtsantritt wurde im Freistaat Bayern erstmalig eine Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für Aussiedler und Vertriebene berufen. Welche Aufgabe soll dieses Amt erfüllen und welche Kompetenzen und Befugnisse sind damit verbunden?

Sylvia Stierstorfer ist als Beauftragte der Staatsregierung für Aussiedler und Vertriebene in erster Linie direkte Ansprechpartnerin. Sie wird sich gezielt und unbürokratisch um die Belange und die besonderen Anliegen der Heimatvertriebenen und Spätaussiedler kümmern. Angesiedelt ist die Beauftragte im Sozialministerium von Kerstin Schreyer. Beide – die Sozialministerin und Sylvia Stierstorfer – sind ein starkes Team für die Deutschen aus Russland.

Als Bayerischer Ministerpräsident haben Sie in Ihrer ersten Regierungserklärung zugesagt, ein Kulturzentrum fьr die Deutschen aus Russland entstehen zu lassen, was bundesweit ein Novum ist. Welche Dimensionen soll diese Einrichtung bekommen und welche Ressourcen werden bereitgestellt, um einen professionellen und dauerhaften Betrieb des Kulturzentrums zu ermöglichen?

Mir ist das Thema wichtig, deshalb habe ich dieses Kulturzentrum bereits in meine erste Regierungserklärung aufgenommen. Wir haben in enger Abstimmung mit der Landmannschaft der Deutschen aus Russland auch bereits ein erstes Konzept für das Kulturzentrum entworfen, das den „Zusammenhalt durch Begegnung“ in den Vordergrund stellt. So vereint das neue Kulturzentrum drei Funktionen unter einem Dach: Es soll ein landesweites Kompetenzzentrum für die Geschichte und Kultur der Deutschen aus Russland sein, eine zentrale Anlaufstelle für die Kulturarbeit und eine Begegnungsstatte zur Forderung von Kontakten zwischen Deutschen aus Russland und der einheimischen Bevölkerung.

Unser Fahrplan ist nun, das Konzept der Öffentlichkeit vorzustellen und mit den Betroffenen zu diskutieren und fortzuschreiben. Ziel ist, die endgültige Konzeption und hoffentlich auch den passenden Standort nach der Sommerpause im September zu präsentieren.

Die Geschichte der Deutschen in und aus Russland ist ein Teil der gesamtdeutschen Geschichte. Allerdings wird diese an den bayerischen Schulen nicht unterrichtet. Welche Lösungsvorschläge haben Sie in diesem Zusammenhang?

Da haben Sie Recht. Zweifelsohne ist das ein bedeutender Teil der gesamtdeutschen und insbesondere auch der bayerischen Geschichte. Daher wird die Geschichte der Deutschen in und aus Russland durchaus an den Schulen in Bayern – v. a. im Geschichtsunterricht – unter vielfältigen Aspekten thematisiert. Zum Beispiel bei der Auseinandersetzung mit Flucht und Vertreibung der Deutschen im und nach dem Zweiten Weltkrieg oder wenn es um die bedeutende Rolle der Heimatvertriebenen für Staat und Gesellschaft in der Bundesrepublik geht.

Besonders erfreulich in diesem Zusammenhang ist die Rolle der Landsmannschaften. Sie leisten in einem Arbeitskreis Unterstützung, entsprechende Unterrichtsmaterialien aufzubereiten.

Ihr Amtsvorgänger, Horst Seehofer, hatte bereits eine Initiative zur Beseitigung von Rentennachteilen bei Spätaussiedlern im Bundesrat eingebracht. Diese fand damals leider keine Mehrheit im Gremium. Welche Schritte will die Bayerische Landesregierung unternehmen, um auf die Lösung der Rentenproblematik, die in der Bundeszuständigkeit liegt, einzuwirken?

Wir haben uns im Bund dafür eingesetzt, bestehende Rentennachteile für Spätaussiedler zu beseitigen, und werden uns mit Nachdruck weiterhin dafür stark machen. Unsere Forderungen sind insbesondere die zumindest teilweise Rücknahme der Absenkung der Entgeltpunkte für im Herkunftsland zurückgelegte Zeiten auf 60 Prozent, eine Anhebung der Begrenzung der nach dem Fremdrentenrecht berücksichtigungsfähigen Entgeltpunkte sowie eine erleichterte Geltendmachung der ausländischen Rentenansprüche im Herkunftsland. Der Koalitionsvertrag im Bund enthalt einen Prüfauftrag für eine Fondslösung. Das ist zumindest ein erster Schritt.

Die Deutschen aus Russland beziehungsweise den Nachfolgestaaten der Sowjetunion gelten zu Recht als gut integriert. In Bezug auf die politische Teilhabe beziehungsweise die Wahrnehmung von politischen Ämtern stehen die Betroffenen jedoch noch ganz am Anfang. Was wären hier Ihre Empfehlungen an die Interessierten?

Meine Empfehlung gilt ganz allgemein: Unsere Gemeinschaft lebt davon, dass sich Menschen engagieren und kümmern. Das fängt in den Städten und Gemeinden vor Ort an und geht bis zum Bund und Europa. Wir brauchen Menschen, die Zukunft positiv mitgestalten wollen, die hinschauen und zupacken statt wegschauen und motzen. Wir freuen uns über jede und jeden, der sich einbringen mochte. Nicht zögern, sondern machen! Nur zu!

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