Missverständnisse und Konflikte gehören bekanntermaßen zum Lebens- und Arbeitsalltag dazu. Man muss sich insgesamt viel gefallen lassen. Aber für solche Übergriffe gibt es bewährte Orte. Öffentliche Toiletten. Spelunken. Sportstadien. Straßenbahnen. Aber dass ich in einem Klavierhaus, in dem ehrwürdige Flügel verkauft werden, dermaßen beleidigt werde, hätte ich nicht gedacht.
Eine Saite meines Flügels ist gerissen, der Klavierstimmer drückte sie mir in die Hand: Gehen Sie damit zu Klavierhaus Then und lassen Sie sich eine neue anfertigen. Klang einfach. Ja, mach ich. Kein Problem. Dachte ich. Und dackelte mit meiner Saite los. An einem sonnigen frühlingshaften Tag. Ich war wohl gelaunt und voller Vorfreude, meinen Flügel bald wieder mit allen Saiten zu wissen.
Ein tolles Geschäft – dieses Klavierhaus. Ich habe selten ein schöneres Ladenlokal gesehen. Das sagte ich dann auch der zuständigen Dame, die nach längerer Zeit in der großen leeren Halle auftauchte. Wir waren allein. Das ist relativ wichtig, denn so hatten wir keine Zeugen, die hätten beurteilen können, wer von uns beiden neben der Spur hing. Ich fummelte die Saite aus meinem Rucksack und hielt sie voller Erwartung der Dame entgegen.
Bis wann ich sie denn brauche. Am liebsten bis Montag, da käme nämlich der Klavierstimmer. Nein, also bis Montag klappe das auf keinen Fall. OK, sagte ich, bis wann klappt es denn dann? Bis Montag nicht. Ja, schon, das habe ich verstanden, aber bis wann klappt es denn? Wie ich schon sagte, nicht bis Montag. Ja, gut, aber bis wann denn? Sie verlor langsam die Nerven. Und wiederholte etwas ungehalten, sie habe mir doch schon gesagt, dass nicht bis Montag …
Jetzt verlor ich meinerseits die Geduld und Nerven und sagte, diese Info helfe mir nicht weiter … Ja, aber der Stimmer käme doch am Montag. Ja, eben jetzt nicht mehr, weil das mache ja keinen Sinn, wenn ich dann die Saite nicht hätte, ich würde einen neuen Termin vereinbaren, dafür müsse ich aber wissen, bis wann wir die Saite … Doch hierzu wollte mir die Dame keinerlei Auskunft geben. Sie hätte mir doch schon … Ich schaffte es einfach nicht, ihr klarzumachen, dass mir ihre Auskunft nicht weiterhalf und ich lieber gehört hätte, was möglich wäre als was NICHT möglich wäre.
Das fand sie gar nicht nachvollziehbar. Sie wäre schließlich keine Klavierbauerin, und ich solle doch Montag wiederkommen. Was das denn heißen würde, fragte ich, ob ich die Saite dann am Montag vorbeibringen und auch am selben Tag nach einigen Stunden wieder mitnehmen könne oder an einem anderen Tag und wenn, an welchem, so ganz grob? Jetzt verlor sie endgültig die Fassung, sie hätte doch schon … und wieder von vorn!
So verlor ich auch die Fassung, was sie sogleich kommentierte: Sagen Sie, kann es sein, dass Sie aufgeregt sind? Sie sind eine merkwürdige Frau! Und Sie haben eine seltsame Art zu kommunizieren! Peng!
Ehrlich gesagt, bei so wenig Kundenorientierung blieb mir glatt die Spucke und Sprache weg. Selten musste ich mich so beleidigen lassen. Ich erklärte ihr noch mal die Situation, dass mein Klavierstimmer usw. Ja, wer das denn überhaupt sei! …
Da ich hier nicht weiterkam, fragte ich nach einem anderen Klavierhaus. Aber sie wollte mir keines nennen. Jetzt schicke ich die Saite zur Bösendorfer Werkstatt nach Wien. Die Verabredung erfolgte seltsam unproblematisch und entgegenkommend. Puh! Eines ist gewiss: In dieses Klavierhaus setze ich keinen Fuß mehr!
Julia Siebert
02/04/10