Das Projekt o[s]tklick, das insbesondere auf digitale Medien abzielt, ist ein Beispiel für migrantische Selbstorganisation in Deutschland. 2021 ins Leben gerufen, ist es mittlerweile community-übergreifend bekannt und macht auf wichtige Themen aufmerksam, die Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland oft umtreiben. Bereits vor einem Jahr hat o[s]tklick mit der DAZ gesprochen, seitdem hat sich einiges getan. Eleonora Han, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei o[s]tklick, sprach nun mit uns über aktuelle Themen des Projekts, die postmigrantische Gesellschaft in Deutschland und vieles mehr.

Seit dem letzten Gespräch von o[s]tklick mit der DAZ ist einiges passiert, gerade politisch. Was für Auswirkungen hatte das auf euch?

Seit dem Krieg in der Ukraine, bei dem es sich auch um einen Informationskrieg handelt, ist das Thema Desinformation in den Vordergrund gerückt. Die geteilte Desinformation trägt zu Spaltungen und Verunsicherungen in demokratischen Gesellschaften bei und damit eben auch in Deutschland.

Unsere Aufgabe ist es, Unterstützung zu bieten bezüglich Faktencheck und Fake News, aber auch Menschen durch Argumentationshilfen, Infoposts in sozialen Medien und Workshops Handwerk zu liefern, wie sie mit Konflikten in der eigenen Familie umgehen können. Dabei wenden wir uns unter anderem an ein russischsprachiges Publikum. Ein weiterer Aspekt, der sich herauskristallisiert hat, ist die Bedeutung von Netzwerktreffen, damit Menschen in einem Umfeld mit ähnlicher Haltung zusammenkommen können.

Gestartet als Projekt mit Fokus auf Russlanddeutsche, geht es euch mittlerweile auch darum, verschiedene migrantische Communities zusammenzubringen. Wie kam es zu dieser Entwicklung?

Da gibt es zwei relevante Aspekte. Zum einen erhielten wir mit dem 24. Februar 2022 und im Zuge der pro-russischen Autokorsos viele Presseanfragen, da o[s]tklick eine Plattform für vielfältige demokratische russlanddeutsche Stimmen bietet. Tatsächlich wurde dabei immer ein sehr einseitiger Blick auf die Community geworfen.

Somit gab es für uns noch mehr Gründe, die Diversität innerhalb der russlanddeutschen Community darzustellen, aber auch darüber hinaus postsowjetische und osteuropäische Communities zusammenzubringen und Gemeinsamkeiten wie Differenzen darzustellen. Dabei konnten wir feststellen, dass sehr unterschiedliche Personen sich von unserer Arbeit angesprochen fühlen, nicht nur Russlanddeutsche.

Wir bleiben jedoch weiterhin dabei, die Vielfalt der Russlanddeutschen im Netz zu präsentieren. Diese Sichtbarkeit ist relevant, um rechten Stigmata und Stereotypen, die weiterhin über Russlanddeutsche in Medien verbreitet werden, entgegenzutreten. Wir sind dafür da, die Stärkung von Demokratie sowie eine offene, plurale Gesellschaft zu fördern und den Diskurs zu diversifizieren.

Das Stichwort „Intersektionalität“ ist dabei immer wichtiger geworden. Wir beschäftigen uns z.B. mit den Intersektionen von Rassismen, Sexismus und Antisemitismus. Damit hat sich der Diskurs weiter geöffnet und auch wir haben uns mit anderen Organisationen vernetzt und damit das Arbeitsfeld erweitert. Die Nachfrage nach uns und weitere Netzwerke, die sich mit Antislawismus und postsowjetischen sowie osteuropäischen Stimmen beschäftigen, ist da.

Ihr verwendet häufig den Begriff „postmigrantische Gesellschaft“. Kannst du ausführen, was damit gemeint ist?

Das Berliner Ballhaus Naunynstraße machte bereits 2008 unter dem selbstermächtigenden Label „postmigrantisch“ Theater. Menschen mit Migrationsgeschichte war der Zugang zu Theatern in Deutschland erschwert. Und so sahen sie die Notwendigkeit, ein eigenes Theater zu gründen.

Der Begriff sollte mit dem Zustand brechen, dass es in Deutschland nicht selbstverständlich ist, Menschen mit Migrationsgeschichte als solche des öffentlichen Lebens wahrzunehmen. Aus diesem eher aktivistischen Rahmen hat der Begriff den Weg in verschiedene Bereiche gefunden, um den nach wie vor aktuellen Zustand zu beschreiben.

Post steht dabei nicht für das Ende der Migration in Deutschland, sondern für gesellschaftliche Aushandlungsprozesse, die nach der Migration erfolgen. Und diese betreffen alle Menschen in der Gesellschaft. Naika Foroutan definiert das so, dass Heterogenität und Diversität in Bezug auf Herkunft in Deutschland politisch anerkannt sind und Migration als Phänomen Deutschland prägt. Das spiegelt sich auch in Strukturen, Institutionen und politischen Kulturen wider, durch die mehr Chancengleichheit und Durchlässigkeit ermöglicht werden.

Jedoch sagt Foroutan auch, dass es in der postmigrantischen Gesellschaft zu Abwehrreaktionen und Verteidigungskämpfen kommt, wie man es gerade beobachten kann. Und wir sehen natürlich postsowjetische und osteuropäische Communities als Teil des Ganzen, weil sie als größte Gruppe mit Migrationsgeschichte in Deutschland oft unsichtbar sind.

Welche Erfahrungen habt ihr damit gemacht, eure Zielgruppe vor allem im digitalen Raum anzusprechen, und wie werdet ihr dabei wahrgenommen?

Wir tauchen auf unserer digitalen Plattform weniger selbst auf, sondern geben eher anderen Menschen die Möglichkeit, ihre Ansichten zu teilen und zu diskutieren. Unsere Aufgabe als Moderation ist dafür zu sorgen, dass es keine Hassrede gibt. Instagram ist z.B. eine gute Plattform, um sich zu vernetzen. So können wir immer schauen, wen es gibt, welche Arbeit sie machen und so weiter.

Gleichzeitig sind wir aber auch Multiplikatoren für verschiedene Stimmen der russlandeutschen Community und haben ein gewisses Netzwerk. So haben Menschen auch die Möglichkeit, sich analog zu treffen und zu vernetzen, weil wir auch Zusammentreffen und Veranstaltungen organisieren. Viele Menschen wenden sich mit ihren Fragen an uns.

Was würdest du sagen, welche Themen beschäftigen euch bei o[s]tklick sowie migrantische Communities in Deutschland gerade?

Gerade in Berlin ist es seit dem 7. Oktober nochmal eine andere Situation, denke ich. Aber ich glaube, dadurch verstärken sich Themen, die uns auch sonst umtreiben, umso mehr. Polarisierung der Gesellschaft, Debattenkultur, wie können wir gut miteinander reden, wie können verschiedene Menschen mit ihren verschiedenen Betroffenheiten und aus unterschiedlichen Situationen heraus miteinander ins Gespräch kommen, wie entsteht Spaltung innerhalb der Communities, und wie können wir diese überwinden und Konflikte konstruktiv austragen.

Das sind gerade Themen und Fragen, die uns im Team beschäftigen. Was sich dazu gerade in Deutschland anbahnt, ist natürlich der Rechtsruck und die immer stärkeren Sanktionen gegenüber migrantischen und migrantisierten Subjekten. Das schwingt in unserer Arbeit immer mit.

Auf welche nächsten Projekte von euch dürfen wir uns freuen?

Es gibt ein Zine (Anm.: eine von Amateuren herausgegebene Zeitschrift) zum Thema „Erinnern“. Wir hatten uns gefragt, was explizit migrantische Communities in Deutschland betrifft und sind schnell darauf gekommen, dass Erinnerung ein wichtiger Faktor ist. Die Idee ist auch daraus gewachsen, dass wir nach etwas gesucht haben, woran es in Deutschland fehlt.

Erinnerungskultur von Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland hat wenig bis keinen Raum oder wird sehr unterschiedlich gerahmt, je nachdem, wie oder was erinnert werden soll. Also wollten wir mit dem Zine eine Möglichkeit geben, zu zeigen, wie Erinnerung stattfinden kann und insbesondere, wie sie künstlerisch verarbeitet wird. Wir sehen das auch als politische Frage. Was, wo und wie wird erinnert und was wiederum nicht? Aus welchen Gründen und welche Perspektive wird auf Geschehnisse geworfen oder nicht? Welche Erinnerungen werden in der deutschen Gesellschaft vertreten, repräsentiert, gehört, gesehen?

In dem Zine zeigt sich, dass das ein persönliches wie höchst politisches Thema ist. Wir denken bei der Planung von Projekten immer auch an Erinnerungskultur, da das bei der Auseinandersetzung mit migrantischen Communities in Deutschland in unseren Augen nicht fehlen darf.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Sasha Borgardt.

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