Ein Neujahrsvorsatz unseres Autors war, öfter ins Theater zu gehen. Das ist jedoch nicht immer ein Vergnügen.

Laute Gespräche, Stühlerücken, unsägliche Klingeltöne: Selbst im Theater kehrt in Kasachstan keine Ruhe ein. Vor Kurzem war ich in der Oper. Giuseppe Verdis „Il trovatore“, der Troubadour, stand auf dem Spielplan des altehrwürdigen Abai-Opernhauses.

Man hat sich schick gemacht für den Opernbesuch, fesch herausgeputzt. Die Damen kamen in Abendkleidern und hochhackigen Schuhen, Männer in Hemd und Krawatte. So ein Abend ist nicht zuletzt auch eine hervorragende Gelegenheit, sich zu präsentieren und gesehen zu werden. Kurz bevor die Vorstellung begann, wurden im Foyer noch schnell die obligatorischen Fotos in allen erdenklichen Posen geschossen.

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Die in vier Sätzen dargebotene Geschichte des Troubadors ist in den spanischen Gebieten Biskaya und Aragonien des 15. Jahrhunderts verortet und behandelt weitestgehend den Kampf zweier Männer um die Thronfolge. Für den nötigen Skandal in der Geschichte sorgt die Tatsache, dass die beiden Männer unwissentlich Brüder sind und zu allem Überfluss auch noch um dieselbe Dame buhlen. So nimmt das mittelalterliche Schicksal seinen Lauf.

Ihren Lauf nahmen jedoch auch die schlechten kasachischen Gepflogenheiten. Als es zum dritten Mal läutete und im großen Saal die Lichter ausgingen, herrschte noch reges Treiben. Selbst als die Musik schon zu spielen begann, kehrte keine Ruhe ein, um mich herum wurde diskutiert wie in der Kneipe. Links und rechts machten die Leute mit ihren Smartphones Fotos, natürlich mit eingeschaltetem Display und Blitz. In allen Ecken des Saals klingelten Telefone in voller Lautstärke. Durch die gesamte Aufführung hinweg wurde lautstark telefoniert.

All dies lief mit einer Gleichgültigkeit, fast Dreistigkeit ab, wie ich sie selten erlebt habe. Und ich hatte nicht den Eindruck, dass sich irgendjemand an dem eigentlich unerwünschten Fotografieren oder dem chaotischen Gewusel im Publikum groß stören würde. Nicht einmal der laut plärrende Modern-Talking-Klingelton schien den Angerufenen peinlich zu berühren. Dieses ewige, unsägliche Klatschen während der Aufführung, das nun sicher nicht zum guten Theaterton gehört, oder das fortwährende Stühlerücken und Plätzetauschen war da noch nicht einmal das Schlimmste.

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Liegt es vielleicht daran, dass die Opernkarten hier so günstig zu haben sind? In der Sowjetunion gehörten das Studium der klassischen russischen Literatur, Museumsbesuche, Theater– und Konzertabende zum Pflichtprogramm eines jeden Bürgers vom Kindergarten bis zur Rente. Es liegt im Wesen des Kommunismus, die Kunst der Bourgeoisie zu entreißen und dem Proletariat zugänglich zu machen. Theaterkarten und Museumseintritte kosteten damals beinahe nichts. Schüler, Pensionäre und Kriegsinvaliden kamen oft kostenlos in Vorstellungen. Und an dieser schrulligen, sympathischen Eigenheit hat sich erstaunlicherweise vielerorts bis heute wenig geändert. Meine Opernkarte für die Vorstellung kostete 1.500 Tenge, umgerechnet 3,50 Euro. Die Türen zu den feinen Künsten stehen hier noch immer allen offen.

Doch eine solche Unruhe im Theatersaal habe ich wirklich selten erlebt. Mein Opernitalienisch ist nun nicht das allerbeste, und der russisch untertitelten Geschichte zu folgen, war auch so schon schwierig genug. Mit diesen bis zum Ende andauernden Störungen wurde es da nicht einfacher. Allerdings gehört es wohl auch zur Wahrheit, dass dies kein kasachisches Problem ist. Auf der ganzen Welt finden sich respektlose Theaterbesucher. Selbst bei den teuersten und exklusivsten Konzerten wird wieder irgendjemand vergessen, sein Telefon auf lautlos zu stellen. Und es wird unter Garantie mitten im Geigensolo laut klingeln. Der Fluch der neuen Technik ist das Eine. Doch wo ist eigentlich die Selbstbeherrschung der Gäste und die Hochschätzung für die feinen Künste geblieben?

Philipp Dippl

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