Das Jahr 2018 ist Geschichte. 2019 ist hier! Ich habe Merkels Neujahrsansprache gesehen, ein Glas Sekt getrunken, eine Wunderkerze angezündet und Dinner for One geschaut – ein klassisch deutscher Silvesterabend also. Was meine Neujahrsvorsätze angeht, halte ich es wohl wie der Durchschnittsmensch: weniger Zigaretten, weniger Schokolade. Da ich noch nie geraucht habe und auch sonst keinen Süßkram esse, stehen die Chancen sogar ziemlich gut, dass ich dieses Jahr mit meinen Vorsätzen erfolgreich sein werde. Ansonsten habe ich mir aber vorgenommen, öfter ins Theater zu gehen und mich den feinen Künsten zu widmen.

Es gehört zur Neujahrstradition, dass in den Schauspielhäusern hierzulande Pjotr Tschaikowskis Nussknacker auf dem Spielplan steht. Auch ich habe mir zum Jahresbeginn 2019 dieses Meisterwerk des klassischen russischen Balletts mal wieder gegönnt, in der Interpretation des Staatlichen Kasachischen akademischen Abai-Opern- und -Balletthauses. Das Ensemble führte 1935 mit Carmen zum ersten Mal eine Oper auf, seit 1941 residiert es in dem heute bekannten, stalinistischen Prachtbau im Herzen von Almaty. Tschaikowskis Ballette gehören hier bis heute zu den beliebtesten Klassikern.

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Ich hatte das große Glück, den Nussknacker schon einmal im Sankt Petersburger Mariinski-Theater zu sehen. Genau an dem Ort, wo es am 18. Dezember 1892 Premiere hatte. Der Weihnachtsklassiker wird von dem dortigen russischen Staatsballett in der größtmöglich klassischen Form aufgeführt und mit weltweit unerreichter Perfektion getanzt. Die Grazie des Mariinski-Balletts bei der Interpretation von Tschaikowski ist und bleibt unerreichter Standard.

Derweil erdreistete sich der Spanier Goyo Montero, aus dem Ballettklassiker ein modernes Ausdruckstanztheater am Staatstheater Nürnberg zu machen. Man kann mich konservativ und altmodisch nennen, aber ich werde es wohl nie verstehen, was kopulieren, koksen und kotzen auf offener Bühne mit klassischem Ballett zu tun hat. Der Nussknacker verkommt unter dem Applaus des deutschen Publikums zu einem unkontrollierbaren psychedelischen Drogenrausch. Diese moderne Form der Kunst übersteigt meine Vorstellungskraft, scheint aber in der westlichen Theaterwelt zum guten Theaterton zu gehören. Auch die moderne Theaterversion von Fjodor Dostojewskijs Schuld und Sühne, die ich vor nicht allzu langer Zeit am ehrenwerten Schauspielhaus in Bochum ertragen musste, hat mit schändlichen Skandalen, Erbrochenem und Nacktheit nichts an klassischer künstlerischer Qualität zu bieten.

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Ich bin nicht der Meinung, schwierige und anstrengende, fünfstündige Opernwerke wie der Ring der Nibelungen oder die Meistersinger von Nürnberg sollten mit Hilfe solcher Dreistigkeiten für das gemeine Publikum modern und interessant gestaltet werden. Skandale sind nicht alles. Klassische Kunst sollte so bleiben, wie sie ist. Die Kunst existiert, um den Geist zu erquicken. Aber Kunst erfordert einstweilen die harte Arbeit des Betrachters.

In Kasachstan bleibt man glücklicherweise von kotzenden und nackten Menschen auf der Theaterbühne meistens noch verschont. Klassische Stücke sollten mit Bedacht und der größtmöglichen Authentizität inszeniert werden. Das Ensemble des Abai-Theaters hält dies wohl ebenso. Neben einigen Videoprojektionen und einem vergleichsweise minimalistischen Bühnenaufbau hat man Tanz und Kostüme so belassen, wie es vom Komponisten vorgesehen war. Selbst den für das Stück elementaren Weihnachtsbaum, der klassisch kasachisch mit einer quietschbunten, blinkenden Neonlichterkette geschmückt ist, lasse ich da durchgehen. Die Grazie und Präzision der russischen Mariinski-Tänzer hat das Abai-Ensemble nicht erreicht, aber das wäre typisch deutsches Gemeckere auf sehr hohem Niveau. Es war eine Freude, die Tänzer zu sehen und der meisterhaften Musik aus dem Orchestergraben zu lauschen. Des Weiteren werde ich mein Bestes geben, an meinen Neujahrsvorsätzen festzuhalten. Ich wünsche der gesamten Menschheit ein gesegnetes, gesundes und glückliches Jahr 2019!

Philipp Dippl

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