Langfristige Pläne und Konzeptionen sind sehr beliebt im hiesigen Staatswesen. Sie schaffen den Eindruck, dass die darin enthaltenen Ziele und die Mittel zur Erreichung derselben klug durchdacht sind und der Staat somit weit in die Zukunft schauen und diese selbst sehr aktiv gestalten kann.
Mag sein, das dies so ist, ich zweifle jedoch eher daran. Strategiepapiere sind natürlich notwendig, auch wenn es immer außerordentlich schwierig ist, einigermaßen qualifiziert in die Zukunft zu schauen. Der Staat ist dabei, entgegen der hierzulande weit verbreiteten Meinung, keinesfalls schlauer als die Unternehmen oder die einfachen Leute.
Eine konkrete Konzeption, die der Öffentlichkeit in den letzten Tagen vorgestellt wurde, hat mir allerdings etwas die Sprache verschlagen. Es ist eine Konzeption zur patriotischen Erziehung des Volkes Kasachstans. Sicher, die meisten Deutschen zucken beim Begriff „Patriot“ mehr oder weniger zusammen, während hierzulande das Thema nicht weiter aufregt. In Deutschland hängt das wesentlich damit zusammen, dass die Nazis den Patriotismus stark für ihre verbrecherischen Zwecke missbraucht hatten.
Jedenfalls stellt die genannte Konzeption die Aufgabe, bis zum Jahre 2008 alle Staatsbürger in Kasachstan zu Patrioten zu machen. So weit, so gut. Nicht mehr und nicht weniger. Eine sehr schwammige Bestimmung (die kann auch kaum konkret sein) wird mitgeliefert. Danach soll jeder Bürger seine Heimat lieben, ihre Interessen wahren und sie, wo immer es notwenig ist, schützen.
Viele Maßnahmen zur Konzeptionsumsetzung sind vorgesehen, das Bildungsministerium ist dafür verantwortlich. Wahrscheinlich wird sich dann auch die bereits gegebene Tendenz verstärken, Reden des Staatsoberhauptes mehr oder weniger intensiv nachkauen zu müssen. Bereits jetzt werden die Bildungseinrichtungen mit solchen Dingen beauftragt, wenn auch (noch?) nicht wieder mit der Intensität, wie das z. B. vor etwa 30 Jahren der Fall war. Natürlich werden auch Gremien und Stellen geschaffen, die Anzahl der Staatsangestellten wird also wieder um ein paar hundert wachsen.
Wäre ich Staatsbürger, hätte ich an meine Regierung in dieser Hinsicht viele Fragen. Zum Beispiel, warum es in Zeiten der Globalisierung so notwendig sein sollte, unbedingt Patriot seiner kleinen Heimat zu sein? Besteht nicht die Gefahr, dass aus Patrioten schnell Nationalisten werden können? Oder bin ich nur dann Patriot, wenn ich alles gut finde, was im Lande vor sich geht und zu Missständen schweige? Bin ich dann noch Patriot, wenn ich Anhänger der Opposition bin? Bin ich Antipatriot, wenn ich ausländische Waren kaufe oder wegen der von den Patrioten in der Stadt und im Gebirge hinterlassenen Müllberge diese gar nicht heimatlich finde? Was passiert, wenn ich ganz einfach kein vollwertiger Patriot werden, sondern z. B. kosmopolitisch orientiert bleiben will? Na und so weiter.
Ich glaube, diese Konzeption ist ganz einfach überflüssig. Eine gesunde Einstellung zu seinem Heimatland kommt nicht durch teure Gehirnwäsche, sondern letztlich durch die konkreten Lebensumstände zustande. Die sozialistische Erfahrung sollte ja eigentlich noch nicht verdrängt sein.
Eine florierende Wirtschaft, von deren Ergebnissen allerdings alle etwas haben müssen, demokratische Verhältnisse, die Durchschaubarkeit und Verständlichkeit der Politik im Großen und im Kleinen, die weitgehende Abwesenheit von Korruption, eine offene Gesellschaft und ähnliche Zustände gehören zu den Dingen, die eine positive Einstellung zum Lande schaffen können.
Die Mittel und die Kräfte, die die Umsetzung dieser Konzeption kostet, wären mit Sicherheit besser bei der Realisierung einer anderen Konzeption aufgehoben. Bis 2010 soll nämlich der Anteil der Computerkundigen im Lande auf 20 Prozent angehoben werden. Man kann erstaunt fragen: Auf nur 20 Prozent? Ja, aber immerhin. Auf jeden Fall wäre das eine wirkliche Investition in die Zukunft Kasachstans.
Bodo Lochmann
27/10/06