Überraschend schnell wurde der Streit um die Gaslieferungen zwischen Russland und der Ukraine mit einem Kompromiss beigelegt. Obwohl diese Angelegenheit in erster Linie diese beiden Staaten berührt, hat sie in Europa und Deutschland heftige Reaktionen ausgelöst.

Es bestand und besteht die Angst, dass die Einstellung der Gaslieferungen in die Ukraine auch die Versorgungsssicherheit dieser Region betreffen könnte. Deutschland z. B. bezieht zwar nur etwa ein Drittel des benötigten Gases aus Russland und hat zudem Vorräte für zwei Monate gelagert. Die Angst der Europäer betrifft dabei weniger die Möglichkeit der Nichtlieferbarkeit des wichtigen Brennstoffes, sondern die Möglichkeit der politischen Erpressbarkeit durch Moskau oder andere Lieferanten.

Die Gaslieferungen, insbesondere die Preisbildung dafür, werden durch die russische Regierung als politisches Instrument verstanden und auch eingesetzt. Während z. B. Belarus, das sehr moskaufreundlich agiert, nur 47 Dollar je 1000 Kubikmeter bezahlen muss, hat die Ukraine jetzt das Vierfache dieses Preises auf den Tisch zu legen. Damit soll offenbar versucht werden, die Politik Kiews zu unterlaufen, sich etwas von Moskau zu lösen und sich stärker auf den Westen zu orientieren. Für die Ukraine bedeutet der neue, höhere Erdgaspreis eine ausserordentlich hohe wirtschaftliche Belastung und wird eine spürbare Verschlechterung der Konkurrenzfähigkeit der meist noch sehr energieintensiven ukrainischen Produkte bewirken. Moskau könnte versucht sein, dasselbe auch hinsichtlich der europäischen Staaten zu praktizieren.

Kurzfristig hat aber dieser Streit keine negativen Folgen dieser Art für Europa bewirkt. Langfristig wird er aber auf jeden Fall auf  das Verhältnis zu Russland Einfluss haben. Erst einmal wird das Land und seine Politik noch aufmerksamer, besser gesagt argwöhnischer, beobachtet werden als bisher. Die meisten Länder werden außerdem versuchen, ihre Abhängigkeit von Energieimporten weiter zu verringern. In Deutschland wird dazu aktuell die intensivere Nutzung der Kernenergie ebenso diskutiert wie der Nichtbau bereits geplanter Gaskraftwerke. Im Zentrum der künftigen Energiepolitik wird jedoch noch stärker als bisher die Nutzung erneuerbarer Energiequellen (Wind, Sonne, Biomasse, Geothermik) und die Energieeinsparung stehen. Obwohl z. B. die Energieintensität der Produktion Deutschlands bereits fast viermal geringer ist als die Kasachstans, gibt es durchaus noch bedeutende Reserven zur Verringerung des Energieverbrauchs.

Nach verschiedenen Schätzungen können weitere 20 bis 25 Prozent des jetzigen Energieverbrauchs Deutschlands eingespart werden. Dazu sind überwiegend neue Technologien notwendig, deren Entwicklung und Einsatz wiederum einen Vorsprung in diesem Bereich und eine Verbesserung der internationalen Absatzfähigkeit entsprechender Produkte bewirken wird. Bereits heute gehört Deutschland zu den Ländern, die eine wachsende Produktion mit sich verringerndem Energieverbrauch erreichen. Die Verfügbarkeit und der bestmögliche Einsatz von Rohstoffen wird immer mehr zum zentralen Existenz- und Wachstumsfaktor moderner Volkswirtschaften.

Der Gasstreit Russland-Ukraine zwingt die von Energieimporten abhängigen Staaten immer stärker in eine Politik der rationellsten Nutzung traditioneller und neuartiger Energiequellen. Das verschlechtert zwar tendenziell die Absatzmöglichkeiten herkömmlicher Energieträger aus Russland, Kasachstan u. a. Staaten auf deren bisherigen Hauptmärkten. Langfristig aber werden dadurch die begrenzten Ressourcen geschont und länger verfügbar gemacht. Für die Staaten, die sich der Herausforderung der Energieeinsparung und der Nutzbarmachung neuartiger Energieträger, trotz aller damit verbundenen technologischen und finanziellen Probleme, stellen, wird sich dieVersorgungssicherheit  erhöhen und die Umwelt wird entlastet. Aus dieser Sicht ist der betrachtete Konflikt doch eher progressiver Natur, allerdings weniger für Russland oder andere Staaten, die Energielieferungen als politische Waffe einzusetzen gedenken.

Bodo Lochmann

13/01/06

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